Petra Paus Duell mit dem Verfassungsschutz
30. Juli 2019Im Sitzungssaal II des Oberverwaltungsgerichts Münster soll am Mittwoch (31. Juli) eine wegweisende Entscheidung fallen. Mehrere Politiker der Linken wollen wissen, was der Inlandsgeheimdienst über sie weiß. Prominenteste Kläger sind Petra Pau und Bodo Ramelow. Die eine ist seit 2006 Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, der andere seit 2014 Regierungschef in Thüringen. "Sie begehren Auskunft zu den in Sachakten beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) über ihre Person gespeicherte Daten", heißt es in der Terminankündigung des Gerichts.
Das Verwaltungsgericht Köln hat die Datenspeicherung bereits 2014 als rechtswidrig eingestuft. Trotzdem können Pau und Ramelow nur ahnen, was über sie in den Sachakten zu ihrer Partei steht. Der Verfassungsschutz hat nämlich Berufung eingelegt. Dadurch befindet sich ein Rechtsstreit in der Verlängerung, den Linke und Geheimdienst schon seit über einem Jahrzehnt auf verschiedenen Ebenen führen.
Der Geheimdienst rückte nur eine geschwärzte Akte heraus
Bereits 2006 beantragte Pau Auskunft über alle Informationen, die das Bundesamt für Verfassungsschutz mutmaßlich seit der deutschen Wiedervereinigung über sie gesammelt hatte. Mit dem Ergebnis war die in der DDR aufgewachsene Politikerin aber alles andere als zufrieden. Zwar wurde das BfV vom Verwaltungsgericht Köln verpflichtet, die über Pau angelegte Personenakte herauszurücken, aber sie erhielt lediglich eine mit vielen schwarzen Balken verzierte Kopie.
Dafür hatte das Bundesinnenministerium (BMI) mit einer Sperrerklärung gesorgt – rechtmäßig, wie das Bundesverwaltungsgericht 2010 urteilte. Damit war das Thema aber längst noch nicht beendet, im Gegenteil: Es kam jetzt erst richtig ins Rollen. Auch weil ihr Parteifreund Bodo Ramelow, der heutige Regierungschef Thüringens, bis vor das Bundesverfassungsgericht zog. Und das erklärte die jahrelange Überwachung durch den Inlandsgeheimdienst 2013 unter Verweis auf Artikel 38 des Grundgesetzes für verfassungswidrig.
Ramelow triumphierte vor dem Bundesverfassungsgericht
Begründung: Das freie Mandat des Abgeordneten gewährleiste dessen freie Willensbildung "und damit auch eine von staatlicher Beeinflussung freie Kommunikationsbeziehung zwischen dem Abgeordneten und den Wählerinnen und Wählern". Eingriffe in dieses hohe Gut unterlägen "strengen Anforderungen" an die Verhältnismäßigkeit. Möglich wären sie demnach, "wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Abgeordnete sein Mandat zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht oder diese aktiv und aggressiv bekämpft".
Das Bundesamt für Verfassungsschutz erklärte sich daraufhin bereit, die über Ramelow und andere Politiker der Linken angelegten Personenakten zu löschen. Ob das tatsächlich geschehen ist, weiß Petra Pau nicht. Mit ihr sei in dieser Angelegenheit "kein Kontakt aufgenommen worden", sagt die 55-Jährige im Gespräch mit der Deutschen Welle. Ihr ewig anmutendes Duell mit dem BfV ist auch deshalb so kompliziert, weil die von ihr beklagte Behörde zwischen Personen- und Sachakten unterscheidet.
In der ersten Kategorie geht es ausschließlich um ihre Person, in der zweiten um die Linke insgesamt. Die Partei hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Keimzelle war die DDR-Staatspartei SED, die sich nach dem Fall der Berliner Mauer in Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) umbenannte. Der Einfluss radikaler Strömungen war in den ersten Jahren nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 noch vergleichsweise stark. Deshalb interessierte sich auch der Verfassungsschutz so stark für die Partei und viele ihrer Abgeordneten.
Der feine Unterschied zwischen Sach- und Personenakten
Darunter war neben Pau und Ramelow auch der langjährige ehemalige Partei- und Fraktionschef Gregor Gysi. Alle drei und viele Andere gehören allerdings seit jeher zum sogenannten realpolitischen Flügel der Linken, der fest auf dem Boden der Verfassung steht. Sie so massiv ins Visier zu nehmen, hat dem Geheimdienst auch viel Kritik von Politikern anderer Parteien eingebracht. Petra Paus wenig schmeichelhaftes Fazit im DW-Interview: "Hier wurde der Inlandsgeheimdienst für die politische Auseinandersetzung instrumentalisiert."
Die Folgen der jahrelangen Beobachtung durch den Verfassungsschutz bekam die langjährige Vizepräsidentin des Bundestages im Gespräch mit den Wählern zu spüren. Nachdem ihr Fall publik geworden war, seien die sehr verunsichert gewesen, "ob sie ihrer Abgeordneten noch Vertrauen können oder ob das Bundesamt Zugriff auf diese Daten hat?". Deshalb drängt Pau darauf, Informationen aus ihrem persönlichen Umfeld zu löschen. Den Rest solle der Verfassungsschutz ans Bundesarchiv oder die Archive der Parteien abgeben – als "Dokumente der Zeitgeschichte".
Warum Pau gegen eine Beobachtung der AfD ist
Unabhängig vom Ausgang ihrer eigenen Klage ist die aus Berlin stammende Pau grundsätzlich dagegen, die Verfassungstreue politischer Parteien vom Geheimdienst bewerten zu lassen. Deshalb ist sie auch gegen eine Beobachtung oder gar Überwachung der Alternative für Deutschland (AfD). Sie wisse aus öffentlich zugänglichen Quellen und ihrer täglichen Begegnung im Bundestag, dass diese Partei rassistisch sei und "handfeste Nazis" in ihren Reihen dulde und agieren lasse. "Dafür brauche ich keinen Geheimdienst."
Der Verfassungsschutz sieht das anders und hat die AfD Anfang 2019 zum Prüffall erklärt. Die Nachwuchsorganisation Junge Alternative (JA) und der als "völkisch" geltende "Flügel" mit seinem Frontmann Björn Höcke wurden sogar als Verdachtsfall eingestuft. Sie müssen also damit rechnen, klassisch geheimdienstlich überwacht zu werden. Dazu gehört insbesondere das Anzapfen ihrer elektronischen Kommunikation, also des Telefons und des Computers.
Die Linke ist immer noch im Visier des Geheimdienstes
Aber auch Petra Paus Linke steht weiterhin auf der Liste des Geheimdienstes. Im aktuellen Verfassungsschutzbericht 2018 werden gleich sieben Strömungen genannt, allen voran die "Kommunistische Plattform". Deren Wortführerin war einmal Sahra Wagenknecht, die sich seit 2015 mit Dietmar Bartsch den Fraktionsvorsitz im Bundestag teilt.