Die Linke und der Verfassungsschutz
25. Januar 2013Das Problem ist so alt wir das vereinigte Deutschland. Seitdem fragen sich das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und etliche Landesämter, wie gefährlich der parteipolitisch linke Rand für das staatliche Gemeinwohl ist? Um diese Frage gewissenhaft beantworten zu können, sammeln Scharen von Verfassungsschützern fleißig offen zugängliches Material. Ihre Erkenntnisse stammen also aus Zeitungsartikeln, Flugblättern, Parteiprogrammen oder von Wahlkampfveranstaltungen und anderen Kundgebungen.
In der Anfangszeit, also zu Beginn der 1990er Jahre, hieß das beobachtete Objekt noch Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS). Die war in den Augen der Verfassungshüter schon deshalb höchstverdächtig, weil sie ihren Ursprung in der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) hatte. Deren maßgebliche Verantwortung für die Diktatur in der DDR ist unbestritten. Und selbst wenn die führenden Protagonisten des gescheiterten Regimes in der friedlichen Revolution hinweggefegt wurden, gab es natürlich zahlreiche Profiteure der alten Ordnung, die in der umbenannten SED Macht und Einfluss ausübten.
Nachwehen der Ost-West-Konfrontation
Das Misstrauen des westdeutschen Verfassungsschutzes war nach Jahrzehnten der Ost-West-Konfrontation also historisch begründet und die Beobachtung der PDS einleuchtend. Doch inzwischen liegt die deutsche Teilung eine Generation zurück, und aus der PDS ist nach dem Zusammenschluss mit der Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG) 2007 Die Linke geworden. Ist es da noch zeitgemäß, wenn eine regelmäßig in den Bundestag und zahlreiche Landesparlamente gewählte Partei vom Verfassungsschutz beobachtet wird?
"Die Bespitzelung einer demokratischen Partei in einer Demokratie ist unwürdig", beantwortet Bernd Riexinger die Frage unmissverständlich. Der aus dem Südwesten der Republik stammende Gewerkschaftsfunktionär teilt sich mit der Ostdeutschen Katja Kipping seit Juni 2012 den Vorsitz der Linken. Auch die politische Konkurrenz kritisiert den Verfassungsschutz, wenn auch unterschiedlich scharf. Sozialdemokraten, Grüne und Freie Demokraten lehnen die Beobachtung der Linken ebenfalls ab.
In konservativen Kreisen gehen die Meinungen auseinander. Bayern und Sachsen wollen unbedingt an der bisherigen Praxis festhalten. Moderater klingt Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU). Als Anfang 2012 bekannt wurde, dass 27 von 76 Bundestagsabgeordneten der Linken seit langem im Visier des Geheimdienstes sind, stellte er die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Sein Stellvertreter Wolfgang Thierse (SPD) ging noch einen Schritt weiter: "Die Überwachung von Parlamentariern halte ich für ein Unding."
Welche Namen stehen auf der Liste?
An dieser Einschätzung hat sich auch ein Jahr später nichts geändert, obwohl das Bundesamt für Verfassungsschutz den Umfang der Beobachtung inzwischen reduziert hat. Demnach werden nur noch als extremistisch eingeschätzte Strömungen der Linken kritisch unter die Lupe genommen und Politiker, die solchen Gruppierungen angehören. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) verteidigt dieses Vorgehen und fühlt sich vor allem durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes bestärkt. Das hat 2010 die Beobachtung des Landtagsabgeordneten Bodo Ramelow für rechtens erklärt.
Der Fraktionschef im Thüringer Parlament gehört zum Realoflügel seiner Partei, der frei von klassenkämpferischer Rhetorik offen für Koalitionen mit SPD und Grünen ist. Trotzdem halten es die Verwaltungsrichter es für legitim, Ramelow zu beobachten. Ob sein Name noch immer auf der Liste des Geheimdienstes steht und wie lang diese Liste ist, darüber gibt es keine offiziellen Angaben.
Klage vor dem Bundesverfassungsgericht
Das Bundesinnenministerium hüllt sich überwiegend in Schweigen. Ein Sprecher sagte lediglich, es handele sich um eine "schwankende Zahl". Es sei nämlich ein Unterschied, "ob ein Abgeordneter Mitglied in einer linksextremistischen Strömung der Linkspartei ist oder nicht". Dieser Hinweis lässt vermuten, dass Politiker wie Bodo Ramelow inzwischen nicht mehr im Blickfeld des Verfassungsschutzes stehen. Mit Mutmaßungen will sich der 56-Jährige aber keinesfalls zufrieden geben. Ihm geht es um eine grundlegende Klärung, deshalb klagt er vor dem Bundesverfassungsgericht.
Die im ersten Halbjahr erwartete Entscheidung der höchsten juristischen Instanz in Deutschland wird von grundsätzlicher Bedeutung sein. Im Kern geht es um die Frage, ob demokratisch gewählte Abgeordnete überhaupt vom Verfassungsschutz beobachtet werden dürfen? Schließlich sind sie es, deren verfassungsrechtliche Aufgabe es ist, das Regierungshandeln zu kontrollieren. Dieses wesentliche Prinzip der Gewaltenteilung in einer Demokratie ist durch die Beobachtung von Parlamentariern durch staatliche Behörden praktisch ins Gegenteil verkehrt.
Sarah Wagenknecht und die Kommunistische Plattform
Die Verfassungsrichter haben es also mit einem besonders kniffligen Fall zu tun. Mit ihrem Urteil müssen sie einerseits die im Grundgesetz verankerte freie Mandatsausübung garantieren, andererseits aber auch den gesetzlichen Auftrag des Verfassungsschutzes. Dessen Aufgabe ist es ganz allgemein, Material zu sammeln und auszuwerten, über "Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung… gerichtet sind". Bei der Linken kann das aus Sicht des Geheimdienstes eine Strömung wie die "Kommunistische Plattform" (KPF) sein, die schon dem Namen nach potenziell antiparlamentarisch ist.
Prominenteste KPF-Vertreterin war lange die stellvertretende Bundestagsfraktions- und Parteivorsitzende Sahra Wagenknecht. Doch die früher kompromisslos antikapitalistische Politikerin lässt seit einiger Zeit erstaunlich viele Sympathien für den Wegbereiter der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland, Ludwig Erhard, erkennen. Ob ihr Name nun von der Liste des Verfassungsschutzes verschwunden ist, weiß offiziell niemand. Klarheit könnte das Bundesverfassungsgericht schaffen. Sollte es die Beobachtung von Abgeordneten verbieten, wäre das im Jahr der Bundestagwahl 2013 ein Prestige-Erfolg für die Linke.
Korte: "Parteipolitische Instrumentalisierung"
Die Partei wäre allerdings nur mit einem totalen Verbot zufrieden. Ihr Innenexperte im Bundestag, Jan Korte, kritisiert die Beobachtung der Linken als "parteipolitische Instrumentalisierung des Geheimdienstes zur Diskreditierung und Ausgrenzung der Opposition". Korte stammt aus Westdeutschland, sein Bundestagsmandat hat er als Direktkandidat in Ostdeutschland gewonnen. Im vergangenen Jahr soll sein Name auf der Liste des Verfassungsschutzes gestanden haben. Mitglied in einer linksextremistischen Strömung der Linken ist der 35-Jährige nicht. Er engagiert sich aber in der "Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur".