Die Linke, der Ukraine-Krieg und die NATO
25. Juni 2022"Es geht um Großmachtstreben, es ist ein imperialer Konflikt und zwar nicht erst seit dem Überfall auf die Ukraine." So redet Janine Wissler auf dem Bundesparteitag der Linken in Erfurt (Thüringen) über den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Die wiedergewählte Vorsitzende mahnt zugleich, "die Rolle Russlands in Tschetschenien, in Syrien, aber auch die Unterstützung für Diktatoren in Kasachstan und Belarus nicht zu vergessen".
Janine Wissler: "Es war ein Fehler, die NATO nicht aufzulösen"
Gleichzeitig betont die 41-Jährige, eine konsequente Friedenspartei - damit meinte sie die Linke - müsse aber auch deutlich machen, dass der Krieg eine Vorgeschichte habe. Damit spielt sie auf die NATO an. Das Nordatlantische Verteidigungsbündnis hat sich nach dem Zerfall der Sowjetunion Anfang der 1990er Jahre immer weiter Richtung Osten ausgeweitet. Wissler meint, das Gegenteil wäre richtig gewesen: "Es war ein Fehler, sie nicht aufzulösen."
Manche Linke gehen mit ihrer Kritik am Westen noch weiter, sprechen von "Imperialismus" und "Verharmlosung" der NATO. Die Mehrheit unterstützt jedoch den Kurs der Parteispitze - in den Worten der Vorsitzenden: "Der verbrecherische Angriffskrieg ist durch nichts zu rechtfertigen." Natürlich gelte die Solidarität der Linken den Menschen in der Ukraine, "die um ihr Leben fürchten, die fliehen mussten, die Angehörige zurücklassen musste, die alles verloren haben".
Solidarität mit den "mutigen Menschen in Russland"
Zugleich solidarisiere sie sich mit den "mutigen Menschen in Russland, die gegen diesen Krieg, die für Frieden auf die Straße gehen". Deshalb seien gerade jetzt alle Brücken in die russische Zivilgesellschaft wichtig. Russland sei nicht gleichzusetzen mit dem Kreml, sagte Janine Wissler. Wenn aber Städtepartnerschaften ausgesetzt und russische Kulturschaffende ausgeladen würden, "dann ist das ein falsches, ein fatales Signal".
Der Bundesregierung wirft die Linken-Vorsitzende vor, sich nicht an "wertebasierter Außenpolitik" zu orientieren, sondern an "geostrategischen Interessen". Das zeige sich im Umgang mit Saudi-Arabien, einem Land, das seit 2014 am Krieg im Jemen beteiligt und lange mit Waffenlieferungen aus Deutschland unterstützt worden sei.
Gregor Gysi fordert "viel mehr Diplomatie"
Das von der Bundesregierung beschlossene 100 Milliarden-Programm für die Bundeswehr lehnt die Linke strikt ab. Die von Kanzler Olaf Scholz ausgerufene "Zeitenwende" sei eine "gigantische Aufrüstung". Weltweit seien Rüstungsausgaben immer weiter gestiegen, aber: "Sie haben diesen russischen Angriff nicht verhindert durch Abschreckung", sagt Wissler.
So sieht es auch der frühere Linken-Vorsitzende und außenpolitische Sprecher seiner Fraktion im Bundestag, Gregor Gysi. Deutschland habe den Zweiten Weltkrieg verursacht und nie wieder das Recht, an Kriegen zu verdienen. "Als fünfgrößter Waffenexporteur der Welt verdienen wir aber an jedem Krieg - egal, ob er im Nahen Osten, Afrika oder sonst wo stattfindet." Reale Friedenspolitik bedeutet laut Gysi, zurückzukehren zu Deeskalation, Abrüstung, viel mehr Diplomatie, Interessenausgleich und strikte Wahrung des Völkerrechts.
Angst vor einem Weltkrieg mit Atomwaffen
Janine Wissler fordert, alles dafür zu tun, um eine weitere Eskalation des Ukraine-Krieges zu verhindern und zu einer Verhandlungslösung zu kommen. Die Lieferung schwerer und offensiver Waffen-Systeme lehnt ihre Partei ab. "Wir wenden uns an die vielen Menschen, die nachdenklich sind und die sich nicht dieser scheinbaren Alternativlosigkeit der militärischen Logik beugen wollen." Viele Menschen in Deutschland hätten Angst "vor dem Rutsch in einen dritten Weltkrieg, vor dem Einsatz von Atomwaffen".
Beim Thema Sanktionen unterstützt die Linke teilweise den Kurs der Bundesregierung, wenn sie sich gegen Oligarchen und den militärisch-industriellen Komplex richten. Denn damit könne man Putins Machtbasis schwächen und Druck aufbauen. "Ein sofortiges Gas-Embargo hingegen hätte dramatische Folgen für die Bevölkerung und auch für die Arbeitsplätze in diesem Land", warnt Janine Wissler. Das würde zu dramatischen sozialen Verwerfungen führen.