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"Werteunion" in der Krise

Ian Bateson
11. Juli 2021

Bundeskanzlerin Merkel war für die Mitglieder der "Werteunion" das große Feindbild. Zum Ende ihrer Ära gerät nun der besonders konservative Rand der Union in Turbulenzen. Droht das Schicksal der Tea Party?

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WerteUnion Anhänger
Die "Werteunion" wurde von Mitgliedern der Christdemokraten gegründetBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Weil sie der Überzeugung waren, dass die letzte große Volkspartei in Deutschland sich zu weit nach links bewegt habe, gründeten Mitglieder von CDU und CSU im März 2017 den Verein "Werteunion". Die Bewegung, die bis heute keine anerkannte Parteigliederung von CDU und CSU ist, folgte einem ähnlichen Weg wie die US-amerikanische Tea Party, die 2009 innerhalb der Republikanischen Partei entstand und Libertäre und Rechtspopulisten zusammenführte. Die Tea Party konzentrierte sich darauf, die Führung der Republikanischen Partei herauszufordern, die ihrer Meinung nach nicht stark genug gegen den demokratischen Präsidenten Barack Obama kämpfte.

Deutschland Merkel Selfie mit Anas Modamani
Der konservative Flügel der Union hadert bis heute mit Merkels MigrationspolitikBild: Getty Images/S. Gallup

Während die Tea Party die gesamte republikanische Parteiführung im Blick hatte, konzentrierte die "Werteunion" ihre Kritik vor allem auf Bundeskanzlerin Angela Merkel, die bis Dezember 2018 auch CDU-Parteivorsitzende war. Merkels Politik ist aus Sicht der "Werteunion" auf mehreren Feldern zu liberal. Der Ausbau der Kinderbetreuung, der das konservative Familienmodell in Frage stellte, die Aussetzung der Wehrpflicht und vor allem Merkels Migrationspolitik stoßen bei zahlreichen Konservativen bis heute auf Ablehnung. Aus ihrer Sicht verabschiedete Merkel sich mit diesen Entscheidungen von dem konservativen "Markenkern" der Union. Zahlreiche Konservative in der Union fürchteten um ihren Einfluss auf die Parteigeschicke. "Wir wollten den Linkskurs, den Merkel eingeschlagen hat, rückgängig machen", so Alexander Mitsch, ehemaliger Vorsitzender und Gründungsmitglied der "Werteunion", gegenüber der DW.

Merkel zu liberal?

Angela Merkel wiederum ermöglichte diese Positionierung, die CDU für gesellschaftliche Schichten in der gesellschaftlichen Mitte wählbar zu machen, die bislang für andere Parteien gestimmt hatten. Ihre mit 16 Jahren historisch lange Kanzlerschaft erklärt sich auch durch diesen Schwenk. Ähnlich wie in den USA führten diese Veränderungen aber zu wachsendem Widerstand von rechts. "Das ist ein typischer Reflex auf einen Veränderungsprozesses in einer Partei", analysiert der Politikwissenschaftler Uwe Jun von der Universität Trier. "Einige Gruppen schreien: Das wollen wir nicht, das geht uns zu weit!"  

Werte-Union CDU | neuer Bundesvorsitzender Max Otte
Der deutsch-amerikanische Ökonom Max Otte ist seit Mai Vorsitzender der "Werteunion"Bild: Karlheinz Schindler/dpa/picture alliance

Auch die 2013 von euroskeptischen Akademikern gegründete Alternative für Deutschland (AfD) war eine Reaktion auf die Politik Merkels. Die zunächst kleine Protestpartei konnte bei Wahlen und in Umfragen deutlich zulegen, nachdem sie die Kritik an Merkels Flüchtlingspolitik in Folge des großen Zustroms von Migranten 2015/16 ins Zentrum ihrer Kampagnen stellte. 

Obwohl sich mit der AfD eine Oppositionspartei rechts von der CDU etabliert hatte, verzeichnete auch die "Werteunion" mit nunmehr mehreren Tausend Mitgliedern wachsende Unterstützung. Ihre Mitglieder suchen Verbindungen zu Politikern, die sich rechts von Merkel in der Union verorten und scheuen auch vor Kontakten zu Rechtspopulisten nicht zurück.

Unterstützung erhielt die "Werteunion" zeitweise sogar aus dem Mainstream der CDU - offenbar in der Hoffnung, den Aufstieg der Rechtspopulisten am rechten Rand bremsen zu können. 2018 schrieb Gesundheitsminister Jens Spahn einen Unterstützungsbrief zur Eröffnung eines Treffens der "Werteunion", in dem er die Mitglieder ermutigte, auf breiterer Ebene zu agieren, um die AfD "überflüssig" zu machen.   

Zuwanderung begrenzen, die Bundeswehr stärken und die Steuern senken: Obwohl die "Werteunion" auch finanzpolitische Themen zu ihren Kernforderungen zählt, war die Gruppe dem Fiskalkonservatismus nie so stark verpflichtet wie die Tea Party.  "Sie sind gegen Merkels Politik, aber sie haben nicht wirklich eine konkrete Vorstellung, wie sich die CDU entwickeln soll. Das unterscheidet sie von der Tea-Party-Bewegung", analysiert Professor Andreas Rödder von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz gegenüber der DW. "Sie haben eine klare Vorstellung von einem schlanken Staat und einer zurückhaltenden Regierung, aber hier gibt es keine Vision. Es ist die eher vage Vorstellung von der guten alten Zeit."

 Diese "guten alten Zeiten" reichen bis in die 1950er Jahre zurück: in die Anfangsjahre der Union, die als überkonfessionelle Partei gegründet worden war - mit deutlichen Wurzeln in der Zentrumspartei der Weimarer Republik. Ihr damaliges Profil: Entschieden antikommunistisch, mit dem Glauben an Recht und Ordnung, einer wirtschaftsfreundlichen Ideologie und konservativen Familienwerten. Die "Werteunion" ihrerseits ist in den Jahren nach ihrer Gründung noch weiter nach rechts gerückt, was das Verhältnis zur Mitte der CDU/CSU weiter belastet.

Auch die Parteiführung der Republikaner war zunächst überfordert beim Umgang mit der Tea Party und ihren rechten Positionen. Doch bereits 2016 stellte die US-Tageszeitung "Politico" fest, dass die Tea-Party-Bewegung im Grunde tot sei, auch weil einige ihrer Ideen und ihr kämpferischer Politikstil Eingang in den Mainstream der Republikanischen Partei gefunden hätten.

Anbiederung an die AfD

Vor einer fundamentalen Weichenstellung steht nun auch die "Werteunion". Nach der Wahl von Max Otte zum neuen Vorsitzenden Ende Juni ist es zu einem Exodus aus den Reihen der Partei gekommen. Der im konservativen Parteiflügel populäre CDU-Bundestagskandidat Friedrich Merz hat alle Parteimitglieder zum Austritt aus der "Werteunion" aufgerufen. Auch der in der CDU umstrittene frühere Leiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, der in der Vergangenheit die Nähe zur "Werteunion" gesucht hatte, distanziert sich mittlerweile von der Bewegung. Der ehemalige "Werteunion"-Vorsitzende Alexander Mitsch hat die Gruppe vor wenigen Tagen verlassen.

Otte steht der AfD nahe und gab sogar zu, die Partei bei der letzten Bundestagswahl 2017 gewählt zu haben. Otte könnte nun versuchen, die "Werteunion" näher an die AfD heranzuführen, obwohl jede Form der Annäherung an die AfD von der CDU-Führung immer wieder zur roten Linie erklärt worden ist.  

Auch Unions-Kanzlerkandidat und CDU-Parteichef Armin Laschet markiert Distanz zur "Werteunion". "Diese Gruppe hat nichts mit der CDU zu tun", so Laschet nach der Wahl Ottes, die zu einer Welle von Austritten und Abspaltungen in der Gruppe geführt hat. Nach Angaben von Oliver Kämpf, dem stellvertretenden Leiter der "Werteunion" in Baden-Württemberg, hat sie noch rund 3700 Mitglieder. Diese Zahl verblasst im Vergleich zu den insgesamt 400.000 Mitgliedern der CDU und den 140.000 Frauen und Männern mit CSU-Parteibuch.

Die Austrittswelle aus der "Werteunion" hat ihren Einfluss auf die Union stark vermindert. Doch auch ein möglicherweise bevorstehender Kollaps der "Werteunion" dürfte den Richtungsstreit innerhalb der Union kaum lösen. "Die 'Werteunion' zerstört sich selbst. Sie implodiert. Es ist der gleiche Prozess der Selbstradikalisierung; das ist das gleiche Muster, das man bei der Tea Party beobachten kann", so CDU-Mitglied Andreas Rödder. "Ich glaube nicht, dass die 'Werteunion' existenzbedrohend für die CDU sein wird." Aber die Spaltung der Partei, so der Historiker, sei ein Erbe der Ära Merkel und sie werde weitergehen.

Aus dem Englischen adaptiert von Andreas Noll.