Das müssen Sie hören!
8. September 2016Richard Wagner hat es so gewollt: Fernab von den Metropolen sollten seine Festspiele stattfinden - in Bayreuth, wo es nur ein Thema gibt: Wagner und seine Werke. Dieses Rezept wurde 1876 erstmals erprobt und hat sich bis heute im Wesentlichen nicht geändert. Die Eröffnung von Deutschlands Top-Sommerkulturevent zieht viele Promis an. Danach bleiben die Wagnerianer aus aller Welt unter sich. Es geht darum, Wagners Musikdramen in dem Haus zu erleben, das "der Meister" ausdrücklich für diesen Zweck konzipierte - vor allem in der besonderen Akustik, die oft imitiert, doch nie erreicht worden ist. Nicht zu vergessen: Dieses Festival ist - obwohl in öffentlicher Trägerschaft - zumindest künstlerisch in Familienhand geblieben; die jetzige Leiterin heißt auch Wagner. Nicht, dass nicht darüber gestritten würde; fast jedes Jahr vor Festspielbeginn steigern die alljährlichen Familienquerelen unter Richard Wagners Nachkommen die Spannung. Die Kleiderordnung? Smoking und Fliege - mit oder ohne Zylinder - waren früher in Bayreuth Pflicht. Heute reicht ein schwarzer Anzug.
Auf der "Straße, die die Menschheit bedeutet," zwischen Felsenreitschule und großem Festspielhaus versammelt sich das Publikum an den lauen Sommerabenden in der Geburtsstadt Mozarts. Die Salzburger Festspiele umfassen Konzerte, Oper und Schauspiel. Die rituelle Freiluft-Aufführung des Schauspiels "Jedermann" von Festival-Mitgründer Hugo von Hofmannsthal vor Dom und Festung eröffnet das Spektakel. Danach folgen sechs Wochen Aufführungen der besonderen Art - denn "in Salzburg aufgetreten" ist ein Prädikat, das die Lebensläufe der weltbesten Musiker schmückt. Etwas vom Glanz bekommt das Publikum mit ab, das für den Eintritt zum Teil mittlere dreistellige Summen berappen muss. "Formal Attire" ist Pflicht.
Schleswig-Holstein Musik Festival
Das Festival, 1986 vom deutschen Pianisten Justus Frantz gegründet, hatte bereits in der Geburtsstunde einen besonderen Gast: den amerikanischen Komponisten und Dirigenten Leonard Bernstein. Er dirigierte in den ersten Jahren bei dem Festival. Was Bernstein vermutlich überzeugte: Das Festival ist ländlich und locker, freundlich und mit nahbaren Künstlern. So wie Bernsteins eigenes Musikfest in Tanglewood, Massachusetts. Fast dreißig Jahre später floriert das Festival, das an Orten stattfindet, die über ein ganzes Bundesland verteilt sind. Mit rund 180 Veranstaltungen kann von einer Klassik-Krise hier nicht die Rede sein. Nachdem bei den verschiedenen Länderschwerpunkten (etwa Musik und Musiker aus den Niederlanden) die Länder ausgegangen sind, fokussiert man sich in Schleswig-Holstein inzwischen auf Komponisten. Kleiderprotokoll? Bequem soll es sein; schließlich finden die Konzerte mitunter in ländlichen Scheunen statt.
Spannungen - Musik im Kraftwerk Heimbach
Hier treffen sich "absurd begabte Musiker", um den Festivalgründer und künstlerischen Leiter Lars Vogt zu zitieren. "Friends of Lars" nennen sich die Künstler, die dem Ruf des deutschen Pianisten folgen, zusammen in einem kleinen Eifeldorf südlich von Köln zu musizieren. Fast für sich möchte man meinen, wenn deutlich wird, wie viel Spaß sie dabei haben. Aber nicht nur, denn das Online-Kartenkontingent ist binnen Stunden ausverkauft. Das noch funktionierende hydroelektrische Stromkraftwerk im Jugendstil aus dem Jahr 1907 wird für eine Woche stillgelegt, und an langen Juniabenden bekommt die Kammermusik in der hellen Akustik darin fast sinfonische Größe. Und wenn die Musiker auf der vorgelagerten Bühne zwischen schwarz angestrichenen, alten Turbinen ihr Bestes geben, fühlen sich die Gäste vollends ins Geschehen hineingezogen. Einige nennen es das beste Kammermusikfestival der Welt. Das treue Festivalpublikum gibt sich betont lässig, hört jedoch gebannt zu: Man könnte in den Generalpausen eine Stecknadel fallen hören.
1984 wurde das Festival von drei ehemaligen Mitgliedern des Knabenchors der Regensburger Domspatzen gegründet. Zwei davon, Stephan Schmid und Ludwig Hartmann, sind bis jetzt die künstlerischen Leiter des Fests und zeigen Jahr für Jahr, wie jung, abwechslungsreich und aufregend die Alte Musik-Szene ist. Wer die Stars der Szene von morgen erleben möchte, geht nach Regensburg: Die Veranstalter haben eine sehr gute Spürnase. Die ganze Regensburger Innenstadt ist UNESCO-Welterbestätte und mit bis zu fünf Konzerten pro Tag hat man, wenn man von Termin zu Termin eilt, gerade genug Zeit, etwas davon mitzubekommen. Kleiderordnung: Es geht hier um die Musik und es sind viele Freaks dabei - also bitte nicht zu formell.
Das Festival der kurzen Entfernungen und der langen Programme: Bad Kissingen ist mit Kurpark, ein paar Kirchen, Wandelhalle und Regentensaal sehr überschaubar, aber hier geben sich die weltbesten Musiker die Klinke in die Hand. In vergangenen Zeiten kam Bismarck hierher; auch Kaiserin Elisabeth. Und das Quellwasser, das sie anzog, fließt heute aus goldenen Hähnen. Um die Promis von damals zu unterhalten, baute man den Regentensaal, der mit dem holzgetäfelten Innenraum eine ganz eigene, fast Bayreuth-ähnliche Akustik bietet. Hier darf man sich anständig anziehen. Wer sich allzu formell gibt, wäre jedoch fehl am Platz.
Die Stadtbürger sind offensichtlich stolz auf ihren großen Sohn: Johann Sebastian Bach verbrachte 27 Jahre seines Lebens in Leipzig und ist in der dortigen Thomaskirche begraben. Dennoch hat dieses Festival auffallend viele auswärtige Besucher: Rund zwei Drittel der Besucher sind Nicht-Leipziger; ein hoher Anteil davon kommt aus dem europäischen Ausland sowie aus Japan und den USA. So sind Programmhefte und Publikumsansprachen hier auf Deutsch und auf Englisch. Bachs Musik hat eben eine universelle Anziehungskraft. Wie kann man es sonst erklären, dass es auf dem Leipziger Marktplatz zwischen Thomas- und Nikolaikirche Tausende Zuhörer bei Public Viewing oder Livekonzerten gibt? Und diese lauschen wie beim Hochamt. Das Bachfest Leipzig, das erst seit 1999 in dieser Form stattfindet, ist inzwischen eines der wichtigsten Klassik-Festivals in Deutschland geworden. Man gibt sich hier - auch was die Bekleidung betrifft - vollkommen normal. Bach sei dank.
1845 - in dem Jahr wäre Ludwig van Beethoven 75 Jahre alt geworden - gründete Franz Liszt ein kleines Fest zu Ehren des in Bonn geborenen Komponisten. Aber so richtig in Fahrt kam das Beethovenfest erst 1999 - ähnlich wie in Leipzig. Seit 2014 ist Liszts Ur-Urenkelin Nike Wagner Intendantin. Sie gibt dem Fest eine starke thematische Ausrichtung und verfolgt interdisziplinäre Ansätze. Das Beethovenfest Bonn ist also inzwischen weniger ein Schaulaufen der Musiker und Orchester als ein gedankenanregendes Programm, das auch in die Bereiche Tanz und Theater hineinreicht. Verflossen ist die hochtrabende Vision eines neuen Bonner Festspielhauses. Was bleibt, ist ein Fest mit Beethoven drauf und ziemlich viel Beethoven drin, aber nicht nur: Zeitgenössische Musik wird hier auch gepflegt. Und die Kleiderordnung? Normal: von leger bis formell, ist alles dabei.