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Richard Wagner und die Juden

Marie Todeskino22. Mai 2013

Der berühmte deutsche Komponist war ein glühender Antisemit. Gleichzeitig bewunderte er Juden wie den Dichter Heinrich Heine und hatte jüdische Mäzene und Fans. Wie passt das zusammen? Woher stammt seine Verachtung?

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Richard Wagner, Stahlstich von Froer Wagner (Foto: picture-alliance/akg-image)
Bild: picture-alliance/akg-images

Zürich im Jahr 1850. "Der Jude", schreibt Richard Wagner, sei an sich "unfähig", "weder durch seine äußere Erscheinung, noch durch seine Sprache, am allerwenigsten aber durch seinen Gesang, sich uns künstlerisch kundzugeben." Er könne nur "nachkünsteln". In seinem Pamphlet "Das Judenthum in der Musik" macht er keinen Hehl aus seiner Verachtung. Als Wagner diese Zeilen unter Pseudonym in einer Musikzeitschrift veröffentlicht, ist er über Fachkreise hinaus noch unbekannt. Er lebt mit begrenzten Mitteln in der Schweiz.

Zum bewunderten Revolutionär der Musik, aus dessen Feder rauschhafte Opern wie "Lohengrin" oder "Die Walküre" stammen, wird Richard Wagner erst später. Für sein geniales Werk wird er bis heute auf der ganzen Welt verehrt. Zu seinem 200. Geburtstag, am 22. Mai 2013, feiert Deutschland ihn als Künstler. Doch es gibt auch eine hässliche Seite Wagners: Er verachtete Juden. Seine antisemitischen Ansichten wurden im Laufe seines Lebens immer aggressiver. Die Auseinandersetzung mit seinem geistigen Erbe ist gerade im Richard-Wagner-Jahr 2013 wichtig, um ein düsteres Kapitel deutscher Kulturgeschichte zu verstehen.

Antisemitismus: Von den Bierkellern in die bürgerlichen Salons

Nach Wagners Tod im Jahre 1883 lebte das verhängnisvolle Vermächtnis des Antisemitismus fort. Seine Frau Cosima und einige Nachkommen machten die berühmten Festspiele von Bayreuth, die Wagner noch zu Lebzeiten begründet hatte, zu einem Ort der Ausgrenzung jüdischer Künstler und zu einem Sammelbecken rassistischer Ideen. Später vereinnahmten die Nationalsozialisten den Komponisten. Adolf Hitler verehrte seine Musik, er schätzte ihn aber auch als Wegbereiter des Antisemitismus in Deutschland. Denn für rassistische und nationalistische Gegner der Moderne in Deutschland war Wagner bereits zu seinen Lebzeiten ein wichtiger Stichwortgeber.

Richard und Cosima Wagner (Foto: Wikipedia GEMEINFREI) Summary Project Gutenberg text 11419. The Love Affairs of Great Musicians, Volume 2 by Rupert Hughes, dated 1903. Originally published by L. C. Page & Company, Boston, 1904. Original photo taken on 9th of May 1872 in Vienna by Fritz Luckhardt (1843-1894). Licensing Public domain This image (or other media file) is in the public domain because its copyright has expired. This applies to Australia, the European Union and those countries with a copyright term of life of the author plus 70 years. Dialog-warning.svg You must also include a United States public domain tag to indicate why this work is in the public domain in the United States. Note that a few countries have copyright terms longer than 70 years: Mexico has 100 years, Colombia has 80 years, and Guatemala and Samoa have 75 years, Russia has 74 years for some authors. This image may not be in the public domain in these countries, which moreover do not implement the rule of the shorter term. Côte d'Ivoire has a general copyright term of 99 years and Honduras has 75 years, but they do implement the rule of the shorter term.
Glühende Antisemiten: Richard Wagner und seine Frau Cosima

Der Name eines der berühmtesten Komponisten seiner Zeit hatte Gewicht. Wagner hat seinen Teil dazu beigetragen, den Antisemitismus aus den Bierkellern und kleinen antisemitischen Blättern herauszuholen, sagt der Theater- und Literaturwissenschaftler Jens Malte Fischer. "Das war verhängnisvoll und verheerend und muss ihm angelastet werden." Fischer forscht seit Jahren über den Komponisten und hat nun ein weiteres Buch über ihn veröffentlicht. Die Judenfeindschaft habe Wagner zwar nicht erfunden, so der Wissenschaftler. Doch in einem Punkt sei er Pionier gewesen: "Er hat die Judenfeindlichkeit seiner Zeit auf den Bereich der Kultur und vor allem auf das Gebiet der Musik übertragen." Im deutschen Bürgertum machte er den Antisemitismus auf diese Weise salonfähig.

Worauf gründet sich Wagners Judenhass?

Der Historiker Hannes Heer kuratiert die Ausstellung "Verstummte Stimmen. Die Bayreuther Festspiele und die 'Juden' 1876 bis 1945", die bis Ende 2013 in Bayreuth zu sehen ist. "Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts findet eine Ablösung des christlich geprägten Antijudaismus durch einen auf die Moderne fixierten Antisemitismus statt." Seit dieser Zeit wird die traditionelle christliche Judenfeindschaft nicht mehr religiös begründet, sondern politisch und rassistisch. Nationalistische Schriftsteller und Autoren erklärten Juden zum angeblichen Feind einer "deutschen Nation", es entstanden judenfeindliche Organisationen, es kam zu antijüdischen Ausschreitungen. Diese politischen und geistigen Strömungen wurden prägend für Richard Wagner.

Der Historiker Hannes Heer (Foto: dpa)
Der Historiker Hannes HeerBild: picture alliance/dpa

Typisch für die Autoren der damaligen Zeit war die Verknüpfung von Kritik an der Moderne mit Judenfeindlichkeit: In ihrem Feindbild waren Juden die Protagonisten des neuen, kapitalistisch-industriellen Zeitalters, das sie ablehnten. Doch auch persönliche Erfahrungen schlugen sich in Wagners antisemitischen Einstellungen nieder: In den 1840er Jahren ging er nach Paris, wo der junge ehrgeizige Komponist aber nicht reüssieren konnte. Jens Malte Fischer erläutert: "Er hat das Gefühl, der Musikbetrieb, in dem er keinen Erfolg hat, sei in jüdischer Hand. Das ist so natürlich nicht wahr." Wagner fokussierte seine Frustration auf Kritiker, Musikjournalisten und Verleger jüdischer Abstammung, die er für sein Scheitern verantwortlich sah.

Hassliebe und Schikanen

In Paris traf Wagner den deutschen Dichter Heinrich Heine, den er zunächst bewunderte. Heine war jüdischer Herkunft, konvertierte aber zum Protestantismus. Auch der Opernregisseur Giacomo Meyerbeer, ebenfalls Jude, förderte Wagner. "In Briefen zeigt Wagner sich dafür äußerst dankbar", weiß Wagner-Experte Fischer. Zurück in Deutschland unterhielt Wagner später Kontakte zu wohlhabenden Deutschen mit jüdischen Wurzeln - zum Beispiel zum Mathematiker und Kunstförderer Alfred Pringsheim. Er unterhielt sogar einen Briefwechsel mit ihm. Wie lässt sich diese Ambivalenz erklären? Der Antisemitismus-Forscher Matthias Küntzel erläutert: "Wagner hatte ein zwiespältiges Verhältnis zu Juden." Einerseits lehnte er sie ab, andererseits duldete er, dass auch Anhänger jüdischer Herkunft nach Bayreuth pilgerten, um ihm zu huldigen. Offenbar ein pragmatischer Schritt, schließlich spülten sie Geld in seine Kassen. An Wagners antisemitischer Einstellung änderte das nichts.

Der Antisemitismus-Forscher Matthias Küntzel (Foto: Matthias Künzel/privat)
Forscht seit Jahren über Antisemitismus: Matthias KüntzelBild: Privat
Wurde von Richard Wagner schikaniert: der Dirigent Hermann Levi (Foto: picture-alliance)
Wurde von Richard Wagner schikaniert: der Dirigent Hermann LeviBild: picture-alliance/akg-images

Auch das Verhältnis zu jüdischen Kollegen war mehr als problematisch, sagt der Historiker Hannes Heer. Sie seien von ihm lediglich geduldet worden, so auch der Dirigent des "Parsifal" Hermann Levi: "Levi ist leider das prominenteste Beispiel dafür, wie Wagner Juden in seiner Umgebung gequält hat." Er wollte Levi zwingen, sich taufen zu lassen. Wagner legte ihm diesen Schritt mehrfach nah. Doch der Dirigent Levi war beileibe nicht der einzige jüdische Musiker, den der Komponist psychisch unter Druck setzte.

Nach Wagners Tod wurden unter der Ägide seiner Frau und Erbin Cosima Wagner die Schikanen zum System: Sie besetzte die Rollen weitgehend mit nichtjüdischen Sängern. Diese diskriminierende Besetzungspolitik führte ihr Sohn und Nachfolger Siegfried ab 1908 weiter. Zwar gab es bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 immer wieder jüdische Solisten und Musiker in Bayreuth, doch dies geschah auch aus politischen Gründen: Siegfried Wagner wollte sich die Unterstützung der liberalen Presse sichern.

Schon zu seinen Lebzeiten wurde Wagners Haus zu einem Sammelbecken von Menschen, die antijüdische Vorurteile hegten. Jens Malte Fischer betont: "Wer in den 1870er und 1880er Jahren nicht wusste, dass Wagner ein heftiger Antisemit war, der musste schon ziemlich blind und taub sein."

Kann man einfach so Wagner-Fan sein?

Blind und taub waren Wagners Anhänger ganz sicher nicht: Sie huldigten Wagner für seine furiosen Bühnenstücke. Die Gretchenfrage in Sachen Wagner bleibt aber bis heute: Kann man Wagner hören und dabei seinen Antisemitismus ausblenden? Klingt der Judenhass auch in seinem Bühnenwerk durch? Die Mehrheit unter den Wagner-Forschern verneint das. Zu denen, die anderer Meinung sind, gehört Jens Malte Fischer. Er sagt, Wagner habe zwar keine antisemitischen Opern geschrieben, doch seine Haltung zu Juden schwinge bei der Anlage einiger Charaktere mit: "Es gibt in einzelnen seiner Figuren Anspielungen, die unterschwellig auf jüdische Stereotype verweisen, vor allem im Mime im 'Ring der Nibelungen' und im Beckmesser in den 'Meistersingern von Nürnberg'." Beide Figuren verkörpern in den Bühnenstücken Gegenspieler der heldenhaften Lichtgestalten. Wagners Zeitgenossen hätten den "antisemitischen Code" in den Rollen verstanden, meint Fischer.

Das Festspielhaus in Bayreuth im Jahr 1876 (Foto: Getty Images)
Das Festspielhaus in Bayreuth im Jahr 1876Bild: Getty Images

Heutzutage werden Wagners Stücke nicht mehr antisemitisch interpretiert. "Wenn man heute Wagner inszeniert, sind das keine antisemitisch konnotierten Werke, sondern es ist das Werk eines großen Komponisten und Theatermachers", unterstreicht Hannes Heer. Musikgenie und Judenhasser – der Mensch Richard Wagner ist und bleibt dennoch eine der umstrittensten deutschen Geistesgrößen.


Zum Weiterlesen:

Jens Malte Fischer: Richard Wagner und seine Wirkung, Zsolnay 2013, Fester Einband, 320 Seiten, ISBN 978-3-552-05614-5

Hannes Heer, Jürgen Kesting und Peter Schmidt (Hrsg.): Verstummte Stimmen. Die Bayreuther Festspiele und die "Juden"1876 bis 1945, Metropol Verlag 2012, 412 Seiten, ISBN 978-3-86331-087-5