Die Herrin von Bayreuth
25. Juli 2013Die bayerische Kleinstadt Bayreuth im Sommer. Eine lange Kolonne von Limousinen schlängelt sich zum "grünen Hügel". Vor dem weltberühmten Festspielhaus versammelt sich Deutschlands A-Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Showbusiness. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist mit ihrem Mann Joachim Sauer jedes Jahr dabei. Blitzlichtgewitter begleitet das Schaulaufen der Prominenten. Bis zum Ende der Festspielzeit werden hier die rauschhaften Opern des Komponisten Richard Wagner gespielt: "Parsifal", "Der Fliegende Holländer", oder der Zyklus "Der Ring des Nibelungen".
Eine Grande Dame
Was viele nicht wissen: Die Bayreuther Festspiele, so wie man sie heute kennt, sind gewissermaßen das Werk einer Frau, Cosima Wagner. Sie war die zweite Ehefrau des legendären Komponisten. "Cosima Wagner hat die Festspiele von Bayreuth in eine kulturelle, gesellschaftliche und wirtschaftliche Institution überführt. Das ist ihre Leistung", sagt ihr Biograf Oliver Hilmes. Nach Richard Wagners Tod im Jahr 1883 verwandelte sie die Festspiele, die zu seinen Lebzeiten eine Art Experiment waren, in einen Hotspot der damaligen deutschen Gesellschaft.
"Schon damals haben sich die Stars und Sternchen ihr Stelldichein gegeben. Sie hießen nur anders", so Hilmes. Um das musikalische Werk ihres Mannes fortzusetzen, "erfand" Cosima den Beruf der Festspielleiterin und übernahm die Führung auf dem "grünen Hügel". Doch wie konnte sie das als Frau im späten 19. Jahrhundert schaffen? "Sie war eine Französin, eine Grande Dame. Sie sprach mehrere Sprachen fließend und konnte auf Augenhöhe kommunizieren", sagt Hilmes.
Tochter von Franz Liszt
Doch nicht nur ihr Auftreten – auch Cosimas Herkunft war außergewöhnlich. Sie wurde 1837 als uneheliche Tochter des Komponisten und Pianisten Franz Liszt und der französischen Gräfin Marie d'Agoult geboren und wuchs in Paris auf. Mit 18 Jahren heiratete sie den Dirigenten und Wagner-Verehrer Hans von Bülow. Doch die Ehe, aus der zwei Töchter hervorgingen, scheiterte. Und Cosima war längst einem Anderen verfallen: dem Komponisten Richard Wagner, ebenfalls verheiratet.
Die beiden begannen eine jahrelange Affäre, bekamen drei Kinder. Schließlich verließ Cosima Hans von Bülow und zog zu Richard Wagner. Beide ließen sich scheiden und heirateten. "Das Binnenverhältnis in der Ehe zwischen Cosima und Richard war ganz stark vom Scheitern ihrer ersten Ehen geprägt. Cosima wusste, dass sie Hans von Bülow unglaublich verletzt hatte", so Oliver Hilmes. Richard Wagner stilisierte sie im Gegensatz zu ihrem ersten Ehemann zu einem Halbgott. In ihren Tagebüchern schrieb sie die Details seines Lebens und Schaffens ausführlich nieder, mit den Bayreuther Festspielen setzte sie ihm nach seinem Tod ein Denkmal. Bis 1906 führte sie die Festspiele, dann übergab sie an ihren Sohn Siegfried. Sie selbst überlebte ihren Mann um 47 Jahre.
"Weib großen Stils"
Zeitgenossen erinnerten sich vor allem an ihre hoheitsvolle Erscheinung. "Cosima Wagner ist das einzige Weib großen Stils, das ich kennengelernt habe", schrieb der Philosoph Friedrich Nietzsche. Doch Cosima konnte auch sehr kalt und abweisend sein. Oliver Hilmes spricht von einem "Leidenskomplex": "Sie ist als gebrochene Frau aus dieser Bülow-Ehe herausgekommen und hatte ein defizitäres Selbstwertgefühl." Diesen mangelnden Selbstwert kompensierte sie laut Hilmes auch durch eine radikal antisemitische Einstellung. "Cosima Wagner hatte absolut reaktionäre und antijüdische Einstellungen", sagt der Musik- und Literaturwissenschaftler Jens Malte Fischer.
Nach Wagners Tod überführte sie Bayreuth nicht nur in eine kulturelle, sondern auch in eine politische Institution, denn sie scharrte ultrarechte, antisemitische Publizisten und Aktivisten um sich. Zu diesem Bayreuther Kreis gehörte zum Beispiel der rechtsextreme Autor Houston Stewart Chamberlain, der später sogar ihre Tochter Eva heiratete. Gemeinsam huldigten sie Richard Wagner. Er war selbst Antisemit gewesen, hatte judenfeindliche Hetzschriften geschrieben. "Alles das haben Cosima und ihre Helfershelfer nach seinem Tod kanonisiert", sagt Oliver Hilmes. "In diesem übersteigerten Wagner-Kult haben sie so etwas wie Heimat gefunden." Anstatt sich zu ihren französisch-ungarischen Wurzeln zu bekennen, wählte sie eine radikal deutschnationale Haltung.
Negative Rollen für Juden
In ihrem Judenhass ging sie viel weiter als ihr verstorbener Mann. Sie setzte ihre antisemitischen Fantasien von der "Kulturunfähigkeit" jüdischer Menschen in die Tat um. Als "Herrin von Bayreuth" hatte sie nun die Macht dazu. "Cosima standardisierte die antisemitische Besetzungspolitik in Bayreuth, jüdische Künstler erst gar nicht zuzulassen, oder sie in Kleinstrollen oder negativen, so genannten 'jüdischen' Rollen einzusetzen", sagt der Historiker Hannes Heer, der die Ausstellung "Verstummte Stimmen. Die Bayreuther Festspiele und die 'Juden' 1876 bis 1945" kuratiert hat.
Ihre rechten Einstellungen spiegelten sich auch in ihrem persönlichen Umgang mit Juden wider. Dem Dirigenten Hermann Levi gegenüber hatte sie zum Beispiel eine ambivalente Einstellung. Einerseits schätzte sie seine Arbeit sehr, andererseits fühlte sie sich ihm als vermeintliche "Arierin" überlegen: "Mit ihrem Überlegenheitsgefühl hat sie ihn auch gequält", sagt Oliver Hilmes.
Das Erbe des Antisemitismus gab Cosima Wagner an ihre Kinder weiter. Unter der Ägide ihres Sohnes Siegfried und seiner Frau Winifred kam es dann viel später zum engen Schulterschluss der Familie Wagner mit Hitlers Nationalsozialisten. Cosima, die Schöpferin des modernen Bayreuth, hat diesen Ort eben auch eng mit dem Judenhass verbunden. Ein Makel, der auf ihr ebenso lastet wie auf ihrem Mann Richard Wagner.