EZB bricht mit allen Tabus
6. September 2012Am Ende war es keine wirkliche Überraschung mehr: Die Europäische Zentralbank legt ein zweites Programm zum Ankauf von Staatsanleihen krisengeplagter Euro-Länder auf. Die Märkte hatten schon länger auf eine solche Entscheidung von Europas Währungshütern spekuliert - die Aktienkurse waren in den letzten Tagen klar im Aufwärtstrend.
EZB-Chef Mario Draghi begründete die Entscheidung am Donnerstag (05.09.2012) nach der Ratssitzung in Frankfurt am Main damit, dass die Wirkung der herkömmlichen EZB-Geldpolitik wegen des Misstrauens in den Euro gestört sei. "Das wird uns in die Lage versetzen, Störungen im Markt für Staatsanleihen zu beheben, die ihre Ursache in unbegründeten Ängsten der Investoren haben, dass der Euro scheitern könnte", so der EZB-Chef auf der Pressekonferenz.
Unbegrenztes Volumen
Schon einmal hatte die EZB für rund 200 Milliarden Euro Staatsanleihen gekauft, im Frühjahr 2012 lief das Programm aus. Bei der zweiten Auflage gibt es nun keine Obergrenze für das Volumen. Das Programm werde beendet, wenn die Ziele erreicht seien, kündigte Draghi an. "Lassen Sie mich wiederholen, was ich letzten Monat gesagt habe: Wir halten an unserem Mandat strikt fest, die Preisstabilität aufrecht zu erhalten. Wir sind unabhängig in unserer Geldpolitik. Der Euro ist unumkehrbar."
Wichtigste Bedingung für ein Eingreifen der EZB sei, dass ein Land, dessen Anleihen gekauft würden, zuvor unter den Euro-Rettungsschirm geschlüpft sei, sagte Draghi. Dies sei nötig, um sicherzustellen, dass die Interventionen an Bedingungen geknüpft seien, etwa eine Sanierung der Staatsfinanzen oder Konjunkturprogramme.
Eine Gegenstimme
Der EZB-Beschluss zum neuen Anleihenkauf-Programm fiel nicht einstimmig. Draghi wörtlich: "Wir werden nicht sagen, wer dagegen war. Sie können darüber spekulieren." Es gab nur eine Gegenstimme. Bundesbankpräsident Jens Weidmann hatte bereits im Vorfeld seinen Widerstand gegen das Programm kundgetan. Seiner Ansicht nach verstößt die EZB mit solchen Käufen gegen den EU-Vertag, der die Staatsfinanzierung durch die Zentralbank verbietet.
EZB-Chef Draghi spielte den Ball schließlich an die Politik zurück, in dem er deutliche Reformanstrengungen in den Mitgliedsländern der Eurozone einforderte: "Um das Vertrauen wieder herzustellen, müssen die Politiker in Europa entschieden daran arbeiten, ihre Haushalte zu konsolidieren, Strukturreformen für die Wettbewerbsfähigkeit umzusetzen und europäische Institutionen aufzubauen."
Von Zustimmung bis Ablehung
Die Reaktionen auf den erwarteten EZB-Beschluss reichten von Zustimmung bis schroffer Ablehnung. Von einer "Zeitenwende" sprach der Ökonom Ansgar Belke von der Universität Duisburg-Essen. "Es ist das Ende der Orientierung am Niveau der Preisstabilität in der gesamten Eurozone." Man orientiere sich jetzt am Schicksal einiger Länder, zum Beispiel Spanien. "Das ist eine Abkehr vom Prinzip einer Geldpolitik, die einheitlich für die gesamte Eurozone ist", so Belke im DW-Interview.
Der Chef der deutschen Sparkassen, Georg Fahrenschon, nannte den Anleihekauf "den falschen Weg". Dagegen sieht Gustav Horn, Direktor des Instituts für Makroökonomie, in dem Programm "den einzigen Weg" für die Schuldenstaaten, wieder auf die Beine zu kommen. Martin Blessing, der Chef der Commerzbank, sieht im Programm zum Kauf von Anleihen durch die Europäische Zentralbank schlicht einen Bruch geltenden Rechts, erklärte er auf einer Bankentagung in Frankfurt. "Ich kann mir nicht vorstellen, wie durch einen Rechtsbruch langfristig Vertrauen aufgebaut werden kann."