EZB wird zu Europas Politbüro
7. September 2012Wen soll ich anrufen, wenn ich mit Europa sprechen will? Es war der frühere US-Außenminister Henry Kissinger, der diese Frage einst stellte. Heute müsste man ihm antworten: In Frankfurt, bei der Europäischen Zentralbank. Denn dort, das ist seit Donnerstag klar, wird europäische Politik gemacht. Und nicht in Brüssel.
Mit ihrer Entscheidung, Staatsanleihen kriselnder Euroländer in unbegrenzter Höhe aufzukaufen, hat die EZB mit ihrem bisherigen Grundsatz gebrochen, wonach sie einzig und allein der Preisstabilität verpflichtet sei. Das ist nun vorbei. Die Währungshüter brechen mit dieser Tradition, und sie brechen bestehendes Recht. Die Bank wird zum Staatsfinanzierer.
Einzig der deutsche Vertreter im Rat der EZB, Bundesbank-Chef Jens Weidmann, stimmte gegen die Entscheidung. Selbst Länder, die sich bislang auf seine Seite geschlagen hatten - Finnland, Luxemburg und die Niederlande – verweigerten dem Deutschen am Ende die Gefolgschaft. Und schlimmer noch: Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Weidmann immer Rückendeckung gegeben hatte, bescheinigt nun der EZB, sie handele im Rahmen ihres Mandats.
Wie kann die EZB aber nun noch behaupten, sie sei die unabhängigste Notenbank der Welt? Das nämlich soll sie laut ihren eigenen Statuten und der EU-Verfassung sein. Das kann sie aber gar nicht mehr sein, weil der Beschluss vom Donnerstag ja auch vorsieht, den Kauf von Staatsanleihen erst zu tätigen, wenn das jeweilige Land unter den Rettungsschirm geschlüpft ist. Damit macht die Notenbank Politik.
Und was bitte soll an dem neuen Programm besser sein als beim ersten Programm dieser Art? Schon in den vergangenen beiden Jahren hat die EZB ihren Sorgenkindern deren Schuldentitel abgekauft. Zwar mit einem finanziellen Rahmen, aber doch mit der Hoffnung versehen, dass die Politiker in den Krisenstaaten nunmehr daran gehen, dringend notwendige Reformen anzupacken. Das ist nur halbherzig geschehen. Spanien und Italien mussten trotzdem Rekordzinsen für neue Schulden bieten. Zu hohe Marktzinsen für Staatsanleihen sind aber nichts weiter als die Rechnung für nicht gemachte Hausaufgaben.
Wenn die EZB nun also derart massiv in den Markt für Staatsanleihen eingreift, weil dieser, so Notenbank-Chef Mario Draghi, gestört ist, dann kann das vielleicht für kurze Zeit zu einer Entspannung führen. Am langen Ende wird Europa diese gigantische Last auf die Füße fallen.
Im Grunde genommen ist es nun auch egal, wie das Bundesverfassungsgericht am kommenden Mittwoch über den Rettungsschirm ESM urteilen wird. Ob dieser Mechanismus vereinbar ist mit dem deutschen Grundgesetz ist oder nicht: Selbst wenn das Gericht nein sagen sollte, wird es die EZB nicht davon abhalten, ihr Anleiheprogramm durchzuziehen.
Bundeskanzlerin Merkel wird Draghi dankbar sein. Sie muss das Parlament nicht mehr fragen, wenn der Rettungsschirm weiter aufgebläht werden muss. Denn es entscheidet ja – richtig: Die Europäische Zentralbank. Sie hat die Gelddruckmaschine nun angeworfen, und nur Mario Draghi weiß, wo der Schalter ist.