"Die EU hat getan, was möglich ist"
13. März 2019Es war wieder mal eine der vielen Brexit-Abstimmungen im britischen Parlament. Diesmal ging es darum, ob sich das Vereinigte Königreich ohne jede Regelung aus der EU verabschieden will. Eine Mehrheit fand sich für diese drastische Brexit-Variante wie erwartet nicht: 321 Abgeordnete votierten für einen geregelten EU-Austritt und 278 dagegen.
Rechtlich bindend ist der Beschluss zwar nicht, er erhöht aber die Chancen auf eine Verzögerung des Austritts aus der Europäischen Union. An diesem Donnerstag geht es dann weiter im Abstimmungsmarathon. Diesmal eben mit der Frage, ob der EU-Austritt verschoben werden soll. Bislang ist geplant, dass Großbritannien am 29. März die EU verlässt.
EU verlangt Plan B von Briten
Weitere Verhandlungen für einen Vertrag zum Ausstieg aus der EU mit der britischen Regierung schließt die Europäische Union aus. Es wird keine dritte Chance geben, nachdem das britische Parlament am Dienstag den Brexit-Vertrag zum zweiten Mal zurückgewiesen und die Autorität von Premierministerin Theresa May untergraben hat, erklärte ein Sprecher von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Junckers Stellvertreter, EU-Kommissar Frans Timmermans, sieht die Europäische Union jetzt komplett "in der Hand des politischen Systems in Großbritannien".
Der Chefunterhändler der EU, Michel Barnier, bezweifelte, dass eine Verlängerung der Verhandlungsphase über den festgelegten Brexit-Termin am 29. März hinaus sinnvoll wäre. "Warum soll man Verhandlungen verlängern, wenn die Verhandlungen abgeschlossen sind", fragte Barnier in einer Debatte des Europäischen Parlaments in Straßburg zur Lage in Großbritannien. Viel Kritik und manchmal sogar Häme zum bisherigen Brexit-Kurs waren im Plenum zu hören. "Das Vereinigte Königreich gerät völlig außer Kontrolle", sagte der Vorsitzende der liberalen Fraktion, Guy Verhofstadt.
Eine Lösung konnten die Abgeordneten und die Vertreter von EU-Kommission und Rat aber auch nicht anbieten. Die Europäische Union machte klar, dass es eine Verschiebung des Brexit-Datums, das seit zwei Jahren auf den 29. März festgesetzt ist, nur mit einer ausreichenden Begründung geben kann. Nur wenn klar ist, was das britische Parlament will, sei eine Verlängerung der Verhandlungsphase nach Artikel 50 der EU-Verträge bis maximal Anfang Juli möglich, so Parlamentspräsident Antonio Tajani.
Der Vorsitzende der Christdemokraten im Europaparlament, Manfred Weber, sagte der DW, wenn die Briten keinen klaren Grund für eine Verlängerung nennen könnten, dann sei er für einen harten Ausstieg zum festgelegten Datum. "Der harte Brexit ist näher als jemals zuvor", warnte Weber. "Wir sprechen über Millionen Menschen, die nicht wissen, wie ihre Lebensbedingungen sein werden." Manfred Weber spielte auf die etwa drei Millionen EU-Bürger in Großbritannien und die eine Million Briten an, die auf dem Kontinent leben.
Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron bestand in einer ersten Reaktion in Paris darauf, dass eine Verlängerung des Brexit-Dramas kritisch geprüft werden müsse. Die deutsche Bundeskanzlerin sieht das angeblich lockerer. Angela Merkel hatte schon beim EU-Gipfel mit der Arabischen Liga in Scharm el Scheich vor zwei Wochen laut diplomatischen Quellen gesagt, eine Verlängerung bis Anfang Juli sei "leicht" zu erreichen.
Die Europawahl als Grenze
Im Juli tritt das im Mai neu zu wählende Europäische Parlament zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Sollte Großbritannien dann immer noch Mitglied in der EU sein, müssten 72 Abgeordnete aus dem Vereinigten Königreich ins Parlament entsandt werden. Es gilt als politisch kaum vorstellbar, dass in der jetzigen verfahrenen Lage in Großbritannien Wahlen für eine Institution abgehalten werden, aus der die Briten ja eigentlich austreten wollen.
"Sie wollen ja wohl kaum, dass ich oder Horden von Brexit-Vorkämpfern in dieses Parlament im Juli zurückkehren", sagte der breit grinsende britische Abgeordnete Nigel Farage, der seit 20 Jahren für den Brexit arbeitet. "Die EU hat einfach zu viel verlangt", behauptet Farage. "Wir wollen einfach raus und nicht mehr von Euch regiert werden." Die Abgeordneten der britischen Konservativen, der Partei von Premierministerin Theresa May, schwänzten die Debatte. Ihre Bänke blieben leer.
"Die EU hat alles getan, was möglich ist", sagte EU-Chefunterhändler Barnier. "Jetzt muss Großbritannien die interne Blockade überwinden." Aus der Umgebung Barniers hieß es, eine kurzfristige Verlängerung der Brexit-Verhandlungen sei sinnlos, weil in so kurzer Zeit wenig erreicht werden könnte. Deshalb gibt es auch den Vorschlag, die Verhandlungsphase gleich um fast zwei Jahre zu verlängern und britische Vertreter im Europaparlament, in der EU-Kommission und im Ministerrat zu halten.
Der Brexit-Minister der britischen Regierung, Stephen Barclay, sagte in einem BBC-Interview, ein No Deal hätte negative wirtschaftliche Auswirkungen, aber die Gefahr, dass es am Ende gar keinen Brexit geben könnte, wäre größer. "Das wäre eine Katastrophe für unsere Demokratie. Deshalb glaube ich, dass von den beiden unbequemen Möglichkeiten, überhaupt kein Brexit die schlechtere wäre." Die Abstimmung heute ist von der Premierministerin für ihre konservative Fraktion freigegeben worden. Jeder Abgeordnete soll nach seinem Gewissen abstimmen. Eine Vorhersage für den Ausgang des Votums ist deshalb schwer.
Zölle an der irischen Grenze?
Das Europäische Parlament wird am Mittwoch wohl eine Reihe von Notfallverordnungen billigen, mit denen die EU-Kommission die Mitgliedsstaaten auf einen harten Brexit vorbereitet. Es geht darum, den Flug- und Fährverkehr mit Großbritannien aufrechtzuerhalten und Visa-freien Reiseverkehr einzuführen. Die britische Regierung kündigte heute an, sie wolle an der Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und Nordirland, das zum Vereinigten Königreich gehört, keine Grenzkontrollen einführen. Außerdem sollen mögliche Einfuhrzölle nach Großbritannien gesenkt werden, um dort die Versorgung mit Waren aus der Europäischen Union sicherzustellen.
Ob und wie Irland an der Landgrenze zu Großbritannien Zölle erheben wird, ist noch nicht klar. Theoretisch wäre die irische Regierung verpflichtet, diese neue Außengrenze der EU zu kontrollieren. Diese Grenzkontrollen könnten aber den instabilen Frieden zwischen den katholischen und protestantischen Bevölkerungsgruppen in Nordirland gefährden. Diese prekäre Lage sollte eigentlich mit einem Freihandelsabkommen zwischen der EU und Großbritannien verhindert werden, das bis Ende 2020 ausgehandelt werden sollte. Die irische Europaministerin Helen McEntee kündigte an, sollte alles auf einen harten No-Deal-Brexit hinauslaufen, würde ihre Regierung schnellstens Verhandlungen mit der EU und Großbritannien über das Grenzregime anstreben.