Die Debatte im britischen Unterhaus war leidenschaftlich und lange. Politische Unterhaltung pur, aber leider mit dem gleichen Ergebnis wie im Januar. Das Parlament lehnt den Austrittsvertrag mit der EU erneut ab. 17 Tage vor dem Austrittsdatum steht Großbritannien vor einem Sprung von der Brexit-Klippe hinab in einen unbekannten wirtschaftlichen und politischen Abgrund. Sowohl Brexit-Befürworter als auch Brexit-Gegner lehnen den Vertrag, den die britische Premierministerin und die EU in letzter Minute noch einmal nachgebessert hatten, mit unterschiedlichen Argumenten ab. Die Wähler, die Parteien, das Parlament, die Regierung: alle sind gespalten. Ein Land in der Krise. Ein Zerfall der Union, des Vereinigten Königreichs aus Schottland, Wales, England und Nordirland ist nicht ausgeschlossen als Folge des Brexit-Schocks.
Die EU war nicht in der Lage, den Briten einen gangbaren Weg anzubieten. Das ist auch ein Versagen auf dem Kontinent und in Brüssel. Der Schaden, der durch einen ungeregelten Brexit entsteht, ist auch für die EU groß. Schließlich löst sich die zweitgrößte Volkswirtschaft der EU schlagartig aus dem Binnenmarkt. Großbritannien und die EU rennen ohne Not in eine selbst gestellte Falle. Außerhalb der EU kann man sich nur fassungslos an den Kopf fassen und fragen, wie konnte das passieren? Oder man kann sich wie der amerikanische Präsident und andere auf Isolationismus setzende Nationalisten freuen, dass sich Europa selbst schwächt.
Der Traum der Brexit-Nationalisten, Großbritannien werde befreit von eingebildeten Fesseln der EU, bald wieder zu alter imperialer Größe gelangen, dürfte bald zerplatzen. In einer globalisierten Welt kann ein Land von der Größe Großbritanniens alleine wenig ausrichten, auch wenn die Briten Atomwaffen besitzen und einen Sitz im Weltsicherheitsrat innehaben.
Zeit, den Unsinn zu beenden
17 Tage bleiben noch, das Schlimmste abzuwenden. Am Mittwoch und am Donnerstag wird das Unterhaus darüber abstimmen, ob tatsächlich ein Brexit im freien Fall ohne Übergangsphase gewagt werden soll oder ob man wenigstens diesen Wahnsinn abbläst und die Brexit-Verhandlungen um einige Wochen verlängert. Der beste Ausweg aus der Sackgasse wäre allerdings ein Schritt, der großen Mut von der bislang durch Sturheit aufgefallenen Premierministerin verlangen würden. Theresa May sollte den Antrag auf Austritt aus der EU nach Artikel 50 komplett zurückziehen und dann zurücktreten. Ein neuer Regierungschef oder eine neue Regierungschefin könnte dann in aller Ruhe einen neuen Anlauf wagen, wenn sich die Briten klar geworden sind, was sie eigentlich wollen. Wirtschaftlicher Schaden wäre abgewendet und Frau May wäre der angestrebte Platz in den Geschichtsbüchern sicher, allerdings aus anderen Gründen als gedacht. Die Premierministerin hat diesen Ausweg im Parlament zum ersten Mal selbst angedeutet. Sie hat eingesehen, dass sie gescheitert ist. Sie konnte nicht liefern.
Wahrscheinlicher ist aber, dass die Premierministerin weitermacht und von der EU eine Verlängerung der Verhandlungsfrist verlangt. Sie schränkte aber selbst ein, dass die EU dafür einen guten Grund verlangen wird. Man kann das Drama nicht einfach verlängern. Möglich wäre auch ein zweites Referendum. Aber welche Frage sollte man stellen?
Die EU würde am Ende wohl einer Verlängerung zustimmen, denn niemand soll sagen können, Brüssel hätte den Stecker gezogen und sei irgendwie Schuld am absehbaren Chaos auf den britischen Inseln. Der Dramatiker Shakespeare hätte seine Freude an diesem Verwirrspiel.