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Die Endlichkeit der Landwirtschaft

10. Januar 2018

Wie viel Fleisch essen wir? Und welche Auswirkungen hat der Konsum tierischer Produkte auf Mensch, Tier, Umwelt? Der Fleischatlas 2018 gibt Antworten.

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Wiener Schnitzel vom Kalbsbries mit weißem Sellerie und Morcheln
Als Schnitzel getarnt:: Kalbsbries, aus der Thymusdrüse, gilt in der Sterneküche als DelikatesseBild: picture-alliance/dpa/U.Bernhart

Die Weltbevölkerung hat sich in den vergangenen 50 Jahren verdoppelt - die Fleischproduktion verdreifacht. Ein Trend mit fatalen Auswirkungen: Er fördert Hunger, Armut, erschwert Klima- und Artenschutz. So beschreibt die Welternährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO die Lage.

Die Deutschen haben 2016 pro Kopf durchschnittlich 59 Kilogramm Fleisch gegessen, etwa eineinhalb Kilogramm weniger als im Vorjahr, jedoch kaum weniger als zehn Jahre zuvor. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt höchstens die halbe Menge. 

Guten Gewissens Fleisch essen? Das ist kaum noch möglich. Die Gesellschaft diskutiert kontrovers über den Konsum von Rind, Schwein und Geflügel. Die einen schwören auf das Low-Carb-Prinzip, setzen bei ihrer Ernährung auf große Mengen Fleisch, Fisch, Eier, Milchprodukte und grillen das ganze Jahr im Freien. Andere sind zu überzeugten Veganern mutiert, verzehren Körner, Salate und Gemüse, lehnen Keule, Filet, sogar Eier konsequent ab. Auch das Tierwohl ist ins Bewusstsein gerückt.

Schweiz Metzgete - Öffentliche Schlachtung (picture alliance/Keystone(C. Merz)
Hund oder Schwein - für Tierschützer gibt es keinen Unterschied zwischen Haustier und Nutztier Bild: picture alliance/Keystone(C. Merz

Diese Trendwende ist auch eine Reaktion auf den "Fleischatlas", der seit 2012 jährlich publiziert wird. Ziel der Tierschützer ist es, die  Verbraucher über ökologische und soziale Schäden zu informieren, die mit der industriellen Produktion von Fleisch verbunden sind. 

Im Auftrag der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung, des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und der deutschen Ausgabe der französischen Le Monde diplomatique bietet die Broschüre Lösungen an, mit der Absicht, den Konsum zu reduzieren, das Bewusstsein für qualitativen Genuss zu schärfen sowie den Tieren und ihren Produkten mehr Wertschätzung entgegen zu bringen.

Fleischkonsum begünstigt Klimawandel

"Für kein anderes Konsumgut der Welt wird soviel Land benötigt wie für die Herstellung von Fleisch und Milch", schreibt Christine Chemnitz im "Fleischatlas". "Obwohl nur 17 Prozent des Kalorienbedarfs der Menschheit von Tieren stammt, benötigen sie 77 Prozent des globalen Agrarlands", führt die Referentin Internationale Agrarpolitik bei der Heinrich-Böll-Stiftung aus. Tendenz steigend.

Die Folgen sind Monokulturen, ausgelaugte Böden nach massenhaftem Einsatz von Dünger und Pestiziden, Artensterben, Krankheiten der Landbevölkerung und Wasserknappheit. Nur wenig bekannt: Die Fleisch- und Milchproduktion hat massive Auswirkungen auf die Erderwärmung: Zur Futtermittelproduktion werden zusätzlich riesige Landflächen intensiv bewirtschaftet. Dafür werden Regenwälder abgeholzt, Feuchtgebieten trockengelegt, die als Kohlenstoffspeicher dienten.

Symbolbild Grillwurst
Geht auch weniger? Qualitativer Verzehr sollte das Maß aller Dinge sein Bild: picture-alliance /dpa/P. Pleul

Christine Chemitz verweist auf die Welternährungsorganisation FAO, die in der kleinbäuerlichen Tierhaltung eine wichtige Einkommensquelle sieht für Menschen in Entwicklungsländern. Die schnelle Industrialisierung der Tierhaltung und der globale Fleischhandel zerstöre die Lebensgrundlage von Kleinbauern. Soziale Ziele der UN-Agenda 2030 wie die Bekämpfung von Hunger und Armut rückten dadurch in weite Ferne. 

Politisches Marketing für gute Ernährung

Prof. Achim Spiller von der Uni Göttingen beschäftigt sich mit der Ernährungserziehung zur Reduktion des Fleischkonsums und vermisst Bildungs- und Informationsprogramme von staatlicher Seite. "Die Forschung zeigt, dass Informationskampagnen zu Ernährungsthemen nur langsam greifen, abhängig von dem medialen Druck, der Kreativität und der Überzeugungskraft der Argumente."

Zwei Dritteln der Verbraucher sei der Zusammenhang zwischen dem Konsum tierischer Erzeugnisse und dem Klimaschutz nicht bewusst. Tierschutzlabel mit Angaben zur Einhaltung des Tierwohls, eine Ampelkennzeichnung, die Aufschluss gibt über den Gesundheitswert und über den CO2-Fußabdruck (die Summe klimaschädlicher Gase, die durch Anbau, Produktion und Transport freigesetzt werden) könnten den nachhaltigen Einkauf erleichtern. 

Bildergalerie Anuga Lebensmittelmesse 2013
Werbung für einen fleischfreien Tag auf der Genussmesse Anuga in KölnBild: Koelnmesse

Die Ausweitung und Bewerbung vegetarischer Gerichte in Schul- und Unikantinen, das Angebot, kleinere Fleischportionen zu wählen, mit der Option des kostenlosen Nachschlags, könnten dazu beitragen, die Ernährungsgewohnheiten allmählich umzustellen, so Spiller.

Knochensuppe, Schweinehirn und Hühnerkarkasse

Wenn schon Fleisch, dann ganz und gar! Früher wurden möglichst alle Teile eines geschlachteten Tieres zu Gerichten verarbeitet. Heute werden Hühnerfüße und Schweineköpfe aus der EU nach Fernost oder Afrika verschifft, während hochwertige Lenden und Filets im Supermarkt landen. Lediglich zwischen 40 und 55 Prozent eines Nutztieres werden bei der industriellen Produktion verwendet.

Einzelne Spitzenköche und Hofschlachtereien halten dagegen. Sie verwerten "von der Schnauze bis zum Schwanz" alles Eßbare. Für eine mineralstoffreiche Suppe werden Markknochen oder die Wirbel von Hühnern stundenlang ausgekocht, Nieren, Kuddeln, Pansen, Magen und Zunge längst nicht mehr zu Hundefutter verarbeitet.

Die komplette Verwertung mit Innereien, Knochen und Knorpel ist nicht nur von ökologischem und ökonomischem Nutzen: Sie bringt die Wertschätzung den getöteten Tieren gegenüber zum Ausdruck. Doch schon bald könnte das Fleisch aus dem Labor kommen: Längst werden Herzklappen und Hautgewebe durch Zellvervielfältigung und Gewebszüchtung erzeugt. Muskelstammzellen, die Tieren per Biopsie entnommen wurden, werden in vitro vermehrt, so dass sie Muskelzellen bilden, die zu Muskel- und Fleischfasern zusammenwachsen. Für einen Hamburger brauchten Wissenschaftler 20.000 solcher Fasern. Aber auch die Vielfalt vegetarischer Produkte als Fleischersatz steigt beständig.

USA - Pflanzenbasierter Hamburger in New York
Ohne Rindfleisch? Jawohl! So sieht ein vegetatischer Hamburger ausBild: picture-alliance/Photoshot

Hühner als biologische Schädlingsbekämpfer

Weniger Zukunftsmusik, sondern längst umgesetzt wird der Beschluss der Bundesregierung von 2007 zur Förderung der Artenvielfalt. Mindestens zwei Prozent der Fläche Deutschlands sollen verwildern. Der Eingriff durch den Menschen reduziert sich auf ein notwendiges Maß. Durch die Haltung landwirtschaftlicher Huftiere entstehen dort offene und halboffene Landschaften mit Busch- und Baumstrukturen, auf der sich viele Arten wohlfühlen.

Streuobstbauern proben längst neue Formen der Beweidung. Sie halten ihre Tiere auf Obstwiesen, in Wäldern und sogar zwischen technischen Anlagen. Diese fressen Gras und Wildkräuter, was den Einsatz von Unkrautvernichtungsmitteln spart.

Und Hühner sollen künftig mehr in Obstplantagen, Weinbergen und Baumschulen zur biologischen Schädlingsbekämpfung und Nährstoffversorgung eingesetzt werden, sofern die Gelände vor Füchsen und Hunden geschützt werden können. Das Geflügel frisst Schädlinge, und ihr mineralstoffreicher Kot wirkt düngend. Auf 50 Seiten liefert der Fleischatlas Rezepte für eine artgerechtere Tierhaltung und den bewussten Konsum tierischer Produkte.

Deutschland BdT Milchbauer Steffen Hinrichs
Streicheleinheiten und genügend Platz für Kühe und KalbBild: picture-alliance/dpa/I. Wagner

Die Umweltschützer raten den Deutschen zur Halbierung ihres Fleischkonsums und zur Reduzierung der Tierbestände - auch im Hinblick auf den Klimawandel. "Die Bundesregierung muss noch in diesem Jahr die Weichen für einen nachhaltigen Umbau der Tierhaltung stellen", sagte Hubert Weiger, der BUND-Vorsitzende.