Die CDU sucht den Weg zum Neustart
12. Oktober 2021Eine Kreisvorsitzenden-Konferenz soll für Beruhigung sorgen. Eine was? In der Not der großen Krise kommt die Parteispitze der konservativen CDU auf ein Gremium, das selten eine Rolle spielte. Die Vorsitzenden der 326 CDU-Kreisverbände sollen am 30. Oktober - kurz vor dem Grusel-Fest Halloween - den weiteren Kurs der Partei von Noch-Bundeskanzlerin Angela Merkel ausloten. Bald darauf sollen alle Führungsämter der Partei neu gewählt werden. Alle.
Die Wucht der Parteikrise übersteigt noch die Krise 1998, als sich die ermattete Partei nach der krachenden Niederlage des Bundeskanzlers Helmut Kohls bei der Bundestagswahl nach 16 Regierungsjahren neu finden musste. Angela Merkel, damals 44 Jahre, stand als neue Generalsekretärin bereit.
Eine ganze Reihe aufstrebender Abgeordneter, die 1994 ins Parlament gekommen waren, drängte mit hoher fachlicher Kompetenz nach: darunter Noch-Wirtschaftsminister Peter Altmaier, der diesjährige CDU-Chef und Kanzlerkandidat Armin Laschet und seine unterlegenen Konkurrenten um die CDU-Führung Friedrich Merz und Norbert Röttgen.
Junge Kräfte fehlen
Die CDU 2021 steht anders da. Bei den Bundestagswahlen 2017 und 2021 kam - abgesehen von CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak - niemand ins Parlament, der zu einer wichtigen Rolle aufstieg. Ähnlich wie 1998 ist die Partei ermattet, diesmal aber fehlen frische Kräfte. Und: Nicht wenige Abgeordnete, die jünger als 50 Jahre sind und damit in der überalterten Partei als jung gelten, verpassten den Wiedereinzug in den Bundestag.
Seit Jahren streitet die CDU um die Parteiführung. Und das in einer Partei, deren Markenzeichen die interne Klärung von Posten in Führungszirkeln war, bevor die Delegierten auf Parteitagen zustimmten.
Seit der Bundestagswahl Ende September, die der CDU das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte brachte, eskaliert die Stimmung. Sehr viele sind der Meinung, dass Parteichef und Kanzlerkandidat Armin Laschet an dem Resultat schuld sei. Aber viele ahnen, dass es nicht nur an ihm liegt. Derweil zanken die beiden Unionsparteien, die CDU und die bayerische Schwester CSU, noch deutlicher als vor dem Wahlsonntag und schieben einander die Schuld für die Misere zu.
Die Mitgliederzahl sinkt
Schon 2020 fiel die Zahl der Parteimitglieder unter 400.000. Erst vor gut zehn Jahren war sie unter 500.000 gerutscht. Die Partei wächst nicht nach. Weit mehr Mitglieder versterben, als junge Mitglieder nachrücken - die Volkspartei schrumpft.
Es ist eine Groß-Krise, wie sie die SPD, die zweite deutsche Volkspartei, vor gut zehn Jahren durchlitt und derzeit - zum eigenen Erstaunen - fast vergessen kann.
Armin Laschets Umfragewerte sind verheerend. Als er vergangene Woche kurzfristig die Presse einlud, rechneten viele mit seinem Rücktritt. Stattdessen sagte er, dass er nicht an der Spitzenkandidatur hänge, nicht Kanzler werden müsse. Dann kündigte er die Aufarbeitung im CDU-Bundesvorstand an.
Neuwahlen für alle Ämter
Wie die ablaufen soll, machte Generalsekretär Paul Ziemiak nach einer mehrstündigen Sitzung deutlich:
- Am 30. Oktober solle es eine Konferenz der CDU-Kreisvorsitzenden zur Lage der Partei geben.
- Kurz danach soll der Bundesvorstand über einen Bundesparteitag entscheiden, der möglichst noch in diesem Jahr stattfindet.
- Bei diesem Parteitag sollen alle Ämter neu gewählt werden: Parteichef, Generalsekretär, Präsidium und Bundesvorstand.
Diese Ämter außer der Reihe alle neu zu wählen, das hat etwas Einmaliges. Zwei Dinge fielen auf, als CDU-Generalsekretär Ziemiak den Weg erläuterte: "Es muss alles auf den Tisch, was in diesem Wahlkampf passiert ist. Das muss in aller Offenheit, brutal offen passieren." Zum anderen seine Betonung der Klärung möglichst bis zum Jahresende: "Wir alle wissen, dass das Zeitfenster die Jahreswende ist."
Die Zeit drängt
Die Eile erschließt sich aus dem Zeitplan der nächsten Landtagswahlen in Deutschland. Bis Mitte Mai 2022 stehen in drei Bundesländern Wahlen an: im Saarland, in Schleswig-Holstein, in Nordrhein-Westfalen. In allen drei Ländern führt die CDU die Landesregierung. Die Siege im Saarland und in Nordrhein-Westfalen 2017 gaben der Merkel-CDU bundesweit mächtig Mut - anders als die mäßigen Ergebnisse bei der Bundestagswahl im selben Jahr. Viele Mitglieder kritisieren, dass die danach versprochene Aufarbeitung nie richtig stattfand.
Warum jetzt die Kreisvorsitzenden-Konferenz? Zunächst wirkt es so, als gewinne die strauchelnde Parteiführung dadurch einfach Zeit. Denn in aller Regel sind die Zusammenkünfte der 326 Kreisvorsitzenden (KV) Routine. Egal, in welche Jahresbilanz der CDU-Bundesgeschäftsstelle aus den vergangenen 20 Jahren man schaut: Die KV-Treffen werden dort nur kurz genannt.
Und doch ist die Kreisvorsitzenden-Konferenz ungewöhnlich. Sie ist nur ein Drittel so groß wie ein Bundesparteitag, der meist 1001 Delegierte hat. Mit 326 Mitgliedern bietet sie aber ebenso ein Abbild der Partei wie ein Parteitag und sicher mehr als der Bundesvorstand.
Die Basis
Mitte April, in den Stunden des Showdowns um die Kanzlerkandidatur zwischen Laschet und CSU-Chef Markus Söder, forderte der rheinland-pfälzische Vize-CDU-Vorsitzende Christian Baldauf eine rasche Konferenz der Kreisvorsitzenden. Diese seien in der Partei die wichtigsten Vertreter der "Basis". Sie sehr kurzfristig einzuberufen, sei kein Problem.
Das Stichwort "Basis" lässt gleich an eine Mitgliederbefragung denken, mit der andere Parteien in Deutschland agieren. Die CDU ist da bislang skeptisch zurückhaltend.
Baldaufs Vorschlag blieb im April ungehört. Über die Kanzlerkandidatur entschied der CDU-Bundesvorstand - mit seiner einmütigen Unterstützung für Armin Laschet. Nicht wenige erwarten deshalb von den Kreisvorsitzenden eine Abrechnung mit der jetzigen Parteispitze, vom Vorsitzenden bis zum Bundesvorstand.
Wenig Prominente
Interessant ist die Zusammensetzung des Gremiums. Unter 326 Kreisvorsitzenden finden sich etliche, die nicht von der Politik leben, sondern einen anderen Hauptberuf haben. Dazu findet man auf ihrer Homepage vielleicht den Hinweis, dass sie bei der Freiwilligen Feuerwehr oder im Heimatverein aktiv seien.
Nur wenige "Prominente" der Partei haben einen Kreisvorsitz inne, weder Armin Laschet noch Friedrich Merz oder Norbert Röttgen. Aber acht der 27 gewählten Mitglieder des Bundesvorstands sind Kreisvorsitzende - sie werden gewiss kräftige Kritik zu hören bekommen. Noch deutlich höher ist die Zahl der Kreisvorsitzenden, die dem Bundestag angehörten und durch die Niederlage am 26. September aus dem Parlament rausflogen. So kommen die Spannungen in der CDU in der Konferenz der Kreisvorsitzenden zusammen. Dazu gehören die Lager-Bildung, Frust und Wut.
Dass bereits zwei sehr prominente Parteimitglieder und noch aktive Bundesminister, die beiden Saarländer Annegret Kramp-Karrenbauer und Peter Altmaier, am Wochenende ihre Mandate niederlegten, um Jüngeren Platz zu machen, spiegelt diese Stimmung wider. Diese Jüngeren - das passt zur CDU - sind 38 und bald 42 Jahre alt.
Nach der Ankündigung der Kreisvorsitzenden-Konferenz äußerten sich auffallend wenige Politiker in der zuletzt so vielstimmigen CDU. Wie weit das Spektrum dennoch reicht, zeigten zwei Beiträge.
Schluss oder Beginn?
Mike Mohring aus Thüringen, einer derer, die als Kreisvorsitzende auch dem Bundesvorstand angehören, sprach im Online-Fernsehen der "Bild-Zeitung" von einem "Neustart", der mit einem "klaren Fahrplan" jetzt auf den Weg gebracht sei. Es müsse "Schluss sein mit Personaldebatten".
Norbert Röttgen dagegen sprach von einem Prozess, der "die Voraussetzung für personelle Erneuerung schafft". Parallel müsse die Partei aber damit beginnen, die wichtigste Aufgabe anzugehen: "Wer wollen wir im 21. Jahrhundert sein?"