Die Bewerbung des Imam Beckenbauer
26. April 2018Das Stadiondach glänzt silbern in der Sonne. Der Schriftzug wird reflektiert und blendet immer wieder. Basaksehir steht in großen Lettern auf der Stadionseite. Die Flutlichtmasten sind schon an. Ein Ligaspiel der höchsten türkischen Liga wird gleich beginnen.
Istanbul, Stadtteil Basaksehir: Das Stadion des Emporkömmlings des türkischen Fußballs liegt inmitten eines neuen Wohngebiets am Rande der größten türkischen Metropole. Das Basaksehir Fatih Terim Stadion, benannt nach dem ehemaligen Fußballer und langjährigen türkischen Nationaltrainer, fasst etwa 17.000 Zuschauer und es wird nicht mal halb voll werden. Gerade mal vier Jahre ist es alt und ein guter Ausgangspunkt, wenn man über die Bewerbung der Türkei zur Europameisterschaft 2024 sprechen will.
Da wäre das Stadion selbst: Es ist eines von über 30, die die Türkei, also der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, in den letzten Jahren sanieren oder neu bauen ließ - und für die Europameisterschaft 2024 ist es noch nicht mal vorgesehen. Schon jetzt, sechs Jahre vor der Ausrichtung, wären die Stadien bereit für eine EM - auch wenn sie kaum ausgelastet sind. Der Zuschauerschnitt der türkischen Süper Lig liegt bei nicht mal 10.000 Zuschauern.
Dann wäre da der Einfluss des Präsidenten auf den Fußball. Bei der Eröffnung des Stadions von Basaksehir im Jahr 2014 spielte Erdogan höchstpersönlich mit und erzielte drei Tore. Er ist der Trauzeuge des Vereinspräsidenten. Erdogans Leibarzt soll darüber hinaus einer der Hauptsponsoren des Klubs sein. Innerhalb weniger Jahre ist aus dem Nobody-Verein Basaksehir ein ernstzunehmender Konkurrent um die Meisterschaft für die großen Istanbuler Klubs geworden. So läuft das in der Türkei.
"Basaksehir", sagt ein Fan vor dem Stadion, "verdankt all das unserem verehrten Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Durch ihn wurde alles besser. Wir danken ihm dafür."
Erdogans Einfluss bei der UEFA
Der Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und der Fußball - es ist eine besondere Beziehung. Der ehemalige Fast-Profifußballer, den sie im Verein "Imam Beckenbauer" genannt haben, will endlich ein Sportgroßereignis austragen. Schon fünf Mal hat die Türkei versucht, Olympische Spiele zu bekommen, drei Mal die Fußball-Europameisterschaft. Jetzt soll es endlich klappen.
Fragt man die Fans vor dem Stadion, sagen die Sätze wie: "Das wäre großartig für unser Land. Sehr wichtig als Werbung." Oder: "Wir sind bereit, alles dafür zu tun, was nötig ist."
Am 27. September entscheiden 18 Exekutivkomitee-Mitglieder des europäischen Fußballverbandes UEFA, ob Deutschland oder die Türkei die EURO 2024 austragen darf. An diesem Freitag ist die Deadline für die Abgabe aller Bewerbungsunterlagen. Der Deutsche Fußball-Bund war am Dienstag am Sitz der UEFA in Nyon, die Türkei zwei Tage später.
Wenn man sich hinter den Kulissen mit Vertretern des europäischen Fußballs unterhält, heißt es immer wieder, die Türkei habe gute Chancen. Offenbar scheint Erdogans politischer Einfluss zu wirken. Gerade in Osteuropa hat er viele Freunde. Trotz der angespannten Menschenrechtslage in seinem Land. Und obwohl die UEFA in ihren Vergabekriterien erstmals auch die Menschenrechte einfordert. Aber wieviel Bedeutung die 18 UEFA-Vorstände dieser Vorgabe beimessen, ist mehr als fraglich.
Keine freie Meinungsäußerung
"Die Türkei ist kein Rechtsstaat mehr", sagt Yonca Sik, geboren in Wesseling bei Köln. Sie sitzt auf einem Stuhl im Wohnzimmer ihrer Wohnung in der Nähe des Bosporus. Sie ist verheiratet mit dem Investigativ-Journalisten Ahmet Sik, einem der bekanntesten Autoren der Türkei, und lange Zeit einem der bekanntesten Inhaftierten des Landes.
14 Monate lang saß er im Gefängnis, bevor er Anfang März überraschend entlassen wurde. Diese Woche wurde er wie andere Mitarbeiter der türkischen Zeitung "Cumhuriyet" zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.
"Das hat die ganze Welt doch ganz konkret nach der Freilassung von Deniz Yükcel gesehen", sagt Yonca Sik. "Die Inhaftierten sind alle politische Geiseln. Und man möchte einfach nicht, dass die Regierung und hauptsächlich der Erdogan kritisiert wird." Es sind starke Worte in einem Land, in dem die freie Meinungsäußerung nur noch bedingt rechtlich abgesichert ist. Man bekommt das Gefühl, dass jeder Gesprächspartner äußerst vorsichtig ist, wie weit er mit Kritik an Regierung, Staat und Erdogan geht.
Über 150 Journalisten sitzen derzeit immer noch im Gefängnis. Über 100.000 Menschen - darunter Richter, Lehrer, Beamte - sollen nach dem vermeintlichen Militär-Putschversuch von 2016 entlassen worden sein. Die sportliche Bewerbung der Türkei spielt sich auch vor diesem politischen Hintergrund ab.
Werbung für den Feldzug in Syrien
In Istanbuls Zentrum steht das Recep-Tayyip-Erdogan-Stadion. Es ist ein kleines - natürlich ebenfalls renoviertes - Stadion im Hafenviertel Kasimpasa, dem Geburtsort Erdogans. Jean-François Pérouse schlendert am Gitter des Stadiongeländes entlang. Der Franzose ist Türkei-Experte und Autor des Buches "Erdogan: Nouveau père de la Turquie?" (Erdogan: Neuer Vater der Türkei?). Er sagt: "Erdogan nutzt den Fußball, um die Massen zu mobilisieren, natürlich für sich. Bald sind ja Präsidentschaftswahlen und dann wieder Wahlen direkt vor der EURO." Da würde der Fußball natürlich helfen.
Wenn man verstehen will, wie der Fußball und die Politik in der Türkei verbunden sind, muss man in den Istanbuler Stadtteil Besiktas. Am Abend spielt Besiktas auswärts, die engen Gassen des Ausgehviertels sind voll, Tische stehen draußen, es wird Schischa geraucht und gegessen. Und natürlich Fußball geschaut.
Direkt vor dem Spiel von Besiktas läuft ein Werbevideo für Erdogans Militäreinsatz in Syrien, mit salutierenden Kindern in Uniform. Das Fernsehen muss diese Videos zeigen, auch direkt vor dem Fußball, und keiner beschwert sich. Die Regierung nutzt den Fußball ganz offensichtlich für ihre Interessen.
Fan-Legende Yakiskan: "Keine Hoffnung"
An einem Tisch sitzt der Gründer des bekanntesten Fanklubs der Türkei, Carsi, benannt nach einem berühmten Marktplatz im Stadtteil Besiktas. Cem Yakiskan ist eine Legende unter türkischen Fußball-Fans. Und er ist einer von über 30 Fußballanhängern, denen Gefängnisstrafen drohen, weil sie bei den politischen Gezipark-Protesten im Jahr 2013 dabei waren.
"Während Gezi vor fünf Jahren hatten wir noch etwas Hoffnung", sagt Yakiskan. "Für die Menschlichkeit, für die Türkei, für uns." Er hält kurz inne. Dann sagt er: "Und jetzt haben wir keine mehr."
Der Autor hat im Rahmen seiner Recherche für diese Geschichte für die ARD Sportschau selbstverständlich auch ein Interview mit Präsident Erdogan angefragt. Genauso mit dem Sportminister und dem türkischen Fußball-Verband. Dass alle abgesagt haben, gehört auch zur Geschichte der EM-Bewerbung 2024 der Türkei.