Deutschland und China: "Special Relations"?
5. Juli 2014Erst im März hatte Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping Berlin besucht (Artikelbild). Im Frühjahr reisten der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel nach Peking. Im Herbst wiederum wird fast das gesamte chinesische Kabinett zu den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen in Berlin erwartet. Doch trotz dieser Fülle gegenseitiger Begegnungen nimmt sich die deutsche Kanzlerin jetzt drei Tage Zeit für eine Reise nach China. Kein anderer europäischer Regierungschef trifft sich so häufig mit der chinesischen Führung wie Angela Merkel.
Keine Frage: Es geht ausgesprochen dynamisch zu in den deutsch-chinesischen Beziehungen. Diese Dynamik aufrecht zu erhalten ist für Sebastian Heilmann vom Mercator Institut für China Studien (Merics) in Berlin auch der Grund für die jetzige Reise der Kanzlerin. Im Blick hat er dabei die bevorstehenden Regierungskonsultationen. Da solle eine Fülle von Vereinbarungen verabschiedet werden, von Technologie und Bildung bis hinzu Kulturprogrammen, weiß Heilmann. Das könne nicht alles auf Arbeitsebene ausgehandelt werden. Da sei im Vorfeld auch die Ebene der Regierungschefs wichtig.
Sprungbrett für Chinas Westen
Die deutsche Kanzlerin beginnt ihren Besuch am Sonntag (06.07.2014) in der südwest-chinesischen Provinz Sichuan. Die hat ebenso viel Einwohner wie Deutschland. In der Provinzhauptstadt Chengdu unterhält Deutschland seit rund zehn Jahren ein Generalkonsulat. Auch deshalb, weil Chengdu für deutsche Unternehmen als Sprungbrett für den relativ wenig entwickelten Westen Chinas gilt. Rund 160 deutsche Unternehmen haben sich in Chengdu angesiedelt. Hier steht auch ein Werk von VW, das die Kanzlerin besichtigen wird.
Am Sonntagabend reist Merkel weiter nach Peking. Dort wird sie ihre Gespräche mit Premierminister Li Keqiang aufnehmen. Am Montag wird Merkel dann auch Staats- und Parteichef Xi Jinping treffen. Liu Liqun, Professor für deutsche Politik an der Fremdsprachenuniversität Peking, erwartet, dass im Zentrum der Gespräche Wirtschaftsfragen stehen werden. China ist der wichtigste Handelspartner Deutschlands außerhalb Europas und der fünftwichtigste überhaupt. Für die deutschen Maschinen- und Anlagenbauer ist China der größte Absatzmarkt. Umgekehrt ist Deutschland Chinas Handelspartner Nummer eins in Europa. Und weil in China politische Rückendeckung für das Geschäft gut ist, wird Merkel von einer hochrangigen Unternehmerdelegation begleitet. Dazu gehören Frank Appel (Deutsche Post), Joe Kaeser (Siemens), Martin Winterkorn (VW), Thomas Enders (Airbus) und Jürgen Fitschen (Deutsche Bank).
Im Zentrum: Die Wirtschaft
In Peking wird erstmals und im Beisein von Merkel und ihrem Amtskollegen Li ein neues Gremium tagen: Der Deutsch-chinesische beratende Wirtschaftsausschuss. Der soll Merics-Direktor Heilmann zufolge Probleme im bilateralen Wirtschaftsgeschehen identifizieren. "Es wird konkrete Empfehlungen an die Politik geben und die müssen danach von den Regierungen auch abgearbeitet werden", betont Heilmann im Gespräch mit DW.DE.
Probleme gibt es genug. So gesteht zum Beispiel der Pekinger Deutschland Experte Liu Liqun im DW-Interview zu, dass China im Bereich des Schutzes des geistigen Eigentums noch großen Nachholbedarf hat. "Hier hat sich zwar in den letzten Jahren vieles verbessert, aber der Schutz ist immer noch unzureichend", so Liu selbstkritisch. Das könnte bei einem weiteren deutsch-chinesischen Projekt zum Problem werden, das ebenfalls in Peking auf der Agenda steht: Die sogenannte "Innovationspartnerschaft". 2015 soll zum deutsch-chinesischen Innovationsjahr werden. Über die genaue Ausrichtung aber wird noch gerungen. Berlin strebt eine eher breite Definition von Innovation an. Neben Forschung und Technologie sollen auch Veränderungen im gesellschaftlichen Bereich thematisiert werden: Bei der Rechtsstaatlichkeit, dem Ausbau der sozialen Sicherungssysteme oder dem Bildungsbereich. Ob sich Peking darauf einlässt, ist noch offen.
Schaukelpolitik in Ukraine-Krise
Internationale Themen werden die Krise in Syrien und im Irak sein, die Atomstreitigkeiten mit Nordkorea und dem Iran, die Spannungen im Süd- und Ostchinesischen Meer und auch die Ukraine. Liu Liqun sieht hier eine große Nähe zwischen den Positionen Deutschlands und Chinas - auch wenn Peking die Lage in der Ukraine wegen der größeren Entfernung nicht so sehr auf den Nägeln brenne. China-Experte Heilmann erteilt allerdings Hoffnungen eine deutliche Absage, Merkel könne die chinesische Führung dazu bewegen, ihren Einfluss in Moskau zur Deeskalation der Krise einzusetzen: "China verfolgt sehr konsequent die eigenen Interessen in der internationalen Politik und betreibt da eine raffinierte Schaukelpolitik, die es ihm erlaubt, Spielräume gegenüber allen Parteien zu gewinnen."
Zum Thema Menschenrechte hieß es im Vorfeld der Reise, die seien immer wieder angesprochen worden. In dem Bereich gebe es "nach wie vor große Defizite". In Hinblick auf den Erfolg dieser Bemühungen sei es aber "nicht dienlich, wenn man zu sehr in der Öffentlichkeit darüber spricht". Hinter verschlossenen Türen aber soll sehr konkret und kontrovers diskutiert werden - oft auch über einzelne Fälle. Erwartet wird, dass sich die Kanzlerin weiter für eine Ausreisegenehmigung für den Künstler Ai Weiwei einsetzt. Seit Monaten hofft der in Peking von den Behörden festgehaltene Künstler, vielleicht doch noch nach Berlin reisen zu können. Noch bis Mitte Juli ist dort seine bislang größte Werkschau zu sehen.