Deutschland und China: Partnerschaft im Stress
18. Juni 2023"Gemeinsam nachhaltig handeln". So lautet das Motto der deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen, zu denen Chinas Ministerpräsident Li Qiang an diesem Montag (19.6.) mit einem großen Teil seines Kabinetts nach Berlin kommt.
Was Gemeinsamkeiten angeht, scheint der Vorrat zwischen Peking und Berlin zu schrumpfen. Zu besichtigen war das bei der jüngsten Begegnung eines deutschen Kabinettsmitglieds mit einem chinesischen Regierungsvertreter - dem Treffen von Verteidigungsministers Boris Pistorius am Rande einer Sicherheitskonferenz in Singapur mit seinem Amtskollegen Li Shangfu. Dabei ging es um ein bekannt gewordenes Ausbildungsprogramm der chinesischen Luftwaffe - unter Beteiligung ehemaliger deutscher Kampfpiloten. Mit sehr klaren Worten hatte Pistorius gefordert, "dass diese Praxis unverzüglich beendet wird".
Thorsten Benner von der Berliner Denkfabrik German Public Policy Institute, GPPI, sieht in dem Vorgang "ein Indiz dafür, dass wir wach sein müssen. Weil Peking jede Möglichkeit nutzt, um sich Zugang zu kritischen Technologien oder Fähigkeiten zu verschaffen: Zur Stärkung der eigenen industriellen und militärischen Basis".
Der Konfliktstoff wächst
Ob Technologieabfluss, Pekings Festhalten an der "felsenfesten Freundschaft" mit Moskau trotz Russlands Invasion in der Ukraine, die wachsenden Spannungen in der Taiwan-Straße, die Unterdrückung der uighurischen Minderheit in China: Der Konfliktstoff wächst. Und wird durch die geopolitische Rivalität der aufstrebenden Großmacht mit den USA weiter verschärft.
Zugleich ist China weiterhin der wichtigste Handelspartner Deutschlands, zum siebten Mal in Folge. 2022 belief sich der Warenaustausch auf knapp 300 Milliarden Euro - mit einem gewaltigen Handelsdefizit auf deutscher Seite von über 80 Milliarden Euro.
Die Beziehungen sind nicht nur bedeutend, sie sind auch komplex. Die ganze Widersprüchlichkeit des deutsch-chinesischen Verhältnisses zeigt sich schon darin, dass China in offiziellen Dokumenten zugleich als Partner, Wettbewerber und strategischer Rivale bezeichnet wird.
In der Vergangenheit hatte Berlin den Partnerschaftsaspekt hervorgehoben. Die Regierungskonsultationen - es gibt sie seit 2011 - zeugen davon: Dieser hochrangige Regierungsdialog wird nur mit besonders engen Partnern geführt.
2014 wurden die deutsch-chinesischen Beziehungen sogar in den Rang einer "umfassenden strategischen Partnerschaft" erhoben. Aber seither hat sich die Stimmung gedreht - in Berlin und anderen Hauptstädten Europas. Das Gewicht in den Beziehungen hat sich deutlich in Richtung strategischer Rivalität verschoben.
Kein "Business as usual"
Das wird sich auch auf die bevorstehende 7. Runde der Regierungskonsultationen auswirken, erwartet Barbara Pongratz vom Berliner China-Think-Tank Merics. "Die deutsche Regierung möchte sich von 'business as usual' verabschieden", sagt die Expertin für deutsch-chinesische Beziehungen. "Es gibt Signale, dass die Regierungskonsultationen von vergleichsweise wenig großen Inszenierungen und auch nicht vom Abschluss größerer Geschäftsverträge begleitet werden sollen".
Schon im Koalitionsvertrag der in Berlin regierenden Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP ist der neue Wind in der China-Politik spürbar. Immerhin zwölfmal wird China in dem Vertrag erwähnt. Auch unter dem Stichwort der strategischen Rivalität - und der Zusammenarbeit mit den europäischen Partnern: "Um in der systemischen Rivalität mit China unsere Werte und Interessen verwirklichen zu können, brauchen wir eine umfassende China-Strategie in Deutschland im Rahmen der gemeinsamen EU-China Politik. Wir wollen die Regierungskonsultationen fortsetzen und stärker europäisch ausgestalten", versprechen die Koalitionäre.
Keine China-Strategie, keine Europäisierung der China-Politik
"Eine echte Diskussion in Richtung Europäisierung der deutschen China-Beziehungen, der China-Strategie oder der Regierungskonsultation ist nicht wirklich existent", bringt Merics-Expertin Pongratz auf den Punkt, was von diesem Anspruch bislang sichtbar ist. Ganz abgesehen davon, dass die angekündigte China-Strategie noch gar nicht vorliegt. Die soll auf der Nationalen Sicherheitsstrategie aufbauen, deren Verabschiedung sich immer wieder verzögert hat. Auch wegen Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Koalition.
Der Berliner Politikwissenschaftler Eberhard Sandschneider hält die Verspätung der China-Strategie für "eher günstig", was das Gesprächsklima betrifft. "Wenn ein allzu China-kritisches Papier jetzt auf den Markt käme, müsste man durchaus davon ausgehen, dass das chinesische Selbstbewusstsein dazu führt, dass die Konsultationen abgesagt werden", sagt der China-Experte. Und ergänzt: "Dass die Bundesregierung sich intern nicht einig ist, ist ein offenes Geheimnis. Das wissen auch die Chinesen."
Differenzen in der Koalition
Kein Wunder: Der Streit wird ja auch öffentlich ausgetragen. Vor allem zwischen den Grünen, die sich werteorientiert geben und gegenüber China einen harten Ton anschlagen sowie der SPD, die stärker auch Wirtschaftsinteressen im Blick hat. Während etwa die grüne Außenministerin Annalena Baerbock im April bei einem Peking-Besuch auf offener Bühne den Schlagabtausch mit ihrem Amtskollegen Qin Gang suchte, veröffentlichte der konservative Flügel der SPD-Fraktion ein Positionspapier zur deutschen China-Politik. Darin fordern die Parlamentarier eine pragmatische China-Politik und warnen vor einer Anti-China-Strategie.
Zwischen Baerbock und Kanzler Olaf Scholz seien große Unterschiede wahrgenommen worden, sagt Barbara Pongratz. Parteipolitik präge den derzeitigen Ansatz gegenüber China. "Aber wenn man genau hinhört, merkt man: Unterschiede gibt es da zwar im Ton. Aber in ihren Botschaften haben sie sich nicht so stark voneinander unterschieden", urteilt die China-Expertin.
Bei den Regierungskonsultationen hat Bundeskanzler Scholz den Vorsitz. Was vielleicht bei aller Härte in der Sache für einen freundschaftlichen Ton sorgt. Konkrete Erwartungen an greifbare Ergebnisse hat China-Experte Sandschneider eher wenig. Für ihn ist das Wichtigste, dass die Konsultationen überhaupt stattfinden - nach drei Jahren, in denen es keine persönlichen Begegnungen in größerem Rahmen gegeben hat.
"Mit den chinesischen Kollegen, mit denen ich spreche, bin ich mir einig: Es ist dringend Zeit, dass die noch mal zusammenstehen. Und zwar nicht nur in den offiziellen Konferenzsitzungen, sondern auch in den berühmten Kaffeepausen, um mal ein persönliches Wort miteinander wechseln zu können. Das verändert die Atmosphäre". Und macht vielleicht zumindest stellenweise "gemeinsames nachhaltiges Handeln" möglich.