Deutschland in der Einzelkritik
27. Juni 2018Was für eine Leistung der deutschen Mannschaft: Statt der erhofften Auferstehung nach dem Last-Minute-Treffer gegen Schweden scheidet Deutschland mit einer 0:2-Niederlage gegen Südkorea aus. Und das durchaus verdient. "Ein ganz, ganz bitterer Abend", fasste es Mats Hummels treffend zusammen.
Dabei zeigte kaum ein DFB-Spieler Normalform und vor allem offensiv ließ die Mannschaft von Joachim Löw fast alles vermissen. Wenig Torraumszenen, kaum echte Torschüsse, ein zu behäbiges Aufbauspiel - das Ende war schließlich absehbar. Die deutsche Elf in der Einzelkritik:
Manuel Neuer:
Man vergisst es schnell: Manuel Neuer ist noch immer Rekonvaleszent. Sein Wackler in der 19. Minute (Neuer kann einen Schuss von Wooyoung Jung erst im Nachfassen festhalten) erinnerte daran, dass der deutschen Nummer 1 noch immer Spielpraxis fehlt. Von dieser Szene abgesehen spielte Neuer sicher. An den Gegentoren war Neuer schuldlos.
Joshua Kimmich:
So kennen wir Joshua Kimmich nicht: In der ersten Halbzeit fehlte seinen Hereingaben die Genauigkeit. Und das ärgerte den talentierten Außenverteidiger des FC Bayern ziemlich. Das Fatale: Auch danach wurde er nicht wirklich besser. Hinten anfällig, vorne wirkungslos. Das war gar nichts, Herr Kimmich.
Niklas Süle:
Chance genutzt? Nicht wirklich. Die deutsche Defensive wackelte mehrfach bedenklich und Süle hatte daran leider seinen Anteil. Der für den gesperrten Jérôme Boateng reinrotierte Bayern-Verteidiger sollte sich eigentlich blind verstehen mit Kollege Hummels, doch bisweilen wirkte es, als müssten sich beide noch kennenlernen. In der 80. Minute behält Süle aber die Nerven und verteidigt eine Unterzahlsituation souverän. In der Nachspielzeit unkonzentriert und das rächte sich.
Mats Hummels
Ein Innenverteidiger dribbelt sich durch den Strafraum: Sein Solo auf kleinstem Raum in der 39. Minute wirkte etwas unbeholfen, aber Hummels kam zum Abschluss und scheiterte nur an Keeper Hyeonuh Jo. Abgesichert durch seinen Bayern-Kollegen Niklas Süle konnte sich Hummels zunächst häufiger ins Angriffsspiel einschalten. Doch hinten passierten ihm leider Stockfehler, mit denen er Südkorea Chancen ermöglichte. Mehrfach. Nicht der gewohnte Stabilitätsfaktor. In der 87. Minute vergab er dazu per Kopf die große Chance zur Führung. Stattdessen beim 0:1 nicht auf dem Posten.
Jonas Hector:
Defensiv solide, offensive durchaus um Teilhabe am Spiel bemüht. Der Kölner Verteidiger spielte - wie so oft - unauffällig und ohne größere Schnitzer. Aus taktischen Gründen musste er runter.
Sami Khedira:
Stand tiefer als im Auftaktspiel gegen Mexiko, was der Stabilität gut tat. Aber wirklich sicher wirkte Khedira auch gegen Südkorea nicht. Überspielt oder nur psychisch nicht auf der Höhe? Das Rätselraten um einen der Leitwölfe im deutschen Team geht weiter. Sein inniges Duell mit Son im Strafraum kurz vor der Halbzeitpause war an der Grenze, blieb aber zum Glück folgenlos. Ausgewechselt nach einer knappen Stunde.
Toni Kroos:
Nach zwei an seinen eigenen Leistungen gemessenen unterdurchschnittlichen Leistungen folgte - eine weitere. Zwar war sein Passspiel wieder besser, doch als Ideengeber war Kroos leider erneut ein Ausfall. Dies sollte seine große Bühne werden. Nach dem Sieg in der Champions League folgte die große Enttäuschung in Russland.
Leon Goretzka:
Mutig im Spielaufbau, doch seine Vorstöße waren nicht immer von Erfolg gekrönt. Der WM-Debütant hatte in der 48. Minute die bis dahin beste Chance: Sein Kopfball aus kurzer Distanz war aber nicht platziert genug. Nach einer Stunde musste er runter für den etablierten Thomas Müller.
Mesut Özil:
Nach seiner Auszeit gegen Schweden erhielt er wieder das Vertrauen des Bundestrainers. Allerdings fehlte seinen Pässen zunächst wieder die gewohnte Präzision. Er konnte seine Mitspieler nicht wirklich in Szene setzen und lieferte auch nicht das gewünschte Überraschungsmoment. Die öffentliche Kritik an seiner Person wird nach dieser Leistung nicht nachlassen.
Marco Reus:
Bemüht und wie schon zuletzt mit Schwung aus dem Rückraum kommend, aber ohne Durchschlagskraft und Fortune. Der Dortmunder konnte nicht die Gefahr entwickeln wie zuletzt. Seine Vorstöße blieben glücklos, seine Laufleistung war unter seinem Level. Sein erstes großes Turnier - und dann diese Enttäuschung.
Timo Werner:
Seine Schnelligkeit kam gegen die flinken Koreaner nicht ganz so zum Tragen wie gegen die großgewachsenen Schweden. Ihn zog es häufig auf die linke Seite, wodurch im Zentrum ein torgefährlicher Spieler fehlte. Apropos Torgefahr: Werner ist bei allem Talent als Vorbereiter auch nominiert worden, um Tore zu schießen. Er hat nicht geliefert.
Mario Gomez:
Eingewechselt in der 58. Minute und mit einem klaren Auftrag versehen: ein Tor. Eine erste Annäherung nahm Gomez in der 68. Minute per Kopf, konnte aber nicht genug Wucht hinter das Spielgerät bringen. Doch dabei blieb es. Er konnte seinen Auftrag nicht erfüllen. Joachim Löw muss sich die Frage gefallen lassen, warum er Gomez und nicht Sandro Wagner mitgenommen hat.
Thomas Müller:
In der 63. Minute betrat einer der bekanntesten deutschen Spieler den Rasen: Thomas Müller. Doch sein Name klingt inzwischen mehr als er sticht. Müller ist ein Schatten seiner selbst. Einst auf seine sehr eigene Art unberechenbar und torgefährlich. Heute blass und unbeweglich. Wieder einmal.
Julian Brandt:
Wie üblich in der Jokerrolle. Und wie üblich nur mit wenig Zeit, sich zu beweisen. Kam für Verteidiger Hector und sollte die Offensive wie üblich beleben. Doch anders als in den ersten beiden Gruppenspielen konnte er dieses Mal nicht sein großes Potential zeigen. Dennoch einer der ganz wenigen Gewinner dieses Turniers.
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