Deutschland auf der Suche nach Arbeitskräften
28. Februar 2020Für die Firma ST-Gebäudetechnik in Potsdam laufen die Geschäfte gut. Die rund 150 Mitarbeiter installieren Sanitärtechnik, Heizungen und Klimaanlagen und sie sanieren ältere Gebäude, damit sie energieeffizienter werden. "Wenn meine Auszubildenden eine Wärmepumpe einbauen, dann sage ich ihnen, tun sie etwas für den Klimaschutz", sagt Geschäftsführer Andreas Neyen nicht ohne Stolz.
Es wird allerdings immer schwieriger, junge Menschen zu finden, die eine Ausbildung zum Gebäudetechniker machen wollen. "Früher hatten wir die Bewerbungen in Stapeln daliegen, heute suchen wir Jugendliche in Schulen und auf Ausbildungsmessen." Doch nicht nur der Nachwuchs ist rar, auch ausgebildete Fachkräfte findet das Unternehmen nur noch mit Mühe oder gar nicht. "Der Fachkräftemangel ist unser größtes Geschäftsrisiko", klagt Andreas Neyen.
Facharbeiter aus der ganzen Welt
Das hat auch die Politik erkannt und nach langen Diskussionen das Fachkräfteeinwanderungsgesetz auf den Weg gebracht, das nun am 1. März in Kraft treten wird. Es öffnet den Arbeitsmarkt für Fachkräfte auch aus dem Nicht-EU-Ausland. Neu ist, dass nicht mehr nur Menschen mit einem Hochschulabschluss als Fachkräfte gelten, sondern auch die mit einer qualifizierten Berufsausbildung, die mindestens zwei Jahre gedauert hat und einer deutschen Ausbildung gleichwertig ist.
Die Abschlüsse müssen in Deutschland anerkannt sein. Dafür ist die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) zuständig, die zur Bundesagentur für Arbeit gehört. Ziel ist, die Anerkennung innerhalb von drei Monaten nach Einreichung aller erforderlichen Unterlagen abzuschließen. Weitere vier Wochen soll es anschließend maximal dauern, bis das Visum vorliegt. Das gilt dann für vier Jahre oder für die Dauer des Vertrags.
Kommen, um zu bleiben
Nach vier Jahren Aufenthalt dürfen sich Fachkräfte dauerhaft in Deutschland niederlassen. Für sechs Monate kann einreisen, wer einen Arbeitsplatz in Deutschland suchen möchte. Voraussetzung: Man muss für seinen Lebensunterhalt aufkommen und ausreichend Deutsch (Niveau B2) sprechen können.
Das neue Gesetz gilt auch für Ausländer, die in Deutschland eine Ausbildung machen oder studieren wollen. Sie müssen neben den oben genannten Voraussetzungen den Abschluss einer deutschen Auslandsschule vorweisen oder einen Schulabschluss, der zum Hochschulzugang berechtigt und dürfen nicht älter als 25 Jahre sein. Wen sie nach dem Abschluss in Deutschland zwei Jahre gearbeitet haben, dürfen sie sich dauerhaft niederlassen.
Meilenstein für den Standort Deutschland
Für Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier ist das neue Gesetz ein "Meilenstein für den Standort Deutschland" und biete Chancen für alle Unternehmen, die offen für neue Wege seien. In dieser Hinsicht sei die ST-Gebäudetechnik ein Vorzeigebetrieb, so Altmaier bei einem Besuch in der Firma. Tatsächlich haben die Potsdamer bereits viel Erfahrung mit der Eingliederung von ausländischen Mitarbeitern. "Mit allen Höhen und Tiefen", wie Geschäftsführer Neyen betont.
Wichtig sei vor allem die Sprachvermittlung. Das sei schon einmal nicht so einfach und dann müsse man sich als Betrieb auch außerhalb der Arbeit um die Menschen kümmern. "Damit die nicht wie auf einer Insel leben, sondern ins normale gesellschaftliche Leben integriert werden." In Potsdam spielen alle zusammen Fußball und treffen sich regelmäßig in den Betriebssportgruppen. "Da hat man schon Verantwortung, aber wenn die wollen, dann klappt das auch", sagt Neyen über seine Mitarbeiter.
Vom Flüchtling zum Facharbeiter
Einer, der den Anschluss geschafft hat, ist Said Charef. Der 32-jährige kam 2015 als Flüchtling nach Deutschland. In Syrien war er Schweißer, beim Besuch des Wirtschaftsministers steht Said in der Werkstatt und montiert bündelweise Kabelenden in Klemmen, die später in einem elektrischen Schaltschrank eingebaut werden sollen. Er hat sich inzwischen so gut qualifiziert, dass er einen normalen Arbeitsvertrag hat.
"Ich bin sehr zufrieden, auch weil alle hier so nett sind", sagt Said, der verheiratet ist und eine Familie hat. Sechs Monate hat er Deutsch gelernt, zuletzt in einem Kurs in der Firma, die ihm in Eigenregie das nötige Fachvokabular vermittelt hat.
Die Sprache sei das Wichtigste, sagt sein Chef Andreas Neyen und Minister Altmaier stimmt dem zu. "Man muss nicht imstande sein, einen Literaturnobelpreis in Deutsch zu gewinnen, aber sollte imstande sein, sich im Arbeitsprozess mit Kolleginnen und Kollegen auszutauschen und zusammenzuarbeiten." Das helfe auch bei der Integration.
Nicht wieder alles falsch machen
Deutschland dürfe bei der Umsetzung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes nicht wieder die Fehler machen, die in den 1960er und 1970er Jahren bei der Anwerbung sogenannter "Gastarbeiter" gemacht worden seien, sagt Altmaier. "Man hat sich über schulische Integration, über Ausbildung, über Sprachkenntnisse damals keine Gedanken gemacht, daraus sind soziale Spannungen entstanden." Die Kinder der Gastarbeiter hätten deswegen oft weniger Chancen gehabt als ihre Eltern.
Nicht nur in Potsdam hofft man darauf, dass das neue Gesetz unbürokratisch und schnell umgesetzt wird. Helfen sollen Kooperationen mit Arbeitsverwaltungen in bestimmten Zielländern. Dabei hat Altmaier unter anderem Vietnam, Brasilien, Bosnien und Herzegowina im Blick.
Pilotprojekt schon gestartet
Die Handwerkskammer Potsdam hat in Kooperation mit dem Ministerium und anderen deutschen Handwerkskammern bereits ihre Fühler nach Bosnien ausgestreckt, um junge Elektroniker, Metallbauer, und Anlagenbauer für Sanitär- Heizungs- und Klimatechnik für das Arbeiten in Deutschland zu begeistern. "Es gibt Gespräche mit Ausbildungsstätten dort und wer als Absolvent Interesse hat, kann sich ab Mai für dieses Pilotprojekt bewerben", sagt Karl-Sebastian Schulte, Geschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Handwerks.
Gespräche zwischen Interessenten und potenziellen Arbeitgebern in Deutschland könnten per Skype stattfinden, es würden aber auch Rekrutierungsreisen angeboten. Um die sprachlichen Voraussetzungen zu erreichen, sollen in Sarajewo dreimonatige Deutschkurse angeboten werden. Ziel des Projekts ist es, in drei Jahren jeweils 40 Arbeitskräfte zu gewinnen. Angesichts des weiter wachsenden Fachkräftemangels ist das zwar nur der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein, das weiß auch Schulte. Aber es sei wenigstens ein Anfang.