"Deutsches Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr"
6. September 2023Wegbrechende Aufträge, maue Exporte, hohe Energiepreise: Angesichts widriger Rahmenbedingungen werden die Konjunkturprognosen für die deutsche Wirtschaft negativer. Das Bruttoinlandsprodukt werde in diesem Jahr um 0,5 Prozent fallen und damit fast doppelt so stark wie noch im Frühsommer angenommen, sagte das Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) am Mittwoch voraus. Von den 20 Euro-Ländern dürften nur Irland und Estland ebenfalls schrumpfen, alle anderen dagegen wachsen.
"Deutschland bekommt jetzt auch zu spüren, dass sein altes industrielles Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert", sagte IfW-Präsident Moritz Schularick. Zudem belaste die Zinswende die Wirtschaft im Inland und über die Exportmärkte. "Die Notenbanken haben erfolgreich Zähne im Kampf gegen die Inflation gezeigt, und in diesem neuen Umfeld muss sich die deutsche Wirtschaft nun behaupten."
Für das kommende Jahr wird zwar wieder ein Wachstum erwartet, das mit 1,3 Prozent aber deutlich geringer ausfallen soll als bislang mit 1,8 Prozent angenommen. 2025 soll es zu einem Plus von 1,5 Prozent reichen.
Bundesbankpräsident Joachim Nagel hält trotz der Konjunkturflaute nichts von einem Abgesang auf den Standort. "Wir sollten uns 'Made in Germany' nicht kleinreden lassen", sagte Nagel dem "Handelsblatt". "Das deutsche Wirtschaftsmodell ist kein Auslaufmodell. Aber es braucht ein Update." Demografie, Digitalisierung, Dekarbonisierung und die Notwendigkeit, die internationalen Handelsbeziehungen widerstandsfähiger zu machen, seien große Herausforderungen.
"Standort nicht wettbewerbsfähig"
Ein Grund für die maue Konjunktur ist, dass mit den Exporten der langjährige Wachstumsmotor schwächelt. In absoluten Zahlen werde der Außenhandel in diesem Jahr bestenfalls stagnieren, sagte der Präsident des Branchenverbandes BGA, Dirk Jandura. "Uns fehlen im Moment die Impulse." Aktuell hinterlasse die schwache Konjunktur in China, Asien und Südamerika Spuren. Der BGA kritisierte zudem eine noch immer zu starke Bürokratie in Deutschland. "Unser Standort ist in verschiedenen Bereichen derzeit nicht wettbewerbsfähig genug", sagte Jandura. "Und unsere Politik ist es auch nicht."
Auch wegen der schwächelnden Auslandsnachfrage sind der deutschen Industrie im Juli die Aufträge so stark weggebrochen wie seit über drei Jahren nicht mehr. Das Neugeschäft schrumpfte um 11,7 Prozent im Vergleich zum Vormonat, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Einen kräftigeren Rückgang gab es zuletzt zu Beginn der Corona-Krise im April 2020. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten lediglich mit einem Minus von 4,0 Prozent rechnet. Im Juni (+7,6 Prozent) und im Mai (+6,2 Prozent) gab es noch kräftige Zuwächse, für die vor allem Großaufträge sorgten - zuletzt insbesondere aus der Luft- und Raumfahrtbranche. Diese fielen diesmal weg.
Warnung vor zu viel Pessimismus
"Das Bild ist nicht so trüb, wie es auf den ersten Blick aussieht", erklärte der Chefvolkswirt von Union Investment, Jörg Zeuner. "Im Vormonat hatten zahlreiche Großaufträge, darunter einer über rund 900 Flugzeuge für den Hersteller Airbus, das Pendel nach oben ausschwingen lassen." Dadurch brach das Neugeschäft im sogenannten sonstigen Fahrzeugbau diesmal um 54,5 Prozent ein. Bereinigt um solche Großaufträge legten die Aufträge im Juli sogar zu, wenn auch nur um 0,3 Prozent. Im weniger stark schwankenden Dreimonatsvergleich lag der Auftragseingang von Mai bis Juli um 3,1 Prozent höher als von Februar bis April. "Eine nachhaltige Belebung der Industriekonjunktur lässt sich daraus angesichts des eingetrübten Geschäftsklimas und der schwachen Weltkonjunktur aber nicht ableiten", erklärte das Bundeswirtschaftsministerium dazu. Der Chefvolkswirt der Hauck Aufhäuser Lampe Privatbank, Alexander Krüger, fügte hinzu: "Die Industrie bleibt Sorgenkind, die Auftragsbücher sind deutlich dünner als vor einem Jahr".
"Inflation wird sich beruhigen"
Hoffnung macht Ökonomen das erwartete Abflauen der Teuerungswelle. "Die Inflation wird sich beruhigen", sagte IfW-Konjunkturchef Stefan Kooths. "Das ist eine erfreuliche Nachricht, vor allen Dingen für breite Bevölkerungskreise, denn deren Kaufkraft wird sich deutlich erholen, so dass alle wieder mehr Geld in der Tasche haben, um damit auch dann die konsumnahen Wirtschaftsbereiche zu stützen." Zwar sollen die Verbraucherpreise in diesem Jahr mit 6,0 Prozent nur wenig langsamer steigen als 2022 mit 6,9 Prozent. Für die beiden kommenden Jahre rechnet das IfW aber nur noch mit einer Teuerungsrate von jeweils 2,1 Prozent.
Licht und Schatten sehen die Kieler Forscher auf dem Arbeitsmarkt. "Die derzeitige wirtschaftliche Schwächephase wird am Arbeitsmarkt nur wenig Spuren hinterlassen, da der Fachkräftemangel weiterhin groß ist." In diesem und im kommenden Jahr wird eine Arbeitslosenquote von jeweils 5,6 Prozent erwartet, die aber 2025 wieder auf das Niveau von 2022 von 5,3 Prozent fallen soll. "Aufgrund des demografischen Wandels wird die Erwerbstätigkeit in den kommenden beiden Jahren wohl nicht mehr steigen", betonte das IfW zugleich.
Einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zufolge wollen auch das IWH in Halle und das RWI in Essen ihre Konjunkturprognose für das laufende Jahr ähnlich senken wie das IfW. Die drei Institute sind ebenso wie das Berliner DIW und das Münchner Ifo an der sogenannten Gemeinschaftsprognose beteiligt, die Ende September erscheinen soll. Diese dient der Bundesregierung als Basis für ihre eigene Prognose.
tko/dk (rtr, dpa, afp)