Deutscher Zukunftspreis für die Lupine
19. November 2014Zum 18. Mal wurde in diesem Jahr der Deutsche Zukunftspreis vergeben. Für revolutionäre Ideen, Entwicklungen und Erfindungen, die es schon bis zur Marktreife gebracht haben oder die kurz davor sind. Viele Produkte, die mit diesem Preis ausgezeichnet wurden, sind weltweit erfolgreich, ihre Entwickler wurden danach oft mit weiteren wichtigen Preisen dekoriert. Zum Beispiel Stefan Hell, der Erfinder des superauflösenden Fluoreszenzmikroskops. Er wurde 2006 mit dem Deutschen Zukunftspreis ausgezeichnet, in diesem Jahr sogar mit dem Nobelpreis für Chemie.
Oder Peter Grünberg. Er entwickelte Leseköpfe, die die Speicherkapazität von Festplatten erheblich erhöhen. Dieses Produkt revolutionierte die Computertechnik, daraus hervor ging der MP3-Player. Grünberg bekam dafür 1998 den Deutschen Zukunftspreis und 2007 den Nobelpreis für Physik.
In diesem Jahr waren folgende Forscherteams nominiert:
1. Niels Fertig, Andrea Brüggemann und Michael George von Nanion Technologies GmbH. Sie entwickelten ein Verfahren, um die Entwicklung neuer Medikamente zu beschleunigen und kosteneffizienter zu machen.
2. Ulrich Grethe, Burkhard Dahmen und Karl-Heinz Spitzer von Salzgitter Flachstahl GmbH und Salzgitter SMS Siemag AG. Sie entwickelten ein Verfahren, um einen besonders dünnen und biegsamen Stahl herzustellen.
3. Stephanie Mittermaier, Peter Eisner und Katrin Petersen vom Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung und der Prolupin GmbH. Sie entwickelten aus Lupinen einen proteinreichen Ersatz für tierische Lebensmittel.
Alle drei Projekte seien zukunftsweisend, versicherte Bundespräsident Joachim Gauck bei der Präsentation der einzelnen Teams, die Entscheidung, sagte er, fiel ihm schwer. Letztendlich aber hob Gauck den Daumen für das Team Lupine.
Lupinenprotein als Fleisch- und Milchersatz
Stephanie Mittermaier vom Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung in Freising entwickelte mit ihrem Kollegen Peter Eisner ein Verfahren, mit dem man aus Lupinensamen - die einen intensiven Geruch und Geschmack nach Bohnen und Gras haben - ein neutral schmeckendes und -riechendes Proteinpulver gewinnen kann.
"Lupinensamen sind vergleichbar mit Erbsen oder Soja. Sie sehen auch ähnlich aus. Im Prozess möchten wir zunächst die Kerne von den Schalen trennen", erklärt die Verfahrenstechnik-Ingenieurin.
Nach dem Schälvorgang werden die Lupinensamen zu Flocken zerquetscht - ähnlich wie Haferflocken. Als nächstes geht es der Forscherin darum, störende Geschmacksstoffe aus den Flocken herauszuholen. Und von denen gibt es in der Lupine allerhand.
Mit dem Öl verschwinden auch störende Aromen
Mittels Gaschromatographie, einem Verfahren zum Auftrennen von Gemischen in einzelne chemische Verbindungen, war es Mittermaier gelungen, 50 verschiedene Aromastoffe in der Lupine zu identifizieren. "25 dieser Aromastoffe entfalteten eine sehr, sehr starke Wirkung. Sie waren auch in sehr starken Verdünnungen immer noch wahrnehmbar. Sie gehören zu den verschiedensten chemischen Klassen: Carbonsäure, Aldehyde, Alkohole, Ketone…"
Auf ihrer Suche nach einem Extraktionsverfahren für diese und weitere störenden Stoffe, stieß Mittermeier dann auf sogenanntes überkritisches Kohlendioxid. "Überkritisch bedeutet: Es verhält sich nicht mehr klassisch wie ein Gas, sondern es hat Löseeigenschaften wie ein Fluid", erklärt Mittermaier. "CO2 bekommt man dadurch überkritisch, indem man es auf 73 bar Druck bringt und auf 31 Grad Celsius erhitzt. Es ist aber weiterhin gasförmig. Das ist also ein Übergangszustand."
In einem Druckkessel entzieht die Forscherin den vorher gelben Lupinenflocken das Pflanzenöl - darin bleiben die meisten Aromastoffe zurück. Danach sind die Flocken schneeweiß.
Proteine für Milch - Fasern für Mehl
Als nächstes kommen sie in einen wässrigen Prozess. "Das hier ist ein Separator aus der Milchindustrie, der ist dazu da, die Molke vom Milchfett zu trennen", sagt Mittermaiers Kollege Peter Eisner und zeigt auf einen Stählernen Apparat. "Wir setzen ihn ein, um im letzten Schritt die Pflanzenproteine aus der wässrigen Lösung abzutrennen."
Die gewünschten Proteine werden darin von Ballaststoffen - der sogenannten Faserfraktion - getrennt. Am Ende bleibt eine quarkähnliche Masse übrig, die getrocknet ein Pulver ergibt. Das reine Lupinenprotein sieht dann in etwa so aus, wie eine Mischung aus Milchpulver und Mehl und schmeckt auch so ähnlich.
Auch die Nebenprodukte lassen sich noch in Nahrungsmitteln verarbeiten: Das Pflanzenöl kann man zu Salatöl raffinieren und die Ballaststoffe zum Beispiel ins Mehl einmischen und Brot oder Nudeln daraus backen.
Die Fraunhofer-Forscher haben ihr Produkt mittlerweile erfolgreich auf den Markt gebracht. In Grimmen, in Mecklenburg-Vorpommern, produziert die Firma Prolupin, gegründet als Spin-off des Fraunhofer-Instituts, derzeit pro Jahr zwischen 200 und 300 Tonnen reines Lupinenprotein, von dem das meiste derzeit zu Speiseeis verarbeitet wird.
Mit Lupinen wächst auch der Roggen besser
Für das norddeutsche Bundesland haben sie sich aufgrund der dortigen sandigen Böden und des guten Wachstums der Lupinen entschieden. "Man sollte mit einer Produktionsstätte immer dorthin gehen, wo die Rohstoffe auch wachsen, damit man keine langen Transportwege hat", erklärt der Verfahrenstechnik-Ingenieur Eisner. "Das ist der Grund, warum wir im Norden sind. Dort haben wir sehr gute Anbaubedingungen und eine Landwirtschaft, die den Anbau auch vorantreiben möchte."
Die Landwirte interessieren sich für die Lupine nicht nur, weil sie dank des neuen Verfahrens damit Proteine produzieren können. "Prinzipiell ist die Lupine mit ihren bodenverbessernden Eigenschaften - Stickstoffanreicherung, Phosphoranreicherung - eine sehr, sehr gefragte Zwischenfrucht für die Landwirte, " sagt Eisner.
So hatte schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts König Friedrich II von Preußen Lupinen aus Italien eingeführt, in der Hoffnung den Ertrag auf Roggenfeldern in der Mark Brandenburg zu steigern. Allerdings scheiterten seine Versuche damals an einer Pilzerkrankung, mit der die italienischen Lupinensorten nicht zurechtkamen: Der Anthraknose.
Die Fraunhofer-Forscher haben sich deshalb für eine pilzresistente Kultursorte entschieden, die zudem wenig toxische Bitterstoffe enthält: Die blaue Süßlupine. Nicht nur für Norddeutschlands sandige Böden ist sie gut geeignet, sondern, sie könnte einmal helfen, den Hunger weltweit zu bekämpfen.
"Die Lupine ist sehr anspruchslos", betont der Forscher Eisner. "Das ist ihre Stärke. Sie hat gerade eine Reifezeit von 100 Tagen, sodass sie eigentlich auch mit längeren Trockenperioden klarkommt. Wir haben Anfragen eigentlich aus der ganzen Welt: Aus Asien, Australien und Südamerika. Auch in Nordamerika gibt es großes Interesse." Also sei die Lupine als Agrarpflanze durchaus für die ganze Welt geeignet.
Nicht nur Veganer als Zielgruppe
Der potenzielle Markt könnte jedenfalls riesig sein: Denn im Vergleich zu herkömmlichen Pflanzenproteinen auf Bohnen-, Kartoffel- oder Sojabasis oder auch zum Milch-Protein Kasein, kann das Lupinenprotein mit zwei einzigartigen Eigenschaften punkten: Mit seinem neutralen Geschmack und seiner hervorragenden Fähigkeit Wasser und Öl zu emulgieren.
Das ist auch der Grund, weshalb Mittermaier, Eisner und die Projektpartnerin und Agraringenieurin Katrin Petersen, die die Firma Prolupin leitet, sich für Eiscreme als erstes Produkt entschieden haben.
"Das war für uns wichtig, um zu demonstrieren, wie funktionell das Protein ist", erklärt Eisner. "Das Speiseeis enthält nur wenige Gramm an Protein pro Becher, zeigt aber wunderbar, dass sich das Mundgefühl sehr cremig und weich gestaltet, es gleichzeitig in der Lage ist, einen Schaum zu bilden."
Und das ist für die Fraunhofer-Forscher erst der Anfang. Im nächsten Schritt möchten die Ingenieure ihre Produktpalette deutlich erweitern, auf Molkereiprodukte wie Lupinenmilch, Joghurt oder Pudding. "Dazu kommen Feinkostprodukte, wie Mayonnaise und Saucen und Dressings, damit der Kunde eine Alternative zu Produkten aus Soja hat", sagt Eisner. Selbst für Wurstwaren kann man Lupinenprotein nutzen.
In den nächsten Jahren geht es den Erfindern zunächst darum, den wachsenden aber noch immer kleinen Markt für vegane Produkte in Deutschland zu erschließen. Doch sie sind überzeugt: Die Lupine kann deutlich mehr: Weltweit werden heute 80 Millionen Tonnen Proteine aus Milch, Fleisch und Eiern produziert. Das ist 400.000-mal mehr als Prolupin derzeit aus Lupinen herstellt. Da ist also noch jede Menge Luft nach oben.