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Weniger Gewalt im Irak

Marcus Bösch21. November 2007

Seit der US-amerikanischen Truppenverstärkung im Sommer ist die Gewalt von Aufständischen im Irak deutlich zurückgegangen. Die schnellen Erfolge könnten sich aber bald böse rächen.

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Bombenanschlag in Bagdad (Foto: AP Photo/Hadi Mizban)
Die Zahl der wöchentlichen Anschläge sank um fast die Hälfte auf 575Bild: AP

Der Blick auf die Statistik stimmt positiv. Die Angriffe irakischer Aufständischer sind seit Juni im ganzen Land um 55 Prozent gesunken. 60 Prozent weniger Tote unter der Zivilbevölkerung wurden im gleichen Zeitraum registriert. In Bagdad sank die Zahl getöteter Zivilisten gar um 75 Prozent. Eine direkte Folge der US-amerikanischen Truppenverstärkung im Juni um 30.000 auf fast 170.000 Soldaten, findet Stuart Brown, US-Generalinspekteur für den Wiederaufbau.

Gemeinsam gegen die Aufständischen

"Das liegt nicht nur an der Aufstockung, aber auch", sagt Guido Steinberg. Der Irak-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin erklärt die sinkende Zahl der Angriffe als Erfolg einer geänderten amerikanischen Strategie: "Die Amerikaner sind in den Städten präsenter und haben sich mit einigen sunnitischen Stämmen verbündet und kämpfen nun gemeinsam mit ihnen gegen El-Kaida."

DW-Karte: Bevölkerungsgruppen im Irak
Bild: AP/DW

Was als "Anbar Awakening" in der Provinz Anbar begann, scheint sich in vielen Provinzen durchzusetzen. Sunniten erheben sich gegen die Terrorgruppe El-Kaida. Die Menschen haben im fünften Jahr des Konflikts offenbar Genug von Gewalt und Anschlägen: Lokale Bürgerwehren vertreiben Aufständische. Das wundert Steinberg nicht: "Die sunnitische Bevölkerung leidet unter den täglichen Anschlägen wesentlich mehr als die US-Truppen."

Sicherheitsniveau nicht erreicht

Von einer Trendwende scheint der Irak aber trotz positiver Statistiken weit entfernt. Denn Gewalt ist weiter allgegenwärtig. Landesweit starben allein am Sonntag (18.11.07) laut Polizeiangaben mindestens 29 Menschen. Darunter auch drei Kinder, die sich auf einem Spielplatz nahe der Stadt Bakuba um US-Soldaten geschart hatten, die Spielzeug und Sportartikel verschenkten. Ein Attentäter mit Sprengweste riss die Kinder und die Soldaten in den Tod. Und verletzte sieben weitere Kinder.

Auch die Lage in Bagdad ist weit von einem Zustand entfernt, der die Zustandbeschreibung "normal" verdient. In einigen Vierteln werde die Bevölkerung noch immer von bewaffneten Gruppen terrorisiert, sagt Kassem Atta, Militärsprecher der Stadt. "Es sind wichtige Ergebnisse erzielt worden, aber das von uns angestrebte Niveau der Sicherheit haben wir noch nicht erreicht", so zitierte ihn die irakische Zeitung "Al-Taakhi" am Montag (19.11.07).

Bürgerkriegspartei von morgen

Im Weißen Haus in Washington feiert man 575 Anschläge irakischer Aufständischer pro Woche als Erfolg weil es vor einem halben Jahr noch gut doppelt so viele waren. Wissenschaftler weisen derweil auf die Knackpunkte der vermeintlich großen Errungenschaften hin. "Die Erfolge an der Sicherheitsfront werden nicht von politischen Erfolgen begleitet", sagt Steinberg. Die Regierung in Bagdad sei praktisch handlungsunfähig, Parlament und Regierung in sich zerstritten. Was viel schlimmer wiegt:

"Mit der Unterstützung der Sunniten im Kampf gegen Terroristen fördert man Kräfte die die irakische Verfassung von 2005 ablehnen", erklärt Irak-Experte Steinberg. Die amerikanische Strategieänderung und ihr vermeintlicher Erfolg? "Der könnte sich rächen", sagt Steinberg. Vielleicht baue man nämlich hier die Bürgerkriegspartei von morgen auf.