Der Prinz, der Deutschland regieren will
9. Dezember 2022"Er war vor 30 Jahren ein recht moderner, in der Zeit stehender, schwungvoller Unternehmer", sagt ein erschüttert wirkender Fürst Heinrich XIV. Reuß-Köstritz im Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) über seinen entfernten Verwandten, Prinz Heinrich XIII. Reuß. Seither habe sich dieser sich aber wohl über Enttäuschungen radikalisiert. Dass der Immobilienmakler Rädelsführer einer Verschwörung war, das könne er sich jedoch nicht vorstellen.
Doch genau das wirft die Generalbundesanwaltschaft dem 71-jährigen Prinzen offenbar vor. Er soll Kopf des politischen Arms einer Gruppe von "Reichsbürgern" sein, von denen am Mittwoch in einer Serie von Großrazzien 25 Personen festgenommen worden sind. Sie sollen einen Staatsstreich geplant haben, um Deutschland wieder zu einer Monarchie zu machen. Mit Heinrich XIII. als Staatsoberhaupt.
Ein "Reichsbürger" par excellence
Aus seinen Weltanschauungen hatte der Prinz des alten Adelshauses der Reußen seit längerer Zeit keinen Hehl mehr gemacht. Eine Rede, die er 2019 auf dem Worldwebforum 2019 in Zürich hielt, dokumentiert das eindrücklich. Warum er dort überhaupt eine Viertelstunde lang seine - durch lose zusammengesetzte Anekdoten scheinbar belegten - Theorien vortragen durfte, ist unklar. Denn mit dem Business-Kongress wollen die Veranstalter vielleicht die digitale Welt revolutionieren, nicht aber Deutschland.
Dennoch kann Heinrich XIII. ungestört darüber sprechen, dass der deutsche Staat als völkerrechtlich souveränes Subjekt 1918 angeblich aufgehört habe zu existieren und dass die Gewaltenteilung in der Bundesrepublik eine Illusion und die Politik Schauspiel seien. Kaschiert werden solle so, dass ominöse Finanzmachtzirkel Deutschland nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg zu ihrer Gelddruckmaschine gemacht haben.
Wer sich einmal mit den "Reichsbürgern" befasst hat, weiß, dass dies ungefähr der gemeinsame Nenner der Szene ist. Doch Reuß gibt in seiner Zürcher Rede auch Einblicke in seine persönlichen Motive: die Geschichte seiner Familie nämlich. Diese sei "eine enteignete Dynastie nach 1000 Jahren Herrschaft", sagt er.
Das Adelsgeschlecht der Reußen
Tatsächlich ist das - auch in Deutschland eher unbekannte - Adelshaus der Reußen ein altes, traditionsreiches Geschlecht. Um 1100 machte Heinrich IV. - jener römisch-deutscher Kaiser, der den berühmten Bußgang nach Canossa tat - die Familie zu Lehensherren. Deshalb heißen übrigens bis heute alle männlichen Familienmitglieder so mit Vornamen.
Ab dem 12. Jahrhundert herrschten die Reußen in mehreren Linien als Vögte über verschiedene Territorien in den heutigen Bundesländern Bayern, Thüringen und Sachsen sowie auf dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik. Diesem Umstand verdankt das thüringische "Vogtland" seinen heute noch gebräuchlichen Namen. Ab 1329 regierten die Reußen dann im Fürstenrang und gehörten damit zum Hochadel. Aus der Familie gingen Diplomaten und Offiziere sowie ein Hochmeister des Deutschen Ordens hervor. Und nun ein Verschwörungserzähler.
Enteignung und Machtverlust der Familie
Wie alle deutschen und österreichischen Adligen verloren auch die Reußen nach dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918 ihre Herrschaftsansprüche. Fürst Heinrich XXVII. Reuß, Großvater des XIII., dankte ab. Aus den reußischen Gebieten entstand der Volksstaat Reuß, der 1920 im neu gegründeten Freistaat Thüringen aufging. Ihre Besitztümer auf dem Gebiet der späteren DDR wurden 1945 von der kommunistischen Führung in der sowjetischen Besatzungszone beschlagnahmt, die Familie somit enteignet.
Obwohl er selbst erst 1951 geboren wurde, hat Heinrich XIII. dies offenbar nie verkraftet. Als ginge es dabei nicht nur um ihn und das (Familien-)Eigentum, sprach Reuß in Zürich vom Glück der Menschen, die unter der geradlinig strukturierten Herrschaft seiner Familie lebten, und dem Unglück derer, die nun den "kafkaesken Zuständen der Demokratie" ausgeliefert seien.
Allerdings habe er auch jahrzehntelang unter hohem finanziellem Aufwand vergeblich versucht, enteignete Besitztümer auf dem Rechtsweg wiederzuerlangen, klagte er vor dem Worldwebforum. Heute scheint er zu glauben, dass der juristische Kampf um die enteigneten Güter stets aussichtslos gewesen sei, weil seiner Ansicht nach Justiz und Anwaltschaft in Deutschland mit der angeblichen Scheinregierung unter einer Decke stecken.
Kampf um das Familienerbe
Tatsächlich hat Heinrich XIII. wohl viel Zeit und Geld aufgewendet, zum Beispiel um das Jagdschloss Waidmannslust zurückzukaufen, das den mutmaßlichen Umstürzlern als Versammlungsort gedient haben soll. Außerdem hat er im Namen seiner 2019 verstorbenen Mutter Gerichtsprozesse um die ehemaligen Besitzungen geführt. Ganz so erfolglos, wie er behauptet, war er damit jedoch nicht. 2008 wurde ihnen das Schloss Thallwitz in Sachsen zugesprochen.
Auch andere Familienmitglieder waren mit Restitutionsansprüchen erfolgreich. Auf Klage des Zweigs, dem auch Fürst Heinrich XIV. angehört, erkannte das Verwaltungsgericht Köstritz im Jahr 2002 an, dass die Enteignung des dortigen (teilweise abgerissenen) Schlosses samt Park unrechtmäßig war.
Ein "teilweise verwirrter" Mann, sagen Verwandte
Aus dem rund 60-köpfigen Familienverband, heißt es aus dem Adelshaus, habe sich Prinz Heinrich XIII. bereits 2008 zurückgezogen. Schon nach der Rede in Zürich habe sich Fürst Heinrich der XIV. Reuß-Köstritz "massiv distanziert", sagte er dem MDR.
Die gleiche Reaktion zeigte das Familienoberhaupt nach einem Vorfall im August dieses Jahres auf dem Marktfest im thüringischen Bad Lobenstein. Prinz Heinrich XIII. war dort mit dem AfD-Landtagsabgeordneten Uwe Thrum und dem damaligen Bürgermeister von Thomas Weigelt unterwegs, als letzterer plötzlich auf einen Journalisten losging, der über die Reichsbürgerszene berichtet.
Aus dem agilen Immobilienunternehmer, meint Fürst Heinrich XIV. laut MDR, sei offenbar "ein verwirrter alter Mann" geworden, der "verschwörungstheoretischen Irrmeinungen aufsitzt".