Der Verbrennungsmotor startet durch
22. Mai 2012Der Hype scheint abzuflauen. Vor dreieinhalb Jahren hatte die damalige große Koalition in Berlin erstmals das Ziel vorgegeben, Deutschland zum Leitmarkt für Elektromobilität zu machen. "Es war eine riesige Euphorie, die da aufgebaut wurde, zum Teil auch mediengesteuert", sagt der Autoexperte Stefan Bratzel gegenüber der DW.
Doch von der Aufbruchsstimmung in Sachen Elektro-Auto ist nicht mehr viel zu spüren. Im Gegenteil - die Autoindustrie setzt verstärkt auf die Weiterentwicklung von Verbrennungsmotoren. Anschauliches Beleg für diese Haltung ist das Bild von Ford-CEO Allan Mulally, der bei einer Präsentation im Februar einen neuentwickelten Dreizylinder-Motor küsst (Foto oben). Das Aggregat soll bei gleicher Leistung deutlich weniger Kraftstoff verbrauchen als ein größeres Triebwerk.
Rückzieher in Sachen Elektroauto
Auf der Automesse in Peking im zurückliegenden April gab es Rückzieher von allen Seiten: Die chinesische Regierung, die sich die besondere Förderung von Elektroautos auf die Fahnen geschrieben hat, spricht plötzlich nur noch von "bescheidenen Zielen". Die großen Autobauer wie Daimler, BMW oder Volkswagen haben elektrisch angetriebene Fahrzeuge zwar nicht völlig von der Agenda gestrichen – sie setzen aber mindestens noch für die nächsten zwanzig Jahre auf die bewährten Benzin- und Diesel-Motoren.
"Wir bei Volkswagen meinen, dass die klassischen Verbrennungsmotoren - natürlich entsprechend weiterentwickelt - noch eine nachhaltige Zukunft haben werden", sagt beispielsweise VW-Entwicklungschef Ulrich Hackenberg. Insbesondere in Verbindung mit CO2-neutralen Kraftstoffen, also speziellen Biokraftstoffen, werde eine klimafreundliche Mobilität mit diesem Antrieb möglich sein.
Ingenieure in der Pflicht
"Ich sage immer: Das Beste an der Elektro-Mobilität ist der unbewusste Push, der jetzt auf den Verbrennungsmotor ausgeht", grantelt Fritz Indra in typischem Wiener Schmäh. Der 72-jährige Motoren-Experte aus Österreich hat in seiner langen Karriere für namhafte Hersteller wie BMW Alpina, Audi, Opel und General Motors in leitenden Positionen gearbeitet. Der Professor an der TU Wien sieht noch eine Vielzahl technischer Möglichkeiten, um den Spritverbrauch konventioneller Motoren zu senken." Die Ingenieure fühlen sich da wirklich in die Pflicht genommen. Und Dinge, die schon da waren, wie Zylinder-Abschaltung, Start-Stopp-Automatik, Thermomanagement, integrierter Auspuffkrümmer kommen jetzt doch viel schneller, als man denkt."
Weniger Sprit heißt auch weniger CO2
Eine Senkung des Verbrauchs bedeutet auch weniger CO2-Ausstoss. Die EU-Kommission verlangt bei neuzugelassenen Autos bis zum Jahr 2015 eine Senkung der CO2-Emmissionen um elf Prozent auf durchschnittlich 130 Gramm pro Kilometer. Im Beschlussjahr 2009 lag der Ausstoß des Klimagases noch bei 146 Gramm pro Kilometer.
Und es soll noch weitergehen: Über 95 Gramm pro Kilometer im Jahr 2020 hat die EU bis 2025 eine Beschränkung auf 70 Gramm für ein durchschnittliches Neufahrzeug jedes Herstellers ins Auge gefasst – der Spritverbrauch läge dann bei rund drei Litern Benzin oder 2,6 Litern Diesel pro hundert Kilometer.
"Technisch machbar", meint Horst Schneider, Vorstandsmitglied beim TÜV Süd, doch damit seien dann auch die Grenzen des Verbrennungsmotors erreicht: "Über einen CO2-Wert in der Größenordnung von 70 Gramm beim klassischen Fahrzeug wird man vermutlich nicht hinaus kommen." Deshalb ist er der festen Überzeugung, dass man mittelfristig für bestimmte Einsatzzwecke um das Elektro-Fahrzeug nicht herum kommen werde.
Stromer mit vielen Nachteilen
Doch bislang haben Elektro-Autos noch viele Nachteile: Die Akkus, in denen der Strom gespeichert wird, sind extrem teuer und erlauben nur kurze Reichweiten. Hinzu kommen die langen Ladezeiten.
Die großen Stromhersteller berufen sich dagegen auf Studien, nach denen der durchschnittliche Autofahrer pro Tag nur knapp 40 Kilometer zurücklegt. Diese Reichweite sei leicht zu schaffen, sagt die Stromlobby. Und die Akkus könne man ja in der Nacht, also sozusagen zur Schlafenszeit aufladen.
Eine Argumentation, gegen die Wolfgang Lohbeck, Verkehrsexperte bei der Umweltorganisation Greenpeace heftig protestiert. "Ich möchte aber ein anderes Fahrzeug – gerade weil ich mich sehr oft nicht 'durchschnittlich' verhalte. Ich will tatsächlich nachts um ein Uhr meine Oma vielleicht am Bahnhof oder am Flughafen abholen. Das kann ich nicht mehr mit so einem Elektro-Auto." Lohbeck stellt die rhetorische Frage: "Warum sollte ich mir ein Auto kaufen, was dreimal soviel kostet, nur ein Drittel kann und dem Klima auch nicht viel nützt?"
Energiewende abwarten
Worauf der Greenpeace-Experte damit anspielt: Die Klimabilanz von Elektroautos steht und fällt mit der Stromerzeugung: Solange der Strom unter Freisetzung großer Mengen von CO2 aus fossilen Brennstoffen wie Kohle und Öl hergestellt wird, können es Elektroantriebe im individuellen Personenverkehr umwelttechnisch nicht mit herkömmlichen Verbrennungsmotoren aufnehmen.
Die Autofahrer scheinen ihr Urteil jedenfalls bereits gefällt zu haben: Derzeit sind in Deutschland rund 43 Millionen PKW zugelassen, darunter gerade mal 4.500 Elektroautos. Laut Fachpresse erwarten Experten bis zum Jahr 2020 weltweit einen Marktanteil von maximal drei Prozent.