Der tiefe Fall der HSH Nordbank
13. September 2013Die HSH Nordbank ist eine junge Landesbank, gegründet 2003 durch die Fusion der Landesbanken Hamburg und Schleswig-Holsteins. "Wir wollen eine Bank, die den exportorientierten norddeutschen Mittelstand ins Ausland begleiten kann.", begründete die damalige schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis den Zusammenschluss.
Dabei hatten die Politiker viel mehr mit ihrer neuen Landesbank vor. Sie wollten sie als Spezialfinanzierer für Schiffe und Immobilien etablieren, am Hype der Kapitalmärkte verdienen, hohe Dividenden erhalten und sie bis 2006 "kapitalmarktfähig" machen. Kapitalmarktfähig hieß: Das Institut sollte sich aus eigener Kraft günstig am Kapitalmarkt Geld leihen können. Denn 2005 fiel für alle Landesbanken die so genannte Gewährträgerhaftung weg und damit ihr Vorteil, dass die öffentliche Hand für alle Schulden direkt haftete.
Kapitalmarktfähig hieß aber auch: Die HSH sollte über die Börse verkauft werden, um die maroden Landeshaushalte zu sanieren. Den Landesbänkern in Kiel und Hamburg gefiel das; sie durften ab sofort in der Liga der großen Investmenthäuser mitspielen, es winkten Boni in Millionenhöhe und Prestige.
Das große Rad drehen
Um weiter als solvente Bank und für den Börsengang schillernd dazustehen, musste die Provinzbank den Ratingagenturen und potentiellen Investoren eine Erfolgsstory bieten, also hohe Gewinne und eine Eigenkapitalrendite von 15 Prozent. "Vor dem Wegfall der Gewährträgerhaftung haben sich die Landesbanken mit Kapital vollgesogen", erklärt Thomas Hartmann-Wendels, Professor für Bankbetriebslehre an der Universität Köln die Ausgangslage. Allein die HSH Nordbank sammelte noch rasch 165 Milliarden Euro ein. Geld für neue Geschäfte.
Die Vorstände forcierten zwischen 2005 und 2007 die Vergabe von Krediten an Reeder und Bauherren weltweit. Dadurch wuchsen Umsatz und Image, aber nicht die Gewinne. Der Vorstand baute deshalb parallel das Kreditersatzgeschäft aggressiv aus. Damit sichern sich Geldhäuser eigentlich gegen Risiken ab und parken kurzzeitig Millionen. Seit der Jahrtausendwende aber gewann dieses "Nebengeschäft" massiv an Bedeutung, weil es hohe Zinsen und Provisionen einbrachte.
Ohne Erfahrung
Den Landesbankern in Kiel und Hamburg fehlte aber Erfahrung im Kreditersatzgeschäft und Fachleute wollten nicht in die Provinz. "Where the hell is Kiel?" war ein geflügeltes Wort in der Branche. Die Vorstände verlangten dennoch den Abschluss kompliziertester Derivate, Zertifikate und anderer höchst verschachtelter Finanzprodukte in Milliardenhöhe. Sie ließen sogar sichere Geldanlagen wie Pfandbriefe in hochriskante Wertpapiere umschichten. 2007 steckten mindestens 30 Milliarden in dieser Sparte - bei einem Eigenkapital der HSH von acht Milliarden.
Die Nordbank entfernte sich immer mehr von ihrer eigentlichen Aufgabe, die "Zentralbank" der norddeutschen Sparkassen zu sein, also überschüssige Gelder aufzunehmen und Großkredite zu gewähren. Zu keiner Zeit überwachte ein konzernweites Frühwarnsystem den komplexer werdenden Handel - dabei schreibt das die Bankenaufsicht vor -, Risikomanagement und -Controlling wurden nicht personell aufgestockt und die IT-Systeme nicht angepasst.
Und ohne Aufsicht
Dem Aufsichtsrat fiel das nicht auf, er nickte alles ab, ließ sich von Gewinnen und Fachjargon blenden. Keiner hinterfragte das Geschäftsgebaren, obwohl es aus der Bank warnende Stimmen gab. Mit der Pleite der US-Investmentbank Lehman-Brothers implodierten in der HSH das Milliarden-Kreditersatzgeschäft, die 24 Zweckgesellschaften, die Kredite an Reeder und US-Bauherren. Auch die BayernLB, die WestLB und die Landesbank Baden-Württemberg meldeten unvorstellbare Verluste. Die Bundesländer mussten ihre Landesbanken mit Milliarden Kapital und Garantien retten, und manche stehen auch heute noch finanziell mit dem Rücken an der Wand.
Wie konnte es nur zu dieser Katastrophe unter den Augen der Länder, der Bankenaufsicht und von Wirtschaftsprüfer kommen? Das fragten sich 2010 zwei Parlamentarische Untersuchungsausschüsse in Hamburg und Schleswig-Holstein. Ihr Fazit: "Die innere Organisation der HSH Nordbank war erschreckend mangelhaft. Die Risikoscheu fiel fast auf Null. Prüf- und Kontrollaufgaben wurden vernachlässigt, Detailkenntnisse waren nicht erforderlich."
Politische Konsequenzen gab es keine. Elf Vorstände haben die Nordbank seit der Fusion 2003 geführt. Sechs von ihnen stehen seit Juli gemeinschaftlich vor dem Hamburger Landgericht. Ihnen wird wegen eines komplexen Finanzgeschäfts Ende 2007 schwere Untreue und Bilanzfälschung vorgeworfen. Ein Prozess mit Beispielcharakter. Die Richter wollen klären, wo die Grenze zwischen einer unternehmerischen und einer pflichtwidrigen Entscheidung liegt.