Der Tag der Beate Zschäpe
9. Dezember 2015Die Aussage von Beate Zschäpe vor dem Oberlandesgericht München soll Angaben zu allen Anklagepunkten enthalten, die die Bundesanwaltschaft dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) vorwirft. Darunter sind zehn Morde und zwei Sprengstoffanschläge. Zschäpe muss sich als Mittäterin an sämtlichen NSU-Verbrechen verantworten. Zschäpes Verteidiger Mathias Grasel wird nach eigenen Angaben eine Erklärung seiner Mandantin verlesen. Offen ist, ob sich Zschäpe darin auch an die Angehörigen der NSU-Opfer wendet.
Angehörige von NSU-Opfern skeptisch
Der Prozess gegen Zschäpe und vier mutmaßliche NSU-Helfer ist einer der größten Prozesse in der Geschichte der Bundesrepublik, ein Ende bislang nicht absehbar. Seit Prozessbeginn im Mai 2013 hatte die 40-jährige Hauptangeklagte beharrlich geschwiegen. Grasel hat angekündigt, dass sie auch Fragen beantworten will - aber nur des Gerichts, und nur schriftlich und erst später. Konkret hat er den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl um einen schriftlichen Fragenkatalog gebeten. Den will er mit Zschäpe durcharbeiten und dann antworten. Ob das Gericht dazu sein Einverständnis erteilt, ist noch offen.
Angehörige von NSU-Mordopfern und deren Anwälte dämpften die Erwartungen. Der Anwalt der Münchner Familie Boulgarides, Yavuz Narin, sagte, das von Zschäpe und ihren Anwälten geplante Prozedere spreche "nicht unbedingt für die Glaubhaftigkeit irgendwelcher Aussagen". "Wir hätten es besser gefunden, wenn sie auch selber redet und dazu beiträgt, dass die ganze Wahrheit über den NSU herauskommt." Vater Theodoros Boulgarides war 2005 in München erschossen worden, mutmaßlich von Zschäpes Freunden Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Die beiden sind tot, Zschäpe ist die einzige Überlebende des Trios.
"Warum musste mein Angehöriger sterben?"
Auch Gamze Kubasik, die Tochter des in Dortmund ermordeten Mehmet Kubasik, sagte mit Blick auf Zschäpes Aussage, sie habe keine große Hoffnung - "weil ich einfach glaube, dass da nicht die Wahrheit gesagt wird". Die Ombudsfrau der Bundesregierung für die NSU-Opfer, Barbara John, sagte der "Berliner Zeitung": "Was ich mir wünsche und was die Familien sich wünschen, ist ein Reuebekenntnis und eine Klärung der immer wieder bohrenden Frage: Warum musste gerade mein Angehöriger sterben?" Das wäre eine Art Befreiung, so John.
Die Erklärung Zschäpes war eigentlich schon vor vier Wochen geplant gewesen. Ein Befangenheitsantrag des Mitangeklagten Ralf Wohlleben machte den Zeitplan aber zunichte, mehrere Prozesstage fielen aus. Anschließend verzögerte sich die Aussage, weil ein Anwalt Zschäpes im Urlaub war: Hermann Borchert, ein Kanzleikollege von Grasel. Ihn hätte Zschäpe nun auch gerne als Pflichtverteidiger an ihrer Seite - bisher ist er Wahlverteidiger. Das hat sie beim Gericht beantragt.
sti/cr (dpa, afp)