Der Sudan steht vor dem kulturellen Ruin
23. September 2024Die Kalaschnikow im Anschlag, die Finger zum "V" für Victory ("Sieg") geformt, so posieren Soldaten der Rapid Support Forces in einem Facebook-Video vor den antiken Ruinen von Naga. Die südlichste Stadt des einstigen Königreichs von Meroë - einst Teil des Reiches von Kusch ("Kasch" bedeutet auf Ägyptisch Nubien) - liegt nordöstlich von Khartum, der Hauptstadt der Republik Sudan, weitab vom Nil in der Steppe. Wohl deshalb blieb Naga seit seiner Blütezeit vor rund 2000 Jahren unberührt. Deutsche Archäologen forschen hier seit Jahrzehnten, inzwischen ist Naga ein Ausgrabungsprojekt des Ägyptischen Museums München. "Die Situation ist ganz übel", sagt Museumsdirektor Arnulf Schlüter.
Die Geste der Soldaten passt so gar nicht zur schier ausweglosen Lage im Land: Seit April 2023 kämpfen rivalisierende Truppen erneut um die Macht in dem rohstoffreichen, gleichwohl bitterarmen Land. Dem De-facto-Machthaber Abdel Fattah al-Burhan und der von ihm kontrollierten Armee stehen die Milizen seines früheren Stellvertreters Mohamed Hamdan Daglo gegenüber, die Rapid Support Forces. Die paramilitärische Gruppe unterstand bis zu dessen Sturz dem Kommando von Präsident Umar al-Baschir, der das einst reiche und seit 2011 geteilte Land ausbeutete. Die Geschichte des Konflikts im Sudan reicht indes mehr als 20 Jahre zurück.
Mehr als zehn Millionen Menschen sind heute auf der Flucht, die Hälfte der 50 Millionen Einwohner leidet
Hunger. Die Vereinten Nationen sprechen von "einer der schlimmsten humanitären Krisen der Welt." US-Präsident Joe Biden hat die Konfliktparteien wiederholt zu Verhandlungenüber ein Ende des Bürgerkriegs aufgefordert.
Niemand schützt mehr die Antiken-Felder
Drei Tempel haben in Naga, der einst prachtvollen Stadt, die Jahrtausende überlebt. Fünfzig weitere Tempel, Paläste und Verwaltungsgebäude sind noch unter großen Ruinenhügeln verborgen, außerdem Nekropolen mit Hunderten von Gräbern. Ob es je weitergehen wird mit dem Grabungsprojekt des Ägyptischen Museums München, weiß selbst Museumschef Schlüter nicht. "Die meisten Grabungshelfer sind geflohen, das Grabungshaus ist aufgebrochen, die Reifen der Fahrzeuge gestohlen. Das Antikenareal liegt schutzlos da."
Auch die Idee eines Museumsbaus für die vielen Reliefs, Statuen und Kleinfunde - für das der britische Architekt Sir David Chipperfield die Pläne gezeichnet hat, dürfte sich erledigt haben. Schlüter macht sich große Sorgen um die Menschen. "Wir wissen nicht, wie es ihnen geht!" Es fehlt an verlässlichen Informationen. Klar scheint aber: Der Antikendienst Sudans, zuständig für die Betreuung der Welterbestätten, hat durch die Kriegshandlungen viele Unterlagen eingebüßt. Seine Büros in Khartoum wurden geplündert. Dabei war ein zentrales Register gerade erst im Aufbau. "Sudan bombt sich in die Geschichtslosigkeit zurück", sagt Schlüter. "Selbst wenn sofort Frieden einkehren würde, müssten wir wieder bei Null anfangen!",
Das Nationalmuseum wurde ausgeraubt
Die Zerstörungen im Land sind immens. Vielerorts ist die Infrastruktur beschädigt, Straßen und Brücken unpassierbar, der Flughafen von Khartoum zerbombt. In größeren Städten haben Soldaten Museen ausgeraubt und zerstört, im südlichen Darfur etwa, in Kurdufan, Gezira. In Khartoum wurde, wie die UN-Kulturorganisation UNESCO bestätigt, das Sudanesische Nationalmuseum mit seinen bedeutenden Antiquitäten und archäologischen Sammlungen geplündert. Die Artefakte hätten großen historischen und materiellen Wert. Die UNESCO warnt deshalb Akteure des Kunstmarkts, Kulturgüter aus dem Sudan zu erwerben.
"Die Lage in den Kriegsgebieten ist dramatisch", sagt auch Angelika Lohwasser, Archäologieprofessorin und Leiterin der "Forschungsstelle Alter Sudan" an der Universität Münster. Viele ihrer Informationen sind ganz frisch. Sie stammen von der "International Concerence for Meroitic Studies", zu der das Institut erst vergangene Woche Ägyptologen aus aller Welt zusammengeschaltet hat. Fotos und Schadensberichte wurden diskutiert. Sudans Kulturgüter, so das Fazit der Konferenz, seien "aktut bedroht", so Lohwasser. Völlig ausgebrannt ist etwa auch der überdachte historische Markt von Omdurman, auf der gegenüber liegenden Nilseite von Khartoum.
Das Goethe-Institut ist geschlossen
Unterdessen ist das deutsche Goethe-Institut im Sudan seit Monaten verwaist. Wegen seiner Nähe zum Präsidentenpalast in Khartoum liegt es mitten in der Kampfzone. Viele der Mitarbeitenden wurden schon zu Beginn der militärischen Krise außer Landes gebracht. In Ägyptens Hauptstadt Kairo, wohin viele Kulturschaffende aus dem Sudan geflohen sind, hat das Goethe-Institut eine Art "Hub" mit Angeboten eingerichtet, wie die Zentrale in Berlin auf Anfrage mitteilt.
Verändert hat der Konflikt im Sudan auch die Welt von Frank Grafenstein. Seine Agentur unterhielt - im offiziellen Regierungsauftrag - die Internetseite "Visit Sudan" (Besuchen Sie Sudan) und organisierte Reisen für Journalisten und Tourismusmanager. Besonders gefragt: Tauchen im Roten Meer und Besuche der reichen Kulturlandschaft. Die Website ist zwar noch online, doch inzwischen hat Grafenstein keinerlei Kontakte mehr in das Bürgerkriegsland. Er sagt: "Ich rate von Reisen in den Sudan ab!"