Riss durch Europas Lebensgefühl
6. November 2013Bankenkrise hin, Eurokrise her, die Deutschen sind zufrieden mit ihrem Leben, zufriedener noch als vor der Krise. Die Zahl der Deutschen, die sich als "sehr zufrieden" bezeichnen, ist in den vergangenen fünf Jahren von 53 auf 61 Prozent gestiegen. "Acht Prozent kann man schon als signifikant bezeichnen", meint OECD-Statistiker Paul Schreyer, "das ist kein zufälliger Anstieg." Damit stehen die Deutschen ziemlich allein in Europa. Vor allem für die südlichen Länder zeichnet die OECD in einem am Dienstag (05.11.2013) veröffentlichten Bericht zur Entwicklung der Lebensqualität ein ziemlich düsteres Bild.
In Griechenland, in Italien, in Spanien haben die Menschen demnach nicht nur einen Teil ihrer Einkommen verloren, sondern auch ihrer Zuversicht. Die Lebenszufriedenheit in diesen Ländern ist seit Beginn der Krise 2007 um gut 20 Prozent abgestürzt, noch stärker gesunken ist nur das Vertrauen der Südländer in ihre Regierungen.
Zufriedenheit schafft Regierungsvertrauen
Die OECD-Studie ist Teil der "Better-Live-Initiative", mit der die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung die Lebensqualität in den einzelnen Ländern beobachtet. Die Regierungen sollten nicht nur auf das Bruttosozialprodukt starren, so die Botschaft der OECD, sondern auch anderen Faktore im Auge behalten, die für das Wohlergehen der Menschen wichtig sind. Dazu zählen etwa bezahlbarer Wohnraum, Einkommensgerechtigkeit, Umweltqualität und Bildungschancen.
Laut OECD-Bericht liegt Deutschland bei den meisten dieser Kriterien nur im Mittelfeld. Umso erstaunlicher ist, dass die Deutschen im Durchschnitt dennoch deutlich zufriedener geworden sind. Auch das Vertrauen der Bürger in die Regierung hat deutlich zugenommen – von 35 auf 42 Prozent der Befragten.
Regierungsvertrauen schafft Zufriedenheit
Der Sozialforscher Stefan Weick vom Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften beobachtet den Zusammenhang von Zufriedenheit einerseits und Vertrauen in Regierung und öffentliche Verwaltung andererseits schon länger. Er hat festgestellt, dass vor allem in Dänemark die Menschen gelassener und zufriedener lebten als in den meisten anderen Ländern Europas. Natürlich müsse man das auch vor dem Hintergrund der relativ hohen dänischen Durchschnitts-Einkommen sehen, meint Weick. Aber das erkläre nicht alles. In vielen Ländern Europas habe man festgestellt, dass ab einem gewissen Wohlstandsniveau die Zufriedenheit der Menschen nicht mehr steige, selbst wenn das Einkommen weiter wachse.
Die dänische Zufriedenheit habe deshalb neben den materiellen auch gesellschaftliche Ursachen, meint der Sozialforscher Weick: "Das hängt auch damit zusammen - das hat die neuere Forschung ergeben - dass man dort ein hohes Vertrauen in Staat und staatliche Einrichtungen hat." Dieses Vertrauen lasse die Dänen auch mit wirtschafltichen Problemen besser umgehen: "Das Risiko einen Job zu verlieren, ist da gar nicht so gering. Aber man vertraut darauf, wieder einen neuen Job zu bekommen, wenn man den verliert."
Skepsis im Osten
Als Gegenbeispiel nennt Stefan Weick die Stimmung in Polen, Tschechien und anderen osteuropäischen Ländern: "In den früheren sozialistischen Ländern haben die Menschen wenig Vertrauen in demokratische Einrichtungen - und sind besonders unzufrieden, eigentlich unzufriedener als es die materielle Lage erwarten ließe".
Deutschland, so legt es die OECD-Studie nahe, steuert derzeit eher auf das dänische als auf das polnische Modell zu. Steigende Lebenszufriedenheit führe zu höherem Vertrauen in Regierung und öffentliche Verwaltung, was sich wiederum positiv auf die Lebenszufriedenheit auswirke.
Im Süden Europas dagegen könnte die wirtschaftliche Krise nach Einschätzung der OECD eine weitere Spirale nach unten in Gang setzen. Vor allem die hohe Jugendarbeitslosigkeit richte in diesen Ländern langfristige Schäden an, fürchtet OECD-Statistiker Schreyer: "In dem Ausmaß, in dem junge Menschen es schwer haben, heute in den Arbeitsprozeß einzutreten, verlieren die Länder an Humankapital. Die Jungen haben keine Möglichkeit Erfahrung zu sammeln und sind dann auch für später schlechter gerüstet."