Der religiöse Flickenteppich im Irak zerreißt
2. April 2013Im Irak sind Übergriffe, Entführungen und Attentate auf religiöse Minderheiten an der Tagesordnung. Der einstmals bunte Flickenteppich religiöser und ethnischer Gruppen im Zweistromland löst sich immer weiter auf. Der Zerfall begann schon vor dem Sturz von Machthaber Saddam Hussein vor zehn Jahren. Im blutigen Machtkampf zwischen Kurden und Arabern, Sunniten und Schiiten erreichte er vor einigen Jahren einen Höhepunkt. Dabei gerieten Christen, Yesiden, Mandäer und andere zwischen die Fronten.
Seit Jahren gibt es Bombenattentate auf Kirchen. Als das neue Oberhaupt der Katholiken im Irak, Patriarch Louis Raphael I., Anfang März 2013 sein Amt antrat, herrschte in Teilen von Bagdad die höchste Sicherheitsstufe. Der Patriarch ist Oberhaupt einer schrumpfenden Gemeinde: Neben vielen Katholiken verlassen auch immer mehr Angehörige anderer christlicher Glaubensgemeinschaften den Irak. Von den einst etwa eine Million Christen sind kirchlichen Schätzungen zufolge nur noch wenige Hunderttausend verblieben. Die anderen religiösen Minderheiten erlitten ein ähnliches Schicksal.
Besonders schwierig ist die Lage der Mandäer. Sie sind eine Religionsgemeinschaft im Südirak, die ihre Ursprünge über zweitausend Jahre bis zu Johannes dem Täufer zurückführt. Die Mandäer sagen, der Koran würde sie anerkennen als sogenannte Buchreligion, also als schützenswerte Religion. Viele irakische Muslime sehen das aber anders.
Noch immer gebe es Angriffe auf seine Religionsgruppe, sagt Sabih Al-Sohairy, selbst Mandäer und einst Professor für mandäische Sprache in Bagdad. Viele wagten heute nicht, sich zu bekennen. In einem Straßencafé würde jemand, der als Mandäer bekannt ist, keinen Kaffee bekommen, sagt Al-Sohairy der Deutschen Welle. "Die Leute werden ein Glas, aus dem ein Mandäer getrunken hat, nicht mehr benutzen", erklärt der Wissenschaftler.
Zukunft der Mandäer im Irak ungewiss
Mittlerweile haben so viele Mandäer das Land verlassen, dass der Fortbestand der Religion an ihrem Ursprung gefährdet ist. Vor zehn Jahren lebten noch etwa 30.000 zwischen Bagdad und Basra. Nun sind es vermutlich nur noch 5000. Die meisten gingen als Flüchtlinge nach Deutschland, Skandinavien oder in die USA. "Viele glauben, dass es in Zukunft keine Mandäer mehr im Irak geben wird", sagt Al-Sohairy.
Dieses Schicksal droht der relativ großen Gruppe der kurdischen Yesiden im Irak nicht. Im Norden des Landes leben einige hunderttausend Angehörige der altorientalischen Religion. Doch auch sie sind radikalen Muslimen verhasst. Die Yesiden werden als Ungläubige und Teufelsanbeter betrachtet.
Im August 2007 erreichte die Gewalt gegen die Religionsgemeinschaft einen Höhepunkt. Bei mehreren Anschlägen starben an einem Tag mehr als 400 Yesiden. Noch immer gibt es hin und wieder Attentate, wie der Bildungsreferent des yesidischen Forums Oldenburg, Ilyas Yanc, berichtet. "Wenn demnächst die Wahlen im Irak bevorstehen, wird das auch wieder zunehmen", befürchtet der junge Mann. In deutschen Asylverfahren werden Yesiden allerdings mittlerweile nicht mehr als Opfer von Gruppenverfolgung eingestuft, sagt Yanc. Das sei vor einigen Jahren noch anders gewesen.
Im Norden mehr Rechte für Yesiden
Im kurdischen Nordirak geht es den Yesiden deutlich besser, als im arabischen Landesteil. Das höchste Heiligtum in Lalisch bei Mossul werde von der kurdischen Regionalregierung mit Millionenbeträgen restauriert, sagt Yanc. Auch die yesidischen Feste seien als offizielle Ruhetage anerkannt. Dennoch gebe es weiter Diskriminierungen. So fühlten sich Yesiden auf dem Arbeitsmarkt und im Bildungsbereich benachteiligt. Der Nahost-Referent der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), Kamal Sido, berichtet: "Alltagsdiskriminierung kann so aussehen, das in einem gemischten Dorf mit Yesiden und Muslimen der Muezzin bestimmte Passagen aus dem Koran rezitiert, die für die Yesiden beleidigend sind."
Laut irakischer Verfassung dürfen Christen, Yesiden und Mandäer ihre Religion frei ausüben. Im Alltag nützt das Gesetz den Minderheiten jedoch wenig. Die Religionsgruppen leiden weiter sowohl unter Angriffen als auch unter der ausufernden Alltagskriminalität. So werden Christen oder Mandäer entführt, um ein hohes Lösegeld zu erpressen. Militante Gruppen greifen Läden der Minderheiten an, vor allem wenn diese Alkohol verkaufen.
Die Zukunft der religiösen Minderheiten im Irak sieht der Menschenrechtler Sido kritisch. "Für die Mandäer wird die alte Zeit nie wieder zurückkehren", sagte der Referent der Gesellschaft für bedrohte Völker. Zwar wolle die Regierung in Bagdad die Minderheiten besser schützen, aber der Erfolg sei gering. Allenfalls im Norden könnten die Nichtmuslime ihre Religion weiter offen zeigen. "Von einem yesidischen oder christlichen Leben kann man nur in Irakisch-Kurdistan sprechen", sagt Sido.