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Der Preis der Freiheit

Martin Koch16. April 2013

Nach den Bombenanschlägen beim Boston-Marathon haben mehrere Länder ihre Sicherheitsmaßnahmen im Kampf gegen Terroristen verschärft. Deutsche Experten warnen vor übereilten Reaktionen.

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Beamte der Bundespolizei am Flughafen Frankfurt (Foto: picture-alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

"Die Sicherheitslage in Deutschland hat sich nicht verändert". Für Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich stellt sich die Frage von schärferen Sicherheitsmaßnahmen nach den Anschlägen von Boston in Deutschland nicht. Es bestehe zwar eine "abstrakte Gefahr", konkrete Hinweise gebe es jedoch nicht, sagte der CDU-Politiker in Berlin.

Auch der Terrorexperte der ARD, Holger Schmidt, rät angesichts der aktuellen Situation zu Besonnenheit: "Es gibt bei dem Anschlag in Boston noch keinen belastbaren Hinweis darauf, dass es hier in den Bereich islamistischer Terrorismus geht." Und wenn man sich die Geschichte der Terroranschläge in den USA in den vergangenen Jahrzehnten ansehe, müsse man einen rechtsradikalen Hintergrund ebenso für möglich halten wie auch einen psychisch gestörten Einzeltäter.

Polizisten nach dem Bombenanschlag beim Boston-Marathon (Foto: picture-alliance/dpa)
100-prozentige Sicherheit bei Großveranstaltungen wird es nie gebenBild: picture-alliance/dpa

Völlige Sicherheit gibt es nicht

In Deutschland erfolgt der Kampf gegen Gewalt jeglicher Art auf vielen Ebenen. Allein mit der Gefahrenabwehr islamistischen Terrors beschäftigen sich im Bundesamt für Verfassungsschutz 2700 Mitarbeiter. Hinzu kommen Spionageabwehr, Cyberangriffe und der Kampf gegen politische Extremisten.

Für die Sicherheit bei Großveranstaltungen ist die Polizei des jeweiligen Bundeslandes zuständig. Wenn deren Personalstärke nicht ausreicht, helfen die Bundespolizei oder die benachbarten Bundesländer aus.

Nach übereinstimmender Ansicht von Sicherheitsexperten ist es unmöglich, bei Großereignissen wie dem Boston-Marathon alle Risiken von Anschlägen auszuschließen. Der CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl machte sich in diesem Zusammenhang trotzdem erneut für eine Vorratsdatenspeicherung stark. Sie könne zwar keine Terrorakte verhindern, sei aber seiner Ansicht nach ein wichtiger Baustein im Gesamtkonzept der Verbrechensbekämpfung, sagte er im Deutschlandfunk.

Diese Forderung kritisierte SPD-Sicherheitspolitiker Dieter Wiefelspütz im Gespräch mit der DW als voreilig: "Wir wissen noch nicht einmal, ob die Täter in Boston überhaupt Kommunikationstechnik genutzt haben. Deshalb glaube ich, dass wir Boston in unzulässiger Weise instrumentalisieren, wenn wir schon jetzt Folgerungen ziehen für unsere innerdeutsche Sicherheitsdiskussion."

Dieter Wiefelspütz (Foto: picture-alliance/ZB)
Dieter Wiefelspütz: "Boston darf nicht für innerdeutsche Sicherheitsdiskussionen instrumentalisiert werden."Bild: picture-alliance/ZB

Preis der Freiheit

Deutschland ist von großen terroristischen Anschlägen in den vergangenen Jahren weitestgehend verschont geblieben. Eine Bedrohung habe es jedoch sehr wohl gegeben, betont der ARD-Terrorexperte Holger Schmidt im Gespräch mit der DW und verweist auf die Kofferbomben im Regionalzug von Köln nach Koblenz 2006, die sogenannte Sauerland-Gruppe, die 2007 aufflog und den Flughafen-Attentäter von Frankfurt 2011. Sein Fazit: "Die Aufklärungserfolge im Bereich islamistischer Terror zeigen, dass es zum einen Glück war. Denn die Kofferbomben wären explodiert, wenn die Attentäter die Sprengsätze richtig gebaut hätten", so Schmidt. "Bei der Sauerlandgruppe war es Aufklärungsgeschick. Und beim Flughafenattentäter Arid Uka sehen wir, dass die beste Sicherheitsbehörde chancenlos sein kann, wenn sie keinen Hinweis darauf hat, dass einer am Morgen beschließt, an einen Tatort zu gehen und terroristische Taten zu begehen."

Für den sicherheitspolitischen Sprecher der Grünen im Bundestag, Omid Nouripour, sind die Anschläge von Boston nicht gegen die Stadt oder den Marathon gerichtet. Er sieht darin einen Anschlag gegen alle freien Gesellschaften, in denen solche Veranstaltungen möglich sind. Deshalb warnt er auch vor voreiligen Forderungen nach mehr Überwachung: "Ein solcher Anschlag auf die offene Gesellschaft, da kann man nicht drauf antworten: 'Wir machen einfach mal die Türen zu, wir gehen nicht mehr raus, wir machen einen Polizeistaat draus.' Dann haben nämlich diejenigen gewonnen, die die Anschläge ausgeübt haben, egal ob Rechtsradikale, Islamisten oder ganz andere Motivation - und das können wir nicht zulassen."

Omid Nouripour (Foto: Omid Nouripour)
Omid Nouripour: "Anschläge richten sich gegen alle freien Gesellschaften der Welt."Bild: Omid Nouripour MdB - Bündnis 90/Die Grünen

Das hätte, ergänzt SPD-Sicherheitsexperte Wiefelspütz, auch für das gesellschaftliche Leben in Deutschland fatale Folgen: "Wenn Sie hier weiterhin Sportveranstaltungen, Kulturereignisse oder einen vollen Kinosaal haben wollen und überall dort massivste Sicherheitsvorkehrungen einziehen, dann machen sie soziales Leben in Deutschland unmöglich."