Papst-Fans sammeln sich in Etzelsbach
23. September 2011Eigentlich waren nur 60.000 Menschen im abgelegenen Eichsfeld erwartet worden, tatsächlich nahmen rund 90.000 den beschwerlichen Weg auf sich. Das Eichsfeld ist ein traditionell katholischer kleiner Landstrich im ansonsten atheistisch oder protestantisch geprägten Ostdeutschland. Die Marienkapelle von Etzelsbach erreichten die meisten Pilger erst nach einem Fußmarsch. Mit der Bahn und rund 1000 Bussen waren die Gläubigen angereist, dann hieß es mindestens sechs Kilometer marschieren. Sie stimmten sich den ganzen Tag über mit Chormusik, Picknick und Rosenkranz-Gebeten ein. Der gut gelaunte, aber müde wirkende Papst schwebte mit dem Hubschrauber ein und ließ sich mit tosendem Applaus und einer Ehrenrunde im verglasten Papamobil feiern. In seiner Predigt dankte er den wackeren Katholiken im Eichsfeld, die rundum von Protestanten oder Heiden umgeben, während der Nazi-Diktatur und der kommunistischen Diktatur in der DDR widerstanden hätten.
Peter Kittel vom Organisationskomitee Etzelsbach ist sicher: "Die Vesper in der Dämmerung und die anschließende Wanderung der Pilger war sicherlich der Höhepunkt des Deutschlandbesuches des Heiligen Vaters." Das Eichsfeld blieb auch zu DDR-Zeiten eine geschlossene katholische Insel in der ansonsten evangelischen oder mehrheitlich atheistischen DDR. Eingeladen hat den Papst der heutige CDU-Landrat Werner Henning. Er schrieb 2005 einen Brief an den "hochverehrten Papst". Die korrekte Anrede "Eure Heiligkeit" kam ihm damals nicht in den Sinn. Werner Henning gehörte zu den wichtigsten Köpfen der Wendezeit in der DDR im Jahr 1989. Er sprach auf den Montags-Demonstrationen und half mit, das Regime zu Fall zu bringen. "Religion ist bei uns im Eichsfeld unsere eigene Sache, die muss nicht groß von der Kirche vorangetrieben werden", sagt Werner Henning über das etwas eigenbrötlerische Lebensgefühl der Eichsfelder. Heute bekennen sich sieben Prozent der Menschen im Bundesland Thüringen zum katholischen Glauben, die meisten davon leben im Eichsfeld.
Emotionales Treffen mit Missbrauchsopfern
Für Überraschung sorgte ein Treffen des Papstes mit fünf Opfern sexuellen Missbrauchs durch Priester und kirchliche Mitarbeiter am Freitagabend. Dabei habe er den Betroffenen sein "tiefes Mitgefühl und Bedauern" bekundet, heißt es in einer von der Deutschen Bischofskonferenz verbreiteten Erklärung des Vatikan. Das Treffen fand nach der Rückkehr des Papstes von der Marienvesper in Etzelsbach im Erfurter Priesterseminar statt.
Laut Mitteilung bekundete der Papst "bewegt und erschüttert von der Not der Missbrauchsopfer" sein tiefes Mitgefühl und Bedauern für alles, was ihnen und ihren Familien angetan wurde. Er habe den Anwesenden versichert, dass den Verantwortlichen der Kirche "an der Aufarbeitung aller Missbrauchsdelikte gelegen ist und sie darum bemüht sind, wirksame Maßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen zu fördern". Opferverbände hatten vor dem Papstbesuch in Deutschland ein klares Wort der Entschuldigung gefordert.
Ökumene kommt nicht recht voran
Vor dem Glaubensfest in Etzelsbach hatte der Papst in der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt einen eher kirchenpolitischen Termin absolviert. Als Ort der Begegnung mit den Spitzen der Evangelischen Kirche in Deutschland wurde das Augustinerkloster gewählt, in dem Martin Luther, der Reformator, als Mönch wirkte. Schon allein das ist für Kirchenfachleute spektakulär. Papst Benedikt XVI. sagte dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Nikolaus Schneider, man müsse in Zukunft die Gemeinsamkeiten und nicht die Unterschiede betonen: "Es war ein Fehler des konfessionellen Zeitalters, dass wir weithin nur das Trennende gesehen und gar nicht existentiell wahrgenommen haben, was uns mit den großen Vorgaben der Heiligen Schrift und der altchristlichen Bekenntnisse gemeinsam ist." In einer Welt, die sich mehr und mehr vom Glauben abwende, müsse man gemeinsam für das Christentum eintreten.
Der oberste Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland, Präses Nikolaus Schneider, sagte dem Papst die Kirchen sollten "ihren Eigensinn überwinden können und getrennt gewachsene Traditionen als gemeinsame Gaben verstehen." Danach sehnten sich viele Menschen in allen Regionen Deutschlands, vor allem die Gläubigen, die mit einem Partner der jeweils anderen Konfession verheiratet seien. "Für uns alle wäre es ein Segen, ihnen in absehbarer Zeit eine von Einschränkungen freiere eucharistische Gemeinschaft zu ermöglichen", sagte Schneider. Er meinte das gemeinsame Abendmahl während des Gottesdienstes.
Wenig Konkretes
In einer anschließenden Predigt erteilte Benedikt XVI. allen Hoffnungen auf konkrete Ergebnisse der ökumenischen Gespräche eine Absage. Er habe keine ökumenischen Gastgeschenke im Gepäck. Wer das erwarte, unterliege einem Missverständnis. In Glaubensfragen könne es keine politisch verstandenen Kompromisse geben, so der Papst: "Der Glaube der Christen beruht nicht auf einer Abwägung von Vor- und Nachteilen. Ein selbstgemachter Glaube ist wertlos."
Papst würdigt Luther
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, sagte der Deutschen Welle, der Papst habe den Reformator Martin Luther weit mehr gewürdigt, als er das erwartet habe. Der Papst habe Luthers zentrale theologische Frage, wie man Gott findet, aufgegriffen und zum gemeinsamen Fundament von Katholiken und Protestanten gemacht. Der evangelische Präses Schneider gab sich im Gespräch mit der Presse auch zufrieden. Man mache sich jetzt gemeinsam auf den Weg, das sei durchaus auch anstrengend. Beide Seiten müssten aufeinander zugehen. "Mein Herz brennt für mehr", so der Präses. Schneider hatte den Papst eingeladen, das 500-jährige Jubiläum der Reformation, der Geburtsstunde der evangelischen Kirche, im Jahr 2017 neu zu verstehen. "Wenn wir da weiterkommen, ist Weiteres durchaus denkbar", sagte der Präses mit Blick auf eine Beteiligung der katholischen Kirche an den Gedenkfeiern. "Aber der Papst kommt 2017 sicher nicht nach Wittenberg", so Schneider weiter. Dort hatte sich Luther von der katholischen Kirche losgesagt.
Der wesentliche Unterschied zwischen den Konfessionen besteht im unterschiedlichen Amtsverständnis der Priester. Die katholische Kirche sieht ihre Geistlichen in der direkten Nachfolge der Apostel mit dem Papst, dem Bischof von Rom, als Stellvertreter Christi an der Spitze. In der evangelischen Kirche gibt es keine Weihe der Priester, sie werden von den Gemeinden beauftragt. Die Kirche ist weniger hierarchisch gegliedert.
Nächster Stopp: Freiburg
Nach einer Messe auf dem Erfurter Domplatz fliegt der 84-jährige Papst dann zur letzten Station seiner Deutschlandreise, nach Freiburg in Baden-Württemberg. Dieses Reiseziel hat angeblich der Privatsekretär Georg Gänswein mit vorgeschlagen. Georg Gänswein, der "Schatten des Papstes", stammt nämlich aus dem nahe gelegenen Schwarzwald.
Autor: Bernd Riegert, zzt. Erfurt
Redaktion: Frank Wörner