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Der lange Schatten von Srebrenica

Nemanja Rujevic 7. Juli 2015

In der serbischen Gesellschaft gibt es auch nach zwei Jahrzehnten keinen Konsens über das Massaker von Srebrenica im Juli 1995: Für viele Bürger und Politiker ist der Begriff "Völkermord" immer noch ein Tabu.

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Szene aus einem Dokumentarfilm über Srebrenica
Szene aus einem Dokumentarfilm über Srebrenica

Der heutige Premier Serbiens, Aleksandar Vučić, beklebte noch vor weniger als zehn Jahren Straßenschilder in Belgrad mit dem Namen von Ratko Mladić. Es war eine Performance vor laufenden Kameras, eine symbolische Unterstützung für den früheren General der bosnischen Serben, der sich vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag wegen Völkermord verantworten muss. Im Juli 1995 hatten serbische Soldaten und Freischärler etwa 8000 muslimische Jungen und Männer in der damaligen UN-Schutzzone Srebrenica exekutiert. Das Massaker wurde von der internationalen Justiz als Völkermord eingestuft.

"Unschuldige Opfer ehren"

Über diesen Begriff wurde in den letzten Wochen in Serbien heftig gestritten. Auch Premier Vučić, der vor sieben Jahren seine Partei und seine Politik änderte und als EU-Befürworter an die Macht kam, weigert sich, das Wort "Völkermord" in diesem Zusammenhang zu verwenden. "Die vorherrschende Meinung in Serbien ist, dass es sich zwar um ein Massaker und Kriegsverbrechen handelt, doch keinesfalls um einen Genozid", sagt Redakteur Filip Švarm von der regierungskritischen Wochenzeitung Vreme. Noch habe kein einziger regierender Politiker in Serbien den Begriff "Völkermord" verwendet - über alle Parteigrenzen hinweg.

Jahrelang taten sich die Vertreter der serbischen Politik und Justiz damit schwer, überhaupt die mutmaßlichen Strippenzieher des Verbrechens vor Gericht zu stellen. Nach massivem Druck der EU wurden zwei prominente Persönlichkeiten 2008 und 2011 doch festgenommen: Der frühere Präsident der Republika Srpska in Bosnien, Radovan Karadžić, lebte unbehelligt unter falscher Identität mitten in Belgrad und war sogar als Alternativmediziner tätig. General Ratko Mladić wurde in einem Dorf im Norden Serbiens gefunden. Viele Beobachter glauben, dass die beiden lange Zeit mit der Hilfe serbischer Sicherheitskreise rechnen konnten. Die Festnahmen lösten heftige Proteste im nationalistischen Lager aus, es kam dabei auch zu Gewalt.

Karadzic und Mladic Archiv 1993 in Pale
Ratko Mladić (l.) und Radovan Karadžić im Jahr 1993Bild: picture-alliance/dpa

Heute ist davon wenig zu spüren. Auf einer der zahlreichen live übertragenen Pressekonferenzen sagte Premier Vučić, er sei bereit, sich zu verneigen und die unschuldigen Opfer von Srebrenica zu ehren. Doch der starke Mann aus Belgrad überlegte lange, ob er tatsächlich zum 20. Jahrestag des Massakers am 11. Juli nach Srebrenica kommen soll. In einer Pressekonferenz am Dienstag gegen Mitternacht bestätigte er schließlich seine Teilnahme.

"Volk der Täter", "Volk der Opfer"?

Kein serbischer Politiker dürfe sich bei den Gedenkveranstaltungen in Srebrenica blicken lassen: Mit diesem Ziel startete der Belgrader Politik-Student Nenad Uzelac eine Petition, die Hunderte Studenten aus Serbien und der Republika Srpska in Bosnien-Herzegowina unterzeichneten. Das ganze serbische Volk werde als "völkermörderisch" abgestempelt, beklagt Uzelac. Doch in Srebrenica sei es aus seiner Sicht gar nicht zu einem Völkermord gekommen, weil Frauen, Kinder und alte Menschen verschont worden seien, versucht er zu argumentieren.

Dass es in Serbien immer noch solche Deutungen gibt, wundert den Schriftsteller und Blogger Vladimir Tabašević nicht. Politische Akteure von beiden Seiten versuchten, Srebrenica zu instrumentalisierten und die Serben als "Volk der Täter" und die bosnischen Muslime als "Volk der Opfer" darzustellen. "Die Politik konstruiert einen falschen nationalen Antagonismus, denn so vermeidet man die Fragen nach Arbeitsplätzen und Brot", meint er.

Doch manche Aktivisten in Serbien sind davon überzeugt, dass man ohne eine aktive Auseinandersetzung mit der Vergangenheit kaum in die Zukunft blicken kann. Der Journalist Dušan Mašić erregte viel Aufsehen, als er seine Mitbürger dazu aufrief, sich am Jahrestag des Massakers am 11. Juli vor dem serbischen Parlament auf den Boden zu legen und so an die Toten von Srebrenica zu erinnern. Mašić lädt auch Politiker ein, an der Aktion teilzunehmen. Eine Handvoll Oppositionelle wollen mitmachen, die Regierenden werden sich fernhalten: So erklärte der Innenminister in einer Talkshow, dass ihm diese Aktion sehr "suspekt" sei.