Komet ISON
27. November 2013Die Astronomen warten gespannt auf das Himmelsereignis des Jahres: Am 28. November um 18.40 Uhr UTC zieht der Komet ISON in nur 1,2 Millionen Kilometern Entfernung um die Sonne herum. Zum Vergleich: der Abstand unserer Erde von der Sonne ist 125mal größer! Der Komet muss Temperaturen von fast 3000 Grad Celsius aushalten.
Zwar beschleuningt er bis dahin auf ein Tempo von mehr als einer Million Kilometern pro Stunde – aber da im Weltraum Vakuum herrscht, kühlt ihn keinerlei Fahrtwind. In den Stunden vor und nach der engen Passage könnte der Komet deshalb so hell aufleuchten, dass er selbst am blauen Tageshimmel unmittelbar neben der Sonnenscheibe zu erkennen ist.
In jedem Fall behalten einige Satelliten, die die Umgebung der Sonne überwachen, ISON im Blick. Der Komet verdankt seinen Namen dem internationalen Teleskopnetzwerk "International Scientific Optical Network", von dessen Station im russischen Kislowodsk aus er schon im September 2012 entdeckt worden war. Nach einer alten Astronomen-Regel werden neue Kometen nach ihren Entdeckern benannt.
Botschafter aus dem kosmischen Gefrierfach
ISON hat etwa fünf Kilometer Durchmesser und besteht vor allem aus Wassereis, gefrorenen Gasen und Staub. Astronomen sprechen bei Kometen oft von "schmutzigen Schneebällen". Sie sind die Überreste aus der Entstehungszeit des Sonnensystems vor viereinhalb Milliarden Jahren – also die Krümel, die übrig geblieben sind, als sich die Sonne, unsere Erde und die anderen Planeten gebildet haben. Weit jenseits der Bahn des äußersten Planeten Neptun kreuzen Myriaden - unzählbar viele - solcher Eisbrocken um die Sonne.
Dort draußen scheint die Sonne nur noch als vollmondheller Punkt – und die Temperaturen liegen bei unter minus 200 Grad Celsius. Hin und wieder gerät ein Komet auf Abwege und zieht in das innere Sonnensystem. Komet ISON kommt in dieser Woche zum ersten Mal an der Sonne vorbei – die Forscher freuen sich, dass sie so völlig unverfälschtes Material aus der Frühzeit des Sonnensystems zu sehen bekommen.
Schneeball im Backofen
Die Sonnenhitze "brät" den Kometen regelrecht. Dadurch verdampft viel Eis, das wiederum große Mengen an Staub mitreißt. Gas und Staub bilden den Schweif des Kometen, der sich Millionen Kilometer weit ins All erstreckt. Mitte November war ISON sprunghaft heller geworden. Offenbar waren einzelne Brocken des Kometenkerns abgebrochen, wodurch plötzlich viel mehr Gas und Staub freigesetzt wurde.
Hermann Böhnhardt, Forscher am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Katlenburg bei Göttingen, hat ISON mit einem Teleskop des Wendelstein-Observatoriums der Universität München genau beobachtet – und dabei zwei flügelartige Strukturen in der Gasumgebung des Kometen entdeckt: "Solche Strukturen treten typischerweise auf, nachdem sich einzelne Bruchstücke vom Kern eines Kometen abgelöst haben," erklärt er.
Nachdem manche Himmelsfreunde schon gefürchtet hatten, der Komet würde schon vor dem großen Spektakel zerbrechen und sich auflösen, gibt Hermann Böhnhardt nun erst einmal Entwarnung: "Unsere Rechnungen deuten darauf hin, dass sich nur ein Brocken abgelöst hat oder höchstens sehr wenige Trümmer freigesetzt wurden." Dennoch ist es sehr schwierig, das genaue Verhalten des Kometen vorherzusagen.
Vorsicht bei Beobachtungen am Tageshimmel!
Die Forscher gehen aber davon aus, dass ISON bei der engen Passage zwar viel Material verlieren, sich aber nicht auflösen wird. Denn es gab schon mehrfach Kometen, die der Sonne extrem nah gekommen sind. So erstrahlte im Frühjahr 1843 der berühmte Tageslichtkomet – er war nur noch 140.000 Kilometer von ihrer Oberfläche entfernt.
Wer am 28. November unmittelbar neben der Sonne nach ISON Ausschau hält, muss sehr vorsichtig sein. Auf gar keinen Fall sollte man ein Fernglas benutzen! Denn schon ein kurzer Blick mit dem Fernglas in die Sonne führt zur totalen Erblindung. Am sichersten ist die Suche allein mit bloßem Auge, wobei es hilfreich ist, die Sonne bei ausgestrecktem Arm mit einem Stück Pappe o.ä. abzudecken. Der Komet ist nur bei perfekt klarem, tiefblauen Himmel zu erkennen.
Wird ISON ein heller Weihnachtskomet?
Überlebt ISON die Gluthölle neben der Sonne, so taucht er ab Anfang Dezember wieder am nächtlichen Firmament auf – zunächst morgens im Osten kurz vor Sonnenaufgang, ab etwa Monatsmitte auch am nordwestlichen Abendhimmel. Mit etwas Glück wird ISON der hellste Komet am Himmel über der nördlichen Hemisphäre seit Hale-Bopp im Jahr 1997. Von Mitteleuropa und noch nördlicheren Weltgegenden aus gesehen, geht er ab Weihnachten gar nicht mehr unter. Beobachter auf der südlichen Halbkugel gehen ab dann leer aus.
Sollte der Komet dann noch hell genug sein, wäre er also die ganze Nacht über am Himmel zu sehen. "Vielleicht erleben wir einen wunderschönen Kometen mit langem Schweif, dessen Anblick für Millionen Menschen unvergesslich ist", erklärt Alan MacRobert, Astronomieexperte der US-Zeitschrift "Sky and Telescope". Warnend fügt er hinzu: "Oder er ist nur im Fernglas zu erkennen - niemand weiß, was genau passiert." So nah ISON der Sonne kommt, so fern hält er sich von der Erde: Er wird am 27. Dezember an unserem Planeten vorbei ziehen - in einem Abstand von gut 64 Millionen Kilometern.
Der Weihnachtsstern ist eine Legende
Selbst wenn ISON Weihnachten am Himmel stünde, so wäre er keineswegs ein Wiedergänger des Sterns von Bethlehem, der laut Weihnachtsgeschichte den Weisen aus dem Morgenland den Weg gewiesen hat. Es ist längst klar, dass dies eine reine Ausschmückung der Geschichte ohne realen astronomischen Hintergrund ist.
Dass der Weihnachtsstern meist als Komet dargestellt wird, geht auf den italienischen Maler Giotto die Bondone zurück, der 1304 ein Fresko der Krippenszene in der Arena-Kapelle in Padua mit einem Kometen verziert hat - offenbar stand er noch unter dem Eindruck der spektakulären Erscheinung des Kometen Halley drei Jahre zuvor. Halley zeigt sich erst wieder 2061.