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Der Kampf um Oliven

Ulrike Schleicher 5. Dezember 2012

Viele Familien in der Westbank leben vom Ertrag ihrer Olivenbäume. Doch oft ist dieser Unterhalt gefährdet, weil Haine in israelischen Siedlungen liegen. Einige engagierte Rabbis versuchen dann zu helfen.

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Zwei Frauen und ein Mann bei der Olivenernte in der Westbank (Foto: Ulrike Schleicher/DW)
Bild: DW/U.Schleicher

Es regnet Oliven. Blauschwarze Tropfen prasseln auf eine Plastikplane, auf Kopf, Schultern und Arme, prallen von dort auf den Boden und verschwinden zwischen Kiefernnadeln und trockenem Gras. Der 28-jährige Mohammed steht auf einem Baum und klopft mit einem Ast gegen die Zweige, damit sich die reifen Früchte lösen. Es ist Ende November, und in der Westbank, den von Israel besetzten Gebieten, neigt sich die Olivenernte dem Ende zu.

Von Hebron im Süden bis Dschenin im Norden ist die Landschaft geprägt von den meist uralten Bäumen. Ihre Kultivierung gehört zu den Traditionen der Menschen hier, sie werden als von Gott gesegnete Pflanze verehrt. Der Olivenbaum sichert auch den Lebensunterhalt vieler Familien. Überall gibt es Manufakturen, die Kosmetika und natives Speiseöl herstellen, das dann etwa nach Jordanien exportiert wird. Laut einer Erhebung der UN-Behörde für humanitäre Angelegenheiten (Ocha) macht die Olivenöl-Industrie rund 14 Prozent des landwirtschaftlichen Einkommens in der Westbank aus und ernährt etwa 80.000 Familien.

Olivenernte in der Westbank Mohammed klopft mit einem Ast gegen die Zweige des Olivenbaues Foto: Ulrike Schleicher (DW)
Olivenernte in der WestbankBild: DW/U.Schleicher

Der Zugang zum Olivenhain ist versperrt

Bei Mohammed und seiner Familie, die in Bil'in in der Westbank lebt, ist das nicht der Fall. Nicht mehr. Denn seit Jahren liegt ihr Olivenhain jenseits einer hohen Mauer. Die von den Israelis gebaute Sperranlage zieht sich auf rund 750 Kilometern durch das Land, an zahlreichen Stellen in aberwitzigen Schlingen - und auf palästinensischem Gebiet. Der Grund sind jüdische Siedlungen im Westjordanland, die so ein Teil Israels werden.

Was von der Internationalen Gemeinschaft als Rechtsverstoß gewertet wird, bedeutet für die Palästinenser einen alltäglichen Kampf um ihre Bewegungsfreiheit und oftmals auch um ihre Existenz. Etwa dann, wenn ihnen der Zugang zu ihren Olivenhainen versperrt ist. "Wir können den Boden nicht pflügen, die Bäume nicht schneiden. Das Ergebnis sieht dann so aus", sagt Mohammed und zeigt resigniert auf die kleinen Früchte an seinen Bäumen.

Mohammed, seine Mutter Roqaia und seine Schwägerin Emen am israelischen Checkpoint Foto: Ulrike Schleicher (DW)
Beschwerlicher Weg zum eigenen Olivenhain: Mohammed, seine Mutter Roqaia und seine Schwägerin Emen am israelischen CheckpointBild: DW/U.Schleicher

Diese Saison wurden bereits 450 Bäume zerstört

Etwa drei Stunden zuvor standen auf der anderen Seite der Mauer bei Bil'in ein paar Israelis und eine Deutsche. Sie waren um sechs Uhr morgens in einem Kleintransporter von Jerusalem aufgebrochen, um Mohammed, seine Mutter Roqaya und Eman mit ihrem dreijährigen Sohn Abed am Checkpoint abzuholen. Der Rabbiner Yehiel Greniman, bei der Menschenrechtsorganisation "Rabbis for Human Rights (RHR)" in Jerusalem zuständig für den Bereich "Palästina", hatte schon Tage zuvor alles organisiert: mit Eman den Termin abgesprochen, ebenso mit dem Polizeiposten in der ultra-orthodoxen, jüdischen Siedlung Modeiin Ilit, mit dem zuständigen Armeeoffizier an der Mauer und die freiwilligen Helfer rekrutiert.

Das alles, um der Familie bei der Ernte zu helfen. Aber auch, um eventuelle Attacken durch radikale Siedler zu verhindern, die das Land als Eigentum der Juden betrachten. Im besten Fall schreien und spucken sie nur. Im schlechtesten werfen sie jedoch Steine. Ist niemand vor Ort, plündern sie die Olivenbäume und brennen sie nieder. Vorfälle dieser Art häufen sich von Jahr zu Jahr. Allein in den vergangenen Wochen wurden laut der UN-Behörde Ocha 450 Bäume geplündert oder beschädigt. 533 Angriffe wurden gezählt. Da hilft auch die Unterstützung von Menschenrechtsorganisationen meist nichts.

Olivenernte in der Westbank Rabbiner Yehiel Greniman wartet auf die Familie von Mohammed. Der zutiefst gläubige Jude ist Mitglied bei den "Rabbis for Human Rights" und kümmert sich um die Belange der Palästinenser. Das kann die Hilfe bei der Olivenernte sein oder Rechtshilfe beim drohenden Abriss von Häusern durch die Israelis. (Foto Ulrike Schleicher, 17.November, 2012, Modeiin Ilit, Westbank)
Warten auf die Familie von Mohammed: Rabbiner GrenimanBild: DW/U.Schleicher

Auch an diesem Tag, so scheint es zunächst, hatten die Absprachen keinen Sinn. Das Tor in der Mauer öffnet sich nicht. Greniman telefoniert unentwegt: Auch mit einem Offizier, der hinter dem Zaun etwa sechs Meter von ihm entfernt steht. "Was ist das Problem?", fragt er ihn. Er bekommt keine Erklärung, das Gespräch ist beendet. "Ich fühle mich wie Don Quichotte", sagt er trotzdem lächelnd zu Ina, einer ehemaligen Grundschullehrerin aus Köln, die das Prozedere verständnislos verfolgt. Greniman kämpft zusammen mit etwa 100 anderen Rabbinern bei RHR gegen Windmühlen. Alle sind getrieben von einem tiefen Glauben, zählen jedoch zu einer reformierten Glaubensrichtung. Es ist das Prinzip des "Tikkun Olam" (die Welt heilen), das sie verfolgen: "Jeder gläubige Jude muss etwas dazu beitragen, die Welt besser und gerechter zu gestalten." Ausgerechnet in Israel eine schwierige Aufgabe.

"Unser Staat hat seine Scham verloren"

Soldaten schieben das Stahltor zur Seite: Mohammed, der kleine Abed und die beiden Frauen erscheinen und laufen zum Zaun, dessen Tor ebenfalls geöffnet wird. Roqaya trägt Säge, Axt und eine Sichel in der Hand, Mohammed einen großen Plastiksack. Es geht los. Im Olivenhain dann weist Eman die Helfer freundlich an, Gras, Zweige und Abfall unter den Bäumen wegzuräumen. Serge, ein ehemaliger Armeeangestellter sowie Hedva und Deliah - alle aus Tel Aviv - wissen, was zu tun ist. Sie alle waren schon mehrmals bei der Olivenernte, betrachten ihren Einsatz als kleinen Ausgleich für die Behandlung der Palästinenser. "Unser Staat hat seine Scham verloren", sagt Hedva, eine resolute Frau, die links wählt und mit Religion nichts zu tun haben will. Auch Ina ist über die Zustände empört.

Im Schatten einer Mauer warten die Familie von Mohammed Foto: Ulrike Schleicher (DW)
Nach wenigen Stunden müssen Mohammed und seine Familie wieder zurück in ihr DorfBild: DW/U.Schleicher

Nach vier Stunden haben alle zusammen rund 50 Kilo Oliven gesammelt. Das gibt etwa neun Liter Öl. Mohammed hat die Bäume beschnitten und das Gras gemäht. Nur das Nötigste ist getan, aber sie müssen zurück. Am Checkpoint setzt sich die Familie sich in den Schatten einer Mauer. Kein Soldat ist zu sehen. Sie warten.