Der Kampf um Angela Merkels Erbe ist eröffnet
25. Februar 2020Sollte die CDU den nächsten Kanzler stellen, wird es in der deutschen Politik wohl keinen so dramatischen Wandel geben wie zuletzt in den USA oder in Großbritannien. Das lässt sich nach den Pressekonferenzen von Norbert Röttgen (54), Armin Laschet (59) und Friedrich Merz (64) in Berlin festhalten.
Alle drei Kandidaten , die nun offiziell ihre Kandidatur für den CDU-Vorsitz bekannt gemacht haben, wollen jedenfalls an den Grundfesten der deutschen Außenpolitik festhalten: dem Weg der europäischen Integration und dem Bekenntnis zur NATO. Sie fordern - nicht zum ersten Mal - ein stärkeres außenpolitisches Engagement in enger Abstimmung vor allem mit Frankreich. Außerdem müsse Europa an sicheren Außengrenzen arbeiten, um die Migration besser kontrollieren zu können - auch diese Forderung ist nicht neu.
Dass internationale "bewegte Zeiten" - Stichworte Trump und China - herrschen, betonten die potentiellen Merkel-Nachfolger. Und sie sehen Deutschland in einer verantwortungsvollen Rolle.
Mit diesen Themen können sie sich wenig voneinander abgrenzen. Dafür geeigneter scheint die Innenpolitik, denn auch dort sind die Zeiten sehr bewegt.
CDU hat viele Wähler verloren
Bei der Wahl in Hamburg kam die CDU vergangenen Sonntag nur noch auf elf Prozent. Auch in Ostdeutschland liegt die Partei weit unter der 20-Prozent-Marke. Bundesweit sehen die Umfragewerte mit rund 27 Prozent besser aus, sind aber trotzdem historisch schlecht. Passend dazu präsentierten sich die drei Bewerber als besorgte Hüter des Erbes der CDU, die als Volkspartei einen Weg in die Zukunft finden müsse.
Den Weg aus der politischen Mitte aber will keiner von ihnen gehen - auch wenn es unterschiedliche Akzente gibt. Merz will für die CDU das Konservativ-Liberale betonen und "verkörpern". Einen Rechtsschwenk aber lehnt er ab. Es gehe darum, das Fundament der Partei wieder zu verbreitern.
Ganz auf "Mitte"-Kurs wollen sie die CDU klar von den politisch linken und rechten Rändern, also von der Linkspartei und der AfD, abgrenzen.
Gemeinsam ist auch die Erkenntnis, dass die CDU gerade bei jungen Wählern zuletzt massiv Stimmen verloren hat und dass sie diese mit mehr Klimapolitik und mehr Geld für Bildung und Generationengerechtigkeit zurückholen könnte.
Erste Entscheidung Ende April
Den Kandidaten bleiben zwei Monate bis zur Wahl. Am 25. April soll auf einem Sonderparteitag von 1001 Delegierten aus dem ganzen Land der neue CDU-Vorsitzende gewählt werden. Deshalb ist nun der Wahlkampf eingeläutet.
Wer den Parteivorsitz inne hat, geht in der Regel auch als Kanzlerkandidat ins Rennen. Erst im Herbst 2021 finden regulär die nächsten Bundestagswahlen statt. An diesem Zeitplan will anscheinend niemand etwas ändern. Bis dahin muss sich die CDU mit der bayerischen Schwesterpartei, der CSU, abstimmen. Nicht ganz auszuschließen ist, dass auch der CSU-Vorsitzende Markus Söder Kanzler werden möchte. Erst zwei Mal - 1980 und 2002 - gab es bislang einen CSU-Kanzlerkandidaten. Man werde gemeinsam eine Lösung erarbeiten, hieß es nun in Berlin.
Bis dahin werden die Kandidaten um die Pole-Position kämpfen. Die Frage, wer Favorit ist, lässt sich derzeit nicht klar beantworten. Merz liegt in manchen Umfragen vorn. Laschet aber dürfte nun aufholen. Denn er tritt - das kam überraschend - zusammen mit dem zuvor ebenfalls genannten Anwärter Jens Spahn im Duo auf.
Spahn (39) gilt als jugendlicher Rebell in der Partei, der ähnlich wie Merz mehr konservative Politik möchte. Heimat, Familie und Tradition würden Halt geben, so Spahn, und erst eine Offenheit für die Welt ermöglichen. Laschet-Spahn könnten damit dem Wunsch an der Parteibasis sowohl nach Kontinuität als auch nach Aufbruch entsprechen.
Ostdeutschland als strategische Herausforderung
Friedrich Merz, Armin Laschet und Norbert Röttgen kommen aus Nordrhein-Westfalen, dem größten Landesverband der CDU, ganz im Westen des Landes. Die derzeitigen Probleme der Landesverbände im Osten scheinen geografisch weit weg. Dort wird die CDU am stärksten von den politischen Rändern bedrängt und sieht sich inhaltlich in der Defensive. Hier prallen, wie die Vorgänge in Thüringen zuletzt zeigten, die Vorstellungen der Bundespolitik mit denen vor Ort am stärksten aufeinander. Deshalb ist die neue Ost-Frage für die CDU derzeit eine der zentralen strategischen Herausforderungen.
Merz war in den letzten Monaten oft in Ostdeutschland unterwegs. In der dortigen CDU hat er inzwischen viele Anhänger. Wie Merz sagte, würde der Osten gerade gesellschaftspolitisch anders als der Westen ticken - konservativer. Das passt zum Profil von Merz.
Konkurrent Röttgen stellte in seiner Agenda den Osten weit nach vorn, zeigte Verständnis dafür, dass sich dort viele nach der friedlichen Revolution von 1989 bis jetzt "im Stich gelassen fühlten". Weil der Staat nicht mehr schütze, würden Ängste herrschen, die "das Geschäft der AfD" seien. Im Osten erreicht die AfD in manchen Regionen 30 Prozent Zustimmung und hat damit CDU und SPD als Volkspartei abgelöst. Laschet forderte mehr Dialog und Präsenz vor Ort - legte von den Dreien insgesamt aber die wenigste Aufmerksamkeit auf das Thema.
AfD nur ein Betriebsunfall oder ein strukturelles Problem?
Es sei gut, dass nun die Erkenntnis vorherrsche, dass ein Weiter-So nicht ausreiche, "um den Sinkflug der CDU zu stoppen", sagte der Dresdner Politologe Werner J. Patzelt im DW-Interview. Aber von einem Aufbruch zu sprechen, gewährleiste noch nicht, dass es wirklich zu einem Richtungswechsel komme, der auch Erfolg habe. Die CDU "muss inhaltliche Klarheit darüber gewinnen, warum sie sinkt", analysiert Patzelt. "Weil sie nach rechts gerückt ist oder weil sie politisches Gelände der AfD überlassen hat?".
Doch der Politologe, der über Jahrzehnte das Geschehen in Ostdeutschland untersucht hat und seit kurzem im Ruhestand ist, zeigt sich skeptisch: Denn bei diesem schwierigen Thema halte sich jeder eher bedeckt und überlege, "was ihm die Mehrheit auf dem Parteitag einbringen könnte". Deshalb werde die Richtungsdebatte wohl auch nach dem CDU-Parteitag weitergehen.