Der IS ist besiegt - jetzt regiert die Armut
1. Mai 2018"Meine Kinder sammeln Alteisen, um es zu verkaufen", sagt Abbas Mohammed und hebt das Eisenrohr auf, mit dem einer seiner Söhne gerade gespielt hat. Der Krieg gegen den "Islamischen Staat" hat in Mossul eine ganze Menge herumliegenden Schrott hinterlassen. Lastwagen voll davon verlassen jeden Tag die nordirakische Stadt.
"Sie zahlen uns 250 Dinar pro Kilo", sagt Mohammed. Das sind etwa 0,20 Euro - dafür kann man sich in Mossul einen süßen Tee in einem Teehaus kaufen. Viele Kilo Altmetall müssen pro Tag gesammelt werden, damit eine achtköpfige Familie wie die von Mohammed damit auskommt.
Mohammed lebt mit seiner Frau und sechs Kindern in einem armen Teil von West-Mossul - dem Teil der Stadt, der während der Schlacht zur Rückeroberung Mossuls am meisten gelitten hat. "Jeder hier ist müde und arm", sagt der Familienvater. "Wir haben kein Geld." Ein großer Teil von West-Mossul liegt in Trümmern, doch Mohammeds Viertel wurde nur teilweise beschädigt.
Als er nach der Schlacht zurückkehrte, war das Dach seines Hauses zerstört. Aber Abbas Mohammed hat kein Geld für Reparaturen. Wie bei seinen Nachbarn auch ist die Armut seit der IS-Besetzung und dem darauffolgenden Krieg gewachsen. Neun Monate nach der Befreiung der Stadt sind die Häuser immer noch kaum bewohnbar.
Die Armut wächst
Nach Angaben der Weltbank hat sich die Armutsrate in den befreiten Gebieten des Iraks auf über 40 Prozent verdoppelt. Die UN warnen, jedes vierte irakische Kind lebe in Armut. Die Weltbank und die irakische Regierung haben im Februar einen Sonderfonds in Höhe von 248 Millionen Euro eingerichtet, um die Lebensbedingungen für die mehr als 1,5 Millionen Haushalte in Armut zu verbessern. Das Geld soll den Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen verbessern und Arbeitsplätze schaffen.
Mohammed ist einer der 700 Glücklichen, denen das UNHCR einen Wohncontainer aufgestellt hat. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen hat das Behelfszuhause in seinen Garten gestellt. Die Notunterkünfte sollten den Menschen Schutz bieten, während sie ihre Häuser reparieren. Doch weil dafür das Geld fehlt, wohnt Mohammeds Familie nun dauerhaft in dem Container. Laut UN müssen allein in Mossul mehr als 40.000 Häuser wiederaufgebaut oder repariert werden. Die Vereinten Nationen schätzen, dass der Wiederaufbau in den befreiten Gebieten des Irak mindestens 17 Milliarden Dollar kosten wird.
Es fehlt außerdem an grundlegenden Versorgungsleistungen, sagt Hivog Etyemezian, der das UNHCR-Büro in Mossul leitet: "Für eine nachhaltige Rückkehr werden Wasser, Strom, Schulen und Krankenhäuser benötigt." Auch die Sicherheitslage spiele und es komme zu Spannungen zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen. In manchen Teilen Mossuls verhindern Trümmer, Minen und die darunter liegenden Leichen die Rückkehr.
Ganz anders ist die Situation in Ost-Mossul, wo der Wiederaufbau in vollem Gange ist. Hier haben die wohlhabenderen Bürger Zugang zu Krediten von Freunden und Institutionen. Hivog Etyemezian weist auf die dort eingeführten privatwirtschaftlichen Lösungen hin, um dem Mangel an staatlich bereitgestelltem Strom und Wasser entgegenzuwirken. "Generatoren und Wasser werden mit Lastwagen hergebracht. Die Frage ist, ob man es sich leisten kann, dafür zu zahlen", so der UNHCR-Vertreter. Darüber hinaus seien die Schulen überfüllt, die Gesundheitsdienste unterhalb des Standards, sagt Etyemezian.
Überfüllte Schulen, kaum Dienstleistungen
Faris Brow, der vor Monaten in sein beschädigtes Haus im westlichen Viertel Al-Obour zurückgekehrt ist, bestätigt das. Er hat Probleme, ein Krankenhaus auf der anderen Seite des Tigris für eine Nierenbehandlung zu erreichen. "Ich brauche zwei Mal die Woche eine Dialyse. Keine Klinik hier ist dazu in der Lage und ich habe kein Geld für den Transport." Er überlebe nur, sagt Brow, weil sein Sohn hin und wieder Arbeit finde.
Hivog Etyemezian bestätigt, dass der Mangel an Arbeitsplätzen ein großes Problem ist. "Die Menschen hier sind sehr stark abhängig von der Regierung. Aber wie viele kann die beschäftigen?" Nach Angaben der Weltbank liegt die Arbeitslosenquote in den befreiten Gebieten des Irak derzeit bei rund 21 Prozent.
Das erklärt, wieso seit Januar mehr als 37.000 Mossul-Rückkehrer in die Camps für Vertriebene zurückgekehrt sind. Das ist sowohl für die Hilfsorganisationen als auch für die irakische Regierung eine unerfreuliche Entwicklung. Die Regierung will die Camps schließen - vor allem zu Propagandazwecken im Hinblick auf die für Mitte Mai geplanten Parlamentswahlen. Hilfsorganisationen erklärten im März, noch immer seien 2,2 Millionen Menschen als Vertriebene registriert.
"Es gibt einen klaren Trend, und der wird von jenen Menschen angetrieben, denen die Mittel ausgehen", sagt UNHCR-Mann Etyemezian. "Die Leute haben keine Lebensgrundlage mehr und kehren in die Camps zurück. Das hängt nicht mit der Sicherheitslage oder dem bewaffneten Konflikt zusammen."
Die Suche nach einem würdigen Leben
Manche Menschen kehren in die Camps zurück, weil ihre Häuser zu stark beschädigt sind, andere, weil jetzt eine andere Familie in ihrem Haus lebt, oder weil sie Angst vor nicht explodierten Minen haben. In manchen Fällen würden Nachbarn eine Rückkehr nicht akzeptieren, wegen der tatsächlichen oder vermuteten Zugehörigkeit der Rückkehrer zum IS.
In einigen Camps östlich von Mossul ist die Zahl der wieder Zurückgekehrten größer als die jener, die nach Hause gehen. Wenn das so weitergeht, müssen bereits geschlossene Flüchtlingslager wieder geöffnet werden. Dennoch stimmen Hilfsorganisationen mit der irakischen Regierung überein, dass sie geschlossen werden sollten. "Camps sind für mich die letzte und schlechteste Option", sagt Etyemezian. "Sie sollten nur vorübergehend sein, der letzte Ausweg."
"Verdrängung führt jedes Mal zu einem Trauma. Das heißt, wenn Menschen zurückkehren, weil es nicht geklappt hat, dann erleben sie ein neues Trauma. Je mehr Vertreibungen sie durchmachen, desto traumatischer und unwürdiger wird ihr Leben", fügt er hinzu.
Er höre immer wieder, dass die Probleme gelöst seien, wenn der Krieg ende. "Aber eigentlich braucht man nach einem Konflikt oft mehr Geld. Denn erst wenn sich der Staub gelegt hat, begreift man, wie viel Schaden angerichtet wurde." Es sei einfacher, wenn ein Konflikt seinen Höhepunkt hat, Medien darüber berichten und Geldgeber das dann sehen. Die Lage jetzt, sei "viel komplexer."