Irakische Flüchtlinge in Deutschland
21. März 2009Eine kleine spärlich möblierte Dachgeschosswohnung in Northeim, Südniedersachsen. Es sieht so aus, als sei der Mieter, Ghassan El-Zuhairy, nur auf der Durchreise. Der zierliche Mann ist einer von rund 72.000 Irakern, die derzeit in der Bundesrepublik leben. Der Dreißigjährige floh 2002 aus dem Irak nach Deutschland. Eigentlich war El-Zuhairy auf dem Weg zu seiner Verlobten in Schweden. Das war im September vor sieben Jahren. Doch die Polizei stellte den illegal Eingereisten in der Bahn. Das europäische Asylrecht zwang El-Zuhairy in Deutschland zu bleiben. Ein Asylverfahren wurde eröffnet, doch der Asylantrag wurde abgelehnt.
In Deutschland nur geduldet
Seitdem ist El-Zuhairy in Deutschland nur geduldet. Was das bedeutet, erklärt Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen: "Eine Duldung ist die Bescheinigung darüber, dass eine Person sich illegal in Deutschland aufhält. Dass der Vollzug der Abschiebung derzeit aber bis zu einem unbestimmten Zeitpunkt ausgesetzt wird". Grund dafür, dass zurzeit irakische Flüchtlinge nicht in ihr Heimatland abgeschoben werden, ist der fortdauernde Bürgerkrieg im Irak. An dieser Situation wird sich nach Einschätzung von Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen auch in absehbarer Zeit nichts ändern: "Wir hielten es für angemessen und mit der jetzigen Rechtslage durchaus vereinbar, den Irakern, die heute geduldet hier leben, eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Weil die Rückkehr aus rechtlichen und faktischen Gründen auf absehbare Zeit nicht möglich ist".
Keine Chance auf Integration
Die Duldung ist für Menschen wie Ghassan El-Zuhairy mit vielen Einschränkungen verbunden. So darf er darf sich innerhalb Deutschlands zum Beispiel nicht frei bewegen, sondern muss in Niedersachsen bleiben. Aus genau diesem Grund hat der gelernte Metalltechniker auch seinen Arbeitsplatz bei einem Karosseriebaubetrieb verloren. Sein Chef konnte ihn nicht einsetzen, um Teile an Kunden in anderen Bundesländern zu liefern. Jetzt lebt Ghassan El-Zuhairy vom Sozialamt. Diese Situation macht ihn krank, sagt der Iraker: "Pläne habe ich zur Zeit gar nicht. Ich kann nicht ohne Ziel leben". El-Zuhairy hat aus eigenem Antrieb die deutsche Sprache gelernt, denn als Geduldeter hatte er kein Anrecht auf einen Deutschkurs. Doch bei allem guten Willen seinerseits: ohne Aufenthaltserlaubnis hat El-Zuhairy keine Chance, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren.
Flüchtlingshilfe ohne Konzept
Das ist aus der Sicht von Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen nicht hinnehmbar – auch mit Blick auf die heute anlaufende Aufnahme weiterer Irak-Flüchtlinge aus Syrien und Jordanien: "Man kann nicht einerseits sagen, aufgrund der Situation im Irak nehmen wir die Opfer dieses Krieges im Irak auf und auf der anderen Seite konkret überlegen, wie man die Leute wieder zurück in den Krieg bringen kann. Das passt aus unserer Sicht nicht zusammen, da muss es ein Konzept geben, das allen Irakern und Irakerinnen eine Perspektive in Deutschland ermöglicht". Der Flüchtlingsrat Niedersachsen begrüßt grundsätzlich, dass sich Deutschland dazu bereit erklärt hat, 2 500 irakische Flüchtlinge im Lauf des Jahres aufzunehmen. Doch gemessen an der Zahl von insgesamt 2,5 Millionen Irak-Flüchtlingen in den Lagern in Syrien und Jordanien, sei das viel zu wenig, sagt Kai Weber: "Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein, gemessen an der Flüchtlingsnot in diesen Ländern. Es hilft nicht wirklich, diese Not zu lindern, ist aber ein Zeichen des guten Willens". Nach Auffassung des Flüchtlingsrates Niedersachsen sollte Deutschland das Zehnfache an Irak-Flüchtlingen aufnehmen, nämlich 25 000. Das entspräche in etwa der Zahl an Vietnamesen, den sogenannten "Boat People", die Deutschland in den achtziger Jahren aufnahm.
Unterdessen wäre Ghassan El-Zuhairy froh, wenn auch er eine Perspektive in Deutschland bekäme. Von Schweden träumt er nicht mehr. Fünf Jahre hat seine Verlobte dort auf ihn gewartet, dann gab sie es auf und heiratete einen anderen.