Der IS in Palmyra: Ein Propagandaerfolg?
31. Mai 2015Geographisch ist die Oasenstadt Palmyra das Herz des heutigen Staates Syrien. Zentral zwischen der Küstenregion mit Damaskus und dem Euphrattal gelegen, war sie seit jeher eine wichtige Handelsmetropole. Aber auch kulturell und soziopolitisch ist sie von immenser Bedeutung: Die ansässige Bevölkerung bildet sozusagen den Puffer und zugleich die Verbindung zwischen den städtischen Küstenzonen im Westen und der eher ländlichen Bevölkerung am Euphrat. Zudem beherbergt Palmyra die gleichnamige Ruinenstätte, die zum Unesco-Weltkulturerbe gehört und als eine der bedeutendsten Kulturstätten im Nahen Osten gilt.
Im römisch-antiken Theater von Palmyra soll der selbsternannte "Islamische Staat" mindestens 20 Menschen öffentlich hingerichtet haben. Zeitgleich sollen die Kämpfer begonnen haben, die Statuen der UNESCO-Welterbestätte zu zerstören. Im DW-Interview spricht Stefan Weber, Direktor des Museums für Islamische Kunst in Berlin und Koordinator des Syrian Heritage Archive Project, über die Bedeutung von Palmyra für Syrien und für die gesamte Welt.
"Das Kulturerbe ist für die Syrer verloren"
DW: Die Kämpfer des sogenannten "Islamischen Staats" (IS) sollen begonnen haben, antike Statuen in Palmyra zu zerstören. Wenn das wahr ist, was droht der Menschheit dann dort verloren zu gehen? Was für ein Ort ist Palmyra?
Stefan Weber: Wir haben in Syrien Stadtgeschichten von tausenden von Jahren. Es ist belegt, dass Palmyra bereits zwei-, dreitausend Jahre v. Chr. existierte. Und nicht nur das: Palmyra war viele hundert Jahre die Schnittmenge zwischen dem östlichen Mittelmeerbereich, der hellenistisch-römischen Welt und dem Mesopotamischen, dem Iranischen. Man kann dort bis heute sowohl Tempel von Mittelmeergöttern sehen als auch von einem Gott der Phönizier bis hin zu einem Gott aus Mesopotamien. Kleidungen auf Grabreliefs sind sowohl römisch als auch persisch. Palmyra ist nicht nur deswegen für viele Syrer sehr bedeutend, sondern auch, weil dort Zenobia geherrscht hat, eine regionale Königin, die sich gegen die Römer auflehnte.
Wofür steht Zenobia?
Ich habe lange in Syrien gelebt. Wenn man dort nach Zenobia fragt, weiß sofort jeder etwas zu erzählen. Dieses lokale Kulturerbe ist im Bewusstsein der Syrer sehr stark verankert. Das Schlimme ist, dass dieses Kulturerbe für die Syrer verloren ist. Das Land ist zerrissen, die Objekte werden zerstört und jetzt vielleicht sogar vom IS bewusst zerstört. Die Zerstörung der Städte ist zugleich auch eine Zerstörung der islamischen Kultur, die in diesen Städten gewachsen ist. Das ist nicht nur ein Verlust für die ganze Kulturgeschichte der Menschheit zwischen Ost und West; es ist auch ein unglaublicher Verlust, eine riesige Wunde für die Menschen in Syrien selber.
Inwiefern betrifft es aber auch uns alle, sollte Palmyra tatsächlich zerstört werden? Es heißt immer, es sei die Wiege der Zivilisation - ist das so richtig?
Palmyra ist natürlich Teil unserer Weltgeschichte. Dennoch: Es sind die Syrer, die diesen Verlust erleben. Der IS aber weiß, dass wir uns bei der Zerstörung von Kulturgütern als Teil unseres historischen Erbes und kulturellen Gedächtnisses in besonderem Maße berührt fühlen. Über die 400 Menschen, die in Palmyra abgeschlachtet worden sind, würde kaum berichtet werden, wenn es nicht genau an diesem Ort passiert wäre. Seltsamerweise erschrickt uns das Morden offenbar weniger als die Zerstörung von alten Steinen. Genau an diesem wunden Punkt will uns IS treffen, weil er weiß, dass er damit einen Aufschrei – und somit einen Propagandaerfolg – erreichen kann. Das erste Mal konnten wir dies bei Bamiyan mit den Taliban in Afghanistan erleben. Damals wurde klar: Umso mehr Kameras da sind, umso sicherer ist, dass sie Bamiyan in die Luft sprengen. Genau das passiert jetzt mit dem IS.
"Desto mehr wir aufschreien, umso mehr haben die gewonnen"
Aber wir können doch nicht still sein, wenn Kulturerbe zerstört wird, oder?
Ich glaube, wir müssen versuchen - auch wenn es ein Verlust für die Welt ist, auch wenn es ein Verlust für Syrien ist -, ruhig zu bleiben und uns nicht so sehr berühren zu lassen. Das ist ja genau das, was die wollen. Desto mehr wir aufschreien, umso mehr haben die gewonnen. Das ist eine perverse Strategie. Aber sie funktioniert und wird deswegen auch noch eine Weile so weiter laufen. Gott sei Dank hat das syrische Antikenamt viele wertvolle Statuen aus dem lokalen Museum geräumt. Doch gibt es noch Objekte, die laut IS-Propaganda zerstört werden. Was mit den Ruinenstädten passiert, wissen wir nicht. Nach Aussagen des lokalen IS-Kommandeurs will man sie schonen. Aber der IS wird uns alles Weitere schon wissen lassen.
Was der IS in seinen Propagandavideos nicht zeigt, ist, dass sie durchaus die Objekte, die sich gut verkaufen und bewegen lassen, in den Kunsthandel bringen. Es lässt sich so gut Geld machen. Deswegen wird ja auch geplündert.
Wir wissen leider, dass dieser Irrsinn auch eine Logik hat. Bei den Raubgrabungen werden ganz gezielt altorientalische Antiken herausgeholt und verkauft. Das ist gewinnbringend für die Kriegskasse und ein großes Geschäft. Inzwischen ist hoffentlich im öffentlichen Bewusstsein angekommen, dass es nicht lustig ist, Antiken aus Syrien bei sich im Wohnzimmer stehen zu haben. Da hat ein Bewusstseinswandel stattgefunden - ähnlich wie bei Pelzen. Inzwischen weiß jeder, dass ein Pelz nicht schick ist und genau so wenig schick ist es, syrische Antiken zu Hause stehen zu haben. Früher hat man sich mit diesen Antiken als kulturell beflissene Person gezeigt, was verständlich ist. Jetzt zeigt sich aber, dass man zum Teil einer Kette wird, die Krieg mitfinanziert. Diese Aufmerksamkeit ist sehr gut.
Der private Kunsthandel blüht
Sie schauen sich den Kunstmarkt ja schon länger an. Was können Sie dort beobachten?
Interessanterweise ist viel weniger auf dem Markt, als wir dachten. Es ist noch nicht so, dass alles, was geplündert wird, gleich auch den Markt überschwemmt. Hauptsächlich findet man Objekte aus dem alten Orient, weniger aus der Zeit des islamischen Orients, aber auch die römisch-hellenistische Zeit ist zu sehen. Vieles wird wohl direkt an private Kunden gehen. Es gibt ja ganz neue Märkte sowohl in der Türkei als auch im Golf, wo recht vermögende Personen sich ihr kulturelles Erbe für zu Hause einkaufen. Das Bundeskriminalamt, mit dem wir in Kontakt sind, geht davon aus, dass die großen Stücke erst dann auf den Markt kommen, wenn keiner mehr über Syrien spricht und die internationale Aufmerksamkeit woanders hinfällt. Das kann noch dauern.
Das Deutsche Archäologische Institut und das Museum für Islamische Kunst haben mit den Geldern des Auswärtigen Amtes vor drei Jahren ein Projekt ins Leben gerufen, um das syrische Kulturerbe zu schützen. Wie genau sieht das aus?
Wir wollten erst einmal aus dieser Schockstarre herauskommen. Wir hatten vorher über zwei Jahre ja nur zuschauen können, wie alles kaputt geht. In dem Projekt tun wir, was wir können - nämlich die Objekte jahrzehntelanger Forschung zu Syrien zu digitalisieren und über ein System ins Internet zu bringen, so dass am Tag des Wiederaufbaus hoffentlich zumindest eine Dokumentation der syrischen Antike vorliegt. Wir dokumentieren inzwischen auch die Zerstörung. Und wir schauen uns den Kunsthandel an, prüfen, wo wer welche Antiken verkauft, um zu sehen, wo wir vielleicht einen Beitrag leisten können, um einen sauberen Handel zu ermöglichen, indem wir bekanntes Raubgut dann auch weitermelden.
Können Sie damit das kulturelle Erbe auch für die Zukunft schützen?
Das sind Projekte, die natürlich wichtig sind, aber lange noch nicht dazu führen, dass Syrien in Zukunft geschützt wird. Eigentlich bräuchte man noch viel größere Initiativen. Man müsste in Regionen, in denen der Staat nicht mehr existiert oder sehr schwach ist, versuchen, die lokalen Autoritäten zu unterstützen. Und man müsste versuchen, durch kulturelle Bildung gerade in den Flüchtlingslagern einem Auseinanderfallen der Gesellschaft dadurch zu kontern, dass man dieses kulturelle Erbe, das ja multireligiös und multiethnisch ist, den Menschen wieder mitgibt, sodass sie stolz auf ihr Erbe sind.
Das Gespräch führte Sönje Storm.