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Der Flüchtling, der Spalter der Koalition?

Kay-Alexander Scholz, Berlin31. Oktober 2015

An diesem Wochenende werden im Kanzleramt nächste Schritte in der Flüchtlingskrise beraten. Die Koalition ist zerstritten, von einer Regierungskrise will aber niemand sprechen. Richtig ist: Die Lage ist ernst.

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Deutschland Horst Seehofer und Angela Merkel in Berlin (Foto: Dpa)
Bild: picture-alliance/dpa/R. Jensen

Scheitert die Regierungskoalition an der Flüchtlingskrise? In Deutschland wird dieser Tage viel darüber spekuliert. Die Lage stellt sich in etwa so dar, wie der Kommentator der polnischen Zeitung "Gazeta Wyborcza" schrieb: "Zehn Jahre lang hat (Bundeskanzlerin) Merkel paranoide Ängste der Deutschen in Bezug auf Arbeitslosigkeit und Verlust des Wohlstands gemildert. Sie beseitigt jedoch nicht die Ängste, dass die Deutschen zu Fremden im eigenen Land werden. Dabei kann man von einer CDU-Kanzlerin Härte, die Sicherung der Grenzen und den Kampf um den Erhalt der deutschen Identität erwarten. Eben dies will der (CSU-)Ministerpräsident von Bayern, dem Land, das die Hauptlast der Aufnahme von Flüchtlingen trägt."

Hunderttausende Flüchtlinge haben in Deutschland Ängste geschürt. Das strahlt nun auch auf die Atmosphäre in der Regierungskoalition aus CDU, CSU und SPD aus. Sichtbar sind die Flüchtlinge in den Städten und Gemeinden, wo kaum noch Unterkünfte für Flüchtlinge zu finden sind. Die Bundestagsabgeordneten bekommen das in ihren Wahlkreisen hautnah mit.

Schon bei der letzten Bundestagsfraktionssitzung von CDU/CSU brach sich diese miese Stimmung in offenem Protest Bahn. Am kommenden Dienstag kommen sie wieder zusammen - die Lage hat sich weiter verschärft. Es soll Anträge geben, Merkel zu einem Stopp der Politik der offenen Grenzen zu bewegen. Auch darüber, wie diese Stimmung in den Griff zu kriegen ist, werden sich CDU und CSU an diesem Samstag austauschen.

Warum die CSU Druck macht

Am Sonntag findet dann ein Treffen der drei Parteichefs - also Angela Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer und SPD-Chef Sigmar Gabriel - statt. Ende der Fraktionsgemeinschaft, Koalitionskrise, Abzug der CSU-Minister, ein Ultimatum, bayerische "Notwehr", klang es in den Tagen zuvor drohend aus Bayern. Aus den Führungsriegen der Parteien war allerdings unisono zu hören: Die große Koalition stehe nicht auf dem Spiel. Theaterdonner gehört zum Geschäft, aber die Sachpolitik bleibt im Fokus, heißt das übersetzt.

Krisen und verbale Zerwürfnisse zwischen CDU und CSU sind nichts Ungewöhnliches. Abseits tatsächlicher inhaltlicher Differenzen spielen die Schwesterparteien in der deutschen Medienöffentlichkeit gern mit verteilten Rollen, um das breite Meinungsspektrum ihrer Wähler abzudecken. In der Flüchtlingskrise scheint das nötiger denn je. Die Wir-schaffen-das-Kanzlerin ist die Optimistin, kämpft in der EU um einen Verteilungsmodus für Flüchtlinge. Seehofer sieht sich traditionell als Volkstribun, der auf die Sorgen und Ängste der Bevölkerung eingeht. Mit dieser Strategie schafft es die CSU seit Jahrzehnten, bei Wahlen eine absolute Mehrheit zu erzielen. Aktuell kommt hinzu: Seehofer will die Abwanderung zur Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) aufhalten. Deshalb bedient er sich aus deren rechtspopulistischem Vokabular. Doch bisher hat er damit keinen wirklichen Erfolg: Die AfD konnte ihre Zustimmungswerte in Umfragen innerhalb weniger Wochen etwa verdoppeln.

Die Bayern erleben derzeit den Flüchtlingsstrom hautnah. Die meisten Flüchtlinge kommen über die österreichisch-bayerische Grenze nach Deutschland. Seit Wochen geht das nun schon so. Wären die Bayern nicht so gut organisiert, wie sie es tagtäglich beweisen, sähe die Lage noch unübersichtlicher aus. Doch wie die Chefin der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, sagte, so langsam kommt auch Bayern an seine Belastungsgrenze. Das Einzige, was man derzeit nicht habe, seien Zeit und Geduld, meinte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer säuerlich.

Asylpolitik: Viele Baustellen

Faktisch hat Merkel in den vergangenen Wochen für folgenreiche Verschärfungen im Asylrecht gesorgt, die in den Unionsparteien schon seit längerem besprochen wurden, für die aber bisher die politische Mehrheit fehlte. Interessanterweise stammt viel davon ursprünglich von der CSU.

Doch noch immer strömen Tausende ins Land, immer mehr Kommunen melden, keine Unterkünfte mehr zu haben. Was tun? Seit Wochen im Gespräch sind sogenannte Transitzonen an der Grenze. Dort sollen die Flüchtlinge in solche mit und ohne Bleibeperspektive sortiert werden. Vor allem die Bayern erhoffen sich dadurch Entlastung - auch weil die Transitzonen wohl Bundessache wären. Doch der Koalitionspartner SPD ist davon noch nicht überzeugt und befürchtet "Haftzonen" für die Flüchtlinge. Im Gegenzug für Zugeständnisse könnte daher über ein Investitionspaket oder ein Einwanderungsgesetz gesprochen werden, wofür sich die SPD stark macht. Ein weiteres Thema könnte das Prozedere beim zu erwartenden Familiennachzug sein.

SPD-Chef Sigmar Gabriel (links) und CSU-Chef Horst Seehofer
SPD-Chef Sigmar Gabriel (links) und CSU-Chef Horst SeehoferBild: picture-alliance/Ulrich Baumgarten

Merkel: Schritt für Schritt

Schließt Deutschland seine Landesgrenzen, spricht sich Merkel für Obergrenzen bei Flüchtlingen aus? Diese Fragen tauchten im Vorfeld des Treffens auf. Doch Merkel will wohl nicht hinter ihre Position zurückfallen, dass es Obergrenzen nicht geben dürfe und Mauern nicht helfen würden. Entsprechend niedrig stufte Regierungssprecher Steffen Seibert die Erwartungshaltung für das Treffen der Koalitionsspitzen ein: Eine enge ständige Abstimmung sei notwendig, um regelmäßig die gegenseitigen Sorgen zu hören. Den einen Schalter zum Umlegen als Lösung der Krise gebe es nicht, dämpfte die Kanzlerin in den vergangenen Tagen die Erwartungen - ein typischer Merkel-Satz. Hauptsächlich wird es darum gehen, Handlungsfähigkeit zu demonstrieren.