Weltgericht gegen Kriegsfürst
13. März 2012Den Haag, im März 2009. "Haben Sie mitangesehen, wie jemand zur Strafe hingerichtet wurde?", fragte eine Anwältin in schwarzer Robe. "Ja, ich habe erlebt, wie ein Junge, der flüchten wollte, exekutiert wurde. Sie wollten zeigen, dass jeder von uns das gleiche Schicksal erleiden könnte und keiner dem Militärdienst entkommen kann", sagt der Zeuge. Seine Stimme wurde absichtlich verzerrt, die Videoaufnahme verpixelt. Der Mann sollte nicht erkannt werden. Zu seinem eigenen Schutz. Er war einmal Rebellenmitglied im Kongo. Im Zeugenstand berichtet er vom brutalen Milizenleben und wie Kinder von den Rebellen sexuell missbraucht wurden.
Nur wenige Meter entfernt sitzt der Mann, der für all das verantwortlich sein soll: Thomas Lubanga Dyilo, 51 Jahre alt, Ex-Milizenführer aus dem Kongo. Er trägt einen schwarzen Anzug mit Krawatte, dazu eine goldene Armbanduhr. Fast teilnahmslos beobachtet er die Befragung, schließt ab und zu die Augen. Auch an den anderen Verhandlungstagen gibt er sich so, als hätte er mit den Vorwürfen nichts zu tun. Seit mehr als fünf Jahren sitzt Lubanga im Gefängnis in Den Haag. 2006 hatte ihn die kongolesische Regierung verhaftet und an den Internationalen Strafgerichtshof ausgeliefert. 2009 eröffneten die Richter den Prozess gegen ihn. Die Anklage: schwere Kriegsverbrechen.
Erstes Urteil zu Kindersoldaten
Zwischen 2002 und 2003 soll Lubanga in der ostkongolesischen Krisenregion Ituri hunderte Kinder für seine bewaffnete Miliz "Union kongolesischer Patrioten" (UPC) rekrutiert haben: Jungen und Mädchen, zwischen sieben und 15 Jahre alt. Lubanga soll sie zum Töten gezwungen und als Sexsklaven missbraucht haben. Sein Verfahren ist bislang das erste vor dem Internationalen Strafgerichtshof, das sich ausschließlich mit dem Thema Kindersoldaten befasst. "Was für mich zählt, ist die Strafe. Es geht hier um Kinder, aus denen Killer gemacht wurden", erklärte Chefankläger Luis Moreno-Ocampo vor Prozessbeginn 2009. 220 Anhörungen fanden seitdem statt. Erstmals in einem internationalen Verfahren durften auch die Opfer der Milizen als Nebenkläger auftreten.
Lubanga gilt als einer der Hauptakteure des Konflikts in Ituri. Der Distrikt im Nordosten des Landes ist reich an Diamanten und Gold. Ende der 90er Jahre brach hier ein bewaffneter Konflikt zwischen den ethnischen Gruppen der Hema und Lendu aus, in den sich auch die Nachbarstaaten Ruanda und Uganda einmischten. Die blutige Bilanz: rund 60.000 Tote. Lubanga gilt als Gründer der von Hema dominierten UPC und als Befehlshaber ihres militärischen Armes, der Patriotischen Kräfte für die Befreiung des Kongo (FPLC). Die Milizen sollen für zahlreiche Massaker in Ituri verantwortlich sein.
Richterspruch mit Signalwirkung?
Zweimal wurde der zähe Prozess gegen Thomas Lubanga unterbrochen. Das Gericht hatte bemängelt, dass die Anklage die Beweisakten und die Identität von Kontaktpersonen im Kongo geheim hält. Lubangas Verteidiger müssten Einblick bekommen, damit ein faires Verfahren möglich sei, argumentierten die Richter. Die Verteidigung bekam Zugang zu den Akten, aber die Namen der Zeugen blieben geheim. Der Prozess wurde wieder aufgenommen, im August 2011 verlasen Anklage und Verteidigung ihre Schlussplädoyers. Lubangas Verteidigerin attackierte die Glaubwürdigkeit der Zeugen: "Es wurde nachgewiesen, dass alle Personen, die als Kindersoldaten gelten sollten, vor dieser Kammer gelogen haben", sagte sie. Acht der Zeugen seien nie in der Miliz gewesen, ein neunter habe bezüglich seines Alters gelogen, so die Anwältin.
Am Mittwoch (14.03.2012) haben die Richter Lubanga nun wegen der Rekrutierung von Kindersoldaten schuldig gesprochen. Lubanga zeigte keine Regung, als der Vorsitzende Richter Adrian Fulford das Urteil verlas. Das Strafmaß wird in einem weiteren Verfahren verhandelt. Dem ehemaligen Rebellenführer droht die Höchststrafe: lebenslange Haft.
Dieses erste Urteil des Internationalen Strafgerichtshof wird auch Auswirkungen auf andere Prozesse haben, sagen Beobachter. Neben Rebellenchef Lubanga müssen sich derzeit noch weitere Kriegsverbrecher, etwa aus dem Kongo, aus Kenia, Uganda und der Elfenbeinküste vor dem Weltgericht verantworten. Gegen andere, wie den sudanesischen Präsidenten Omar Al-Bashir und Saif al-Islam Gaddafi, den Sohn des früheren libyschen Machthabers, liegen Haftbefehle vor.