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Politik

Russische Medien feiern Sieg über Polizei

Roman Goncharenko
11. Juni 2019

Der Fall des Enthüllungsjournalisten Iwan Golunow sorgt für Wirbel in Russland. In einer beispiellosen Welle der Solidarität protestieren Medien wegen Verdachts auf Polizeiwillkür - und siegen.

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Iwan Golunow Journalist Russland
Bild: picture-alliance/dpa/E. Feldman

Eigentlich kennt die russische Justiz kein Zurück: Wer einmal festgenommen wird, wird in den meisten Fällen angeklagt und verurteilt. Diese ungeschriebene Regel wurde am Dienstag gebrochen. Die Anklage gegen den Enthüllungsjournalisten Iwan Golunow wegen angeblichen Drogenhandels wurde nach wenigen Tagen fallengelassen, die für die Festnahme Verantwortlichen sollen entlassen werden, sagte Innenminister Wladimir Kolokolzew.

Beispiellose Welle der Solidarität

Vorausgegangen war ein für Russland neues Phänomen: Ein Aufstand der Medien. Die Titelseiten von drei Zeitungen mit der Schlagzeile "Ich bin / Wir sind Iwan Golunow" waren am Montag ein vorläufiger Höhepunkt der für Russland beispiellosen Welle der Solidarität mit dem Journalisten. "Vedomosti", "Kommersant" und "RBK", alle drei führende liberale Wirtschaftsblätter, protestierten nach dem Vorbild von "Charlie Hebdo" gegen das, was viele in Russland als Polizeiwillkür empfanden. Sogar sonst linientreue staatliche Medien, darunter führende Fernsehkanäle, forderten Gerechtigkeit. Auch in Berlin gab es am Wochenende Proteste vor der russischen Botschaft. Ein Regierungssprecher teilte am Dienstagabend auf DW-Anfrage mit, Berlin begrüße die Freilassung des Journalisten Iwan Golunow. "Die Bundesregierung verfolgt die Entwicklungen in Russland und den dortigen Umgang mit Oppositionspolitikern, Journalisten und der Zivilgesellschaft sehr genau", so der Sprecher.      

Die Titelseiten der drei führenden russischen Wirtschaftsblätter am Montag, den 10. Juni
Die Titelseiten der drei führenden russischen Wirtschaftsblätter am Montag, den 10. JuniBild: Reuters/S. Zhumatov

Der 36-jährige Iwan Golunow, ein Enthüllungsreporter des regierungskritischen Online-Mediums "Meduza", wurde am 6. Juni in Moskau festgenommen. Die Polizei warf ihm Rauschgiftbesitz vor. In seinem Rucksack und seiner Wohnungen wurden angeblich ein paar Gramm Drogen, darunter Kokain, gefunden. Golunow bestritt die Vorwürfe und sprach von einer offensichtlichen Polizeifalle. Er befand sich seit Samstag unter Hausarrest - eine für russische Verhältnisse ungewöhnlich milde Maßnahme. Nach Einzelprotesten in den vergangenen Tagen wollten am Mittwoch Tausende in Moskau auf die Straße gehen, obwohl die Demonstration nicht genehmigt worden war. Nach der Nachricht über die Freilassung von Golunow rief die "Meduza"-Gründerin und Chefin Galina Timtschenko dazu auf, die geplanten Proteste auf den 16. Juni zu verschieben. Die städtischen Behörden, die solche Demos nur selten genehmigen, haben bereits zugestimmt.

Krumme Geschäfte in Bestattungsbranche

Der Name Golunow war einem breiten Publikum in Russland bisher nicht bekannt, sein Medium aber genießt hohes Ansehen. "Meduza" wurde 2014 im lettischen Riga von regierungskritischen Journalisten im Exil gegründet und entwickelte sich zu einem der reichweitenstärksten russischsprachigen Medien überhaupt. Besonders beliebt ist das Medium bei der städtischen Mittelschicht.    

Golunow schrieb für "Meduza" Enthüllungen, in denen es meistens um Korruption in Moskau ging, etwa bei der Beschaffung von Bepflanzungen oder der Dekoration für eine Silvesterfeier. Zuletzt recherchierte Golunow über krumme Geschäfte in der Bestattungsbranche und soll auch Drohungen erhalten haben.

In den vergangenen Jahren gab es in Russland immer wieder Wellen der Solidarität wegen mutmaßlicher Justizwillkür. Mal war ging es um Star-Regisseur Kirill Serebrennikow, mal um den renommierten tschetschenischen Menschenrechtler Ojub Titijew. Doch nie waren die Proteste so massiv. Der Fall Golunow erinnert stark an das Schicksal von Titijew, der allerdings wegen angeblichen Drogenbesitzes verurteilt wurde. Am Montag wurde bekannt, dass Titijew nun vorzeitig aus der Haft entlassen werden sollte - offenbar eine Geste, um die Gemüter zu beruhigen.

Gründe für Golunows Freilassung

Es scheint mehrere Gründe zu geben, warum im Fall Golunow ein Rückzieher gemacht wurde. Zum einen haben diejenigen, die hinter den Vorwürfen stehen, die mediale Solidarität unterschätzt. Nach dem Protest von drei Wirtschaftszeitungen bekam die Geschichte zudem eine neue Qualität. Zum anderen drohten Straßenproteste und Zusammenstöße mit der Polizei. Und diese Proteste hätten sich ausweiten können - denn Mittwoch ist der Tag Russlands, ein Nationalfeiertag.

Seit Monaten erfassen Meinungsforscher in Russland eine wachsende Protestbereitschaft. Die Regierung scheint beunruhigt und gab schon vor wenigen Wochen in einem Fall in Jekaterinburg überraschend nach. Dort protestierten Bürger gegen den Bau einer Kirche in einem beliebten Park. Der Bau wurde gestoppt.   

Schnelle Regelung vor Putins Bürgerfragerunde?

Auch das Timing dürfte eine Rolle gespielte haben. Russlands Präsident Wladimir Putin plant für den 20. Juni seinen jährlichen "Direkten Draht", einen mehrstündige Bürgerfragerunde, die live im Fernsehnen übertragen wird. Einige Medien berichteten, der Kreml wolle den Fall Golunow davor regeln. Putins Sprecher jedoch dementierte.

Ein weiterer Grund für die schnelle Regelung des Fall Golunows könnte auch die bevorstehende Auslandsreise des Präsidenten nach Westeuropa Anfang Juli sein, die nicht überschattet werden sollte. Bestätigt ist bisher ein Treffen Putins mit dem Papst in Rom. Im Frühling gab es bisher unbestätigte Berichte, wonach sich Wladimir Putin mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Zivilgesellschaftsforum "Petersburger Dialog" bei Bonn treffen könnte. Und schließlich wären Vorwürfe gegen die Justiz im Fall eines regierungskritischen Journalisten eine schlechte Begleitung für die Rückkehr der russischen Delegation in die Parlamentarische Versammlung des Europarats, die sich gerade abzeichnet.