Der Faktor Fairness: Musik und Wettbewerb
11. Dezember 2015Beim International Telekom Beethoven Competition Bonn (ITBCB) steht einzig der Klavierklang bei Repertoirewerken im Fokus - ganz anders als beim "Eurovision Song Contest" oder "The Voice of Germany", wo verschiedene Musikbesetzungen, -genres und -darbietungsformen präsentiert werden.
So wird bei einem Musikwettbewerb im Klassikbereich das Werturteil entlang engen Parametern gefällt. Wenn das musikalische Niveau so durchgehend hoch ist wie beim diesjährigen ITBCB, wird die Entscheidung schwierig. Dennoch zeichnen sich deutlich Favoriten und Publikumslieblinge ab, und auch die Jury muss zu einem Urteil kommen. Beurteilungskriterien gibt es verschiedene, einige auch unbewusst.
Die Seele in der Musik
Emotionen bieten den zentralen Zugang zu jeglicher Bewertung von Musik. Der Hörer möchte von der Performance gefesselt werden, sich in einem Flow mitreißen lassen. Diese Erwartungshaltung wird entweder schnell erfüllt oder nicht - und das Urteil damit positiv oder negativ beeinflusst.
Befragungen ergaben, dass auch der Faktor Authentizität eine große Rolle spielt. "Kauf ich dem das wirklich ab?" ist eine zentrale Frage. Interessanterweise ist sich das Publikum hier meist einig.
Ganz anders sieht es bei der Originalität einer Interpretation aus: "So hab ich Beethoven noch nie gehört!“ kann nur einer sagen, der bereits viel Beethoven gehört hat. Dieses Urteil fällt entsprechend individuell aus.
Besonders interessant ist die Rolle der visuellen Reize. Neusten Studien zufolge wird der Mensch vom Gesicht, von der Bekleidung und der Bewegung eines Musikers stark beeinflusst - vielleicht mehr, als man wahrhaben möchte.
Es lebe der Unterschied?
Neben der emotionalen Ebene gibt es auch die Sachebene, die gern Experten - Kritikern, Juroren oder ausgeprägten Liebhabern - überlassen wird. Diese vermitteln ihr Spezialwissen jedoch oft nur über eine sperrige Fachsprache.
Speziell bei Wettbewerben kann es vorkommen, dass ein Juror vier Mal hintereinander das gleiche Stück zu hören bekommt. Ob es Beethovens Sonate "Patétique" oder sein Opus 111 in einer Dauerschleife ist: Auch beim Juror wird der persönliche Geschmack eine Rolle spielen. Und natürlich ist es auch eine Frage der Konzentration. Es braucht viel Disziplin, um nach einem langen Tag auch dem letzten Wettbewerbsteilnehmer aufmerksam zuzuhören.
Die Teilnehmer müssen ihrerseits solide spielen und gleichzeitig auffallen. Die Strategie ist widersprüchlich und lautet: Auf Nummer-Sicher gehen, fehlerfrei spielen; gleichzeitig das Risiko wagen und eine profilierte Interpretation vorlegen.
"Aufführungen sind nicht immer so ähnlich, wie wir glauben", schreibt der Pianist und Dirigent Daniel Barenboim in seinem Buch "Die Musik - Mein Leben". "Solange die Beziehung der Teile zum Gesamten stimmig ist, können die Teile unterschiedlich sein".
Aufgrund ihrer Vorbildung können Experten diese komplexen musikalischen Zusammenhänge hören und als mehr oder weniger gelungen einstufen.
Alles Gefühlsmäßige stimmt
Bei der Beurteilung von Musik spielen nicht zuletzt auch externe Faktoren keine geringe Rolle. Kein Hörer kann sich von der stressigen Anfahrt zum Konzert, seinem knurrenden Magen, seinem unbequemen Stuhl oder dem Husten seiner Nachbarn ganz frei machen.Kann die emotionale Reaktion auf ein Musikstück oder eine Interpretation falsch sein? Die Frage ist keinesfalls neu. "All sentiment is right", schrieb der englische Philosoph David Hume in seinem Werk "Of the Standard of Taste" im Jahr 1757: Jede Emotion ist also gleich wahr und gleich viel Wert, egal ob von Laie oder Musikkritiker. Dieses Credo hat längst die Veranstalter von Musikwettbewerben erreicht, die das Publikum dazu aufrufen, der eigenen Meinung Gewicht zu verleihen. Jeder kann, jeder soll.
Auch beim Juror löst eine Performance eine Fülle von Emotionen aus. Seine Aufgabe ist es nicht, die eigene seelische Reaktion zu unterdrücken sondern sie durch Fachkenntnis zu ergänzen. Innerhalb der Fachdiskussion ist es dann wichtig, dass alle über das Gleiche sprechen und einen "Äpfel-mit-Birnen"-Vergleich vermeiden. Im besten Fall kann sogar ein gemeinsamer Katalog von objektiven Kriterien erarbeitet werden. Das stärkt vor allem die Fairness - und macht jeden Wettbewerb für Teilnehmer und Zuhörer attraktiver.