Der braune Sumpf in Deutschland
17. Januar 2017Der gewaltsame Tod eines Polizisten in Bayern hat im Oktober 2016 die bis dahin in der Öffentlichkeit relativ unbekannte Bewegung "Reichsbürger" quasi über Nacht ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Zuvor hatte nicht einmal das Bundesamt für Verfassungsschutz die "Reichsbürger" für gefährlich gehalten, die den deutschen Staat nicht anerkennen, Kanzlerin Merkel für eine "jüdische Freimaurerin" halten und die Staatsgrenzen von 1937 wieder herbeisehnen.
Ähnlich rechtsextremistisches, antisemitisches und ausländerfeindliches Gedankengut vertreten in Deutschland rund drei Dutzend Vereine, Kameradschaften, Freundschaftskreise, lose Verbindungen und organisierte Parteien. Im aktuellen Verfassungsschutzbericht (2015) wird die Anzahl der darin registrierten Mitglieder mit 22.600 angegeben, davon rund 8000 gewaltbereite Personen. Tendenz seit 2014: nach jahrelangem Rückgang wieder anwachsend. Hier ist ein Blick auf eine kleine Auswahl der schier unübersehbaren rechten Szene:
"Identitäre Bewegung"
Die Gruppierung hat ihre Wurzeln in Frankreich und startete in den sozialen Medien. In Deutschland ist sie seit 2012 aktiv. Sie wendet sich - wie sie im Netz schreibt - gegen "unkontrollierte Massenzuwanderung" und den "Verlust der eigenen Identität durch Überfremdung". Auf Demonstrationen und mit Flugblättern und Aufklebern dokumentieren deren Anhänger ihren Hass gegen Ausländer und Muslime. Es bestehen Kontakte zur AfD. Die geschätzt 400 Mitglieder werden vom Verfassungsschutz beobachtet.
"Widerstand West"
So nennt sich ein aktives Netz militanter, so genannter freier Kameradschaften, die neonazistische Ideologien vertreten und versuchen, diese auch mit Konzerten der deutschlandweit rund 200 rechtsextremen Musikgruppen zu verbreiten. 2001 wurde die Attrappe eines Milzbranderregers an die jüdische Gemeinde Aachen versendet. Die mutmaßlich verantwortliche Gruppe aus dem Netzwerk, Kameradschaft Aachener Land (KAL) wurde 2012 verboten. Viele der Mitglieder setzten sich in andere Kameradschaften ab oder sind in der Pro-Bewegung weiter aktiv.
"Pro Bewegung"
Dieser Zusammenschluss von rechten Wählervereinigungen, Vereinen und Kleinparteien ist vor allem in Köln mit massiven Protestaktionen aufgefallen. "Pro-Köln"-Vertreter saßen nach der Kommunalwahl 2004 sogar im Stadtrat. Die Aktionen richteten sich gegen Ausländer, den Bau von Moscheen und die "Islamisierung Deutschlands". Etliche der insgesamt rund 800 Mitglieder waren früher in rechten Parteien wie der NPD, der DVU, bei den Republikanern oder der rassistischen und gescheiterten Bewegung "Deutsche Liga für Volk und Heimat" aktiv.
"Der III. Weg"
Diese vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestufte Kleinpartei mit rund 200 als höchst gewaltbereit beurteilten Mitgliedern wurde 2013 in Heidelberg gegründet. Auch diese Vereinigung zeigt, wie eng die Bindungen unter den rechten Kräften sind. Ehemalige Funktionsträger der NPD und des "Freien Netzes Süd" fanden hier ihre neue Heimat. Der vermeintlich dritte Weg soll den Kommunismus und den Kapitalismus umgehen. Es bleiben "völkische Ideologien" und Agitation gegen Flüchtlingsunterkünfte.
"Anti-Antifa"
Dieser Bewegung werden rund 900 Aktivisten zugerechnet, die deutschlandweit versuchen, gegen all jene vorzugehen, die rechtsextreme Gruppen in ihre Schranken zu verweisen versuchen. Oftmals prallen Vertreter dieser Bewegung auf Demonstrationen mit linksextremen Gruppen zusammen. Zu den Unterstützern der "Anti-Antifa" wurde auch immer wieder das "Deutsche Rechtsbüro" (DRB) gezählt. Dieses Büro stellt juristische Hilfe für angeklagte rechtsextreme Personen zur Verfügung, vertreibt Tipps zur Vermeidung von Strafverfolgung und vermittelt auch Anwälte.
"Ring nationaler Frauen"
Nach Erkenntnissen von Verfassungsschützern und Sozialforschern werden rechte Ideologien mehrheitlich von Frauen vertreten, auch wenn in der Öffentlichkeit meist Männer im Vordergrund stehen. So war es nur konsequent , dass die rechtsextreme Nationaldemokratische Partei (NPD) 2006 eine Unterorganisation schuf, die "national denkenden parteiungebundenen" Frauen ein "Sprachrohr" geben sollte.
Erosionserscheinungen:
"NPD"
Die Partei gilt als das klassische Auffangbecken für Rechtsextreme. Bereits 1964 gegründet leidet die Kleinpartei nach einigen Erfolgen bei Landtagswahlen in Ostdeutschland unter einem eklatanten Mitgliederschwund auf unter 5000 Personen und fährt bei Wahlen nur noch Ergebnisse zwischen 0,1 und 1,2 Prozent der Wählerstimmen ein. Ein seit Jahren angestrebtes Verbot hat das Bundesverfassungsgericht am 17.01.2017 abgelehnt. Die NPD ist nach Ansicht der Karlsruher Richter zu bedeutungslos, um die Demokratie in Deutschland konkret gefährden zu können.
"Die Republikaner"
Nach Einschätzung des Verfassungsschutzes haben die Republikaner für die rechtsextreme Szene kaum noch eine Bedeutung, weil sich Teile der rund 6000 Mitglieder deutlich von extremen Positionen der NPD oder anderer Organisationen distanziert haben. Ursprünglich wurde die Partei Anfang der 1980er Jahre von ehemaligen CSU-Mitgliedern gegründet und vertritt immer noch Gedanken, die als rechtspopulistisch eingestuft werden.
Beiden Parteien - NPD wie Republikaner - wurden nach Erkenntnissen führender Wahlforscher von der AfD viele potentielle Wähler abgenommen.
Aufgelöst oder verboten:
"Deutsche Volksunion"
Die DVU, wie sie in Kurzform genannt wurde, ist eine von vielen Vereinigungen, die sich nach etlichen internen Auseinandersetzungen auflösten, ohne dass der Verfassungsschutz eingegriffen hätte. Die DVU mit ihren neonazistischen und ausländerfeindlichen Programmen war mehrfach in Landesparlamenten vertreten und errang in Sachsen Anhalt sogar zweistellige Ergebnisse. Der Versuch mit der NPD zu fusionieren war nicht erfolgreich. 2012 verlaufen sich die Spuren ähnlich wie bei der aufgelösten "Deutschen Reichspartei", der "Deutsch-Sozialen Union" und der "Deutschen Gemeinschaft".
"Heimattreue Deutsche Jugend"
Der Verein aus Kiel mit einst vierhundert Mitgliedern hatte versucht, mit Zeltlagern, Kampfsportübungen und ideologischem Drill Einfluss auf Kinder und Jugendliche zu nehmen. Es sollte eine neonazistische Elite gebildet werden. Das hatten zuvor schon Vereinigungen wie die "Wiking Jugend" und die "Wehrsportgruppe Hoffmann" versucht. Alle diese Vereinigungen wurden verboten. Der HDJ trat 2009 der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble wegen Verbreitung nationalsozialistischer Ansichten mit einem sofortigen Verbot entgegen.