Der Altkleider-Wahnsinn
27. November 2018Das Rad mit neuer Kleidung dreht sich immer schneller. Gab es früher zu jeder Jahreszeit eine neue Kollektion, kommen inzwischen bis zu 24 Kollektionen im Jahr in die Läden. Damit dann zu Hause die Kleiderschränke nicht überquellen, bringen die Deutschen ihre nicht mehr getragene Kleidung zum Altkleidercontainer. Seit Mitte der 1990er Jahre ist die Altkleiderflut um 20 Prozent angeschwollen - und sie wächst weiter. "In Deutschland werden in jedem Jahr rund eine Million Tonnen Textilien in Altkleidersammlungen gegeben. Das ist wirklich eine riesige Menge," sagt Thomas Ahlmann von FairWertung. In diesem Dachverband haben sich über 130 gemeinnützigen Altkleider-Sammelorganisationen zusammengeschlossen.
Solche Spenden sind super - wird damit doch Bedürftigen geholfen und die Umwelt geschont, weil die Kleider weiterverwertet werden! Bloß: In Deutschland gibt es aber gar nicht so viele Bedürftige. Weniger als zehn Prozent der abgelegten Kleidung wird von karitativen Organisationen, in deren Namen die Sammelcontainer aufgestellt sind, gebraucht. Den Rest kaufen kommerzielle Altkleidersammler.
Von der Spende zur Ware
Durch den Verkauf nimmt beispielsweise das Deutsche Rote Kreuz rund 13,5 Millionen Euro jährlich ein - es wird verwendet für wohltätige Zwecke. Gleichzeitig ist die Kleiderspende zur Ware geworden. Ein winziger Bruchteil - zwischen zwei und vier Prozent - ist in einem so guten Zustand, dass er in Secondhand-Läden in Deutschland oder Westeuropa verkauft wird. Mit ihm wird der Großteil des Umsatzes gemacht. Weitere 40 Prozent werden in verschiedenen Qualitäten exportiert. Etwa zehn Prozent landen im Müll. Der Rest wird recycelt und zu Putzlappen verarbeitet.
Die Entsorgung der minderwertigen Textilien ist ein Zuschussgeschäft, das durch den Verkauf der besseren Stücke subventioniert werden muss. Für die kommerziellen Anbieter scheint sich der Aufwand zu lohnen. Die Nachfrage nach gebrauchter Kleidung aus Deutschland und anderen Industrieländern ist groß. Die Kleidung geht nach Osteuropa, in den Mittleren Osten, nach Mittelasien und vor allem nach Afrika. So schafft unsere Spende als Ware Arbeitsplätze - in den Sortierbetrieben, beim Transport und im Handel in den Ländern selber.
Kleiderspende, die Afrikanern zu Gute kommt?
Und sie bewirkt weiter Gutes, denn Secondhand-Kleidung ist für viele die einzige Möglichkeit, Textilien günstig zu kaufen, heißt es zumindest von FairWertung. Insbesondere in den ländlichen Regionen in Afrika habe sie eine große Bedeutung für die Grundversorgung mit Kleidung." Inzwischen gibt es zahlreiche Studien, die belegen, dass die einheimische Textilindustrie den wachsenden Bedarf vor Ort nicht decken kann", meint auch Susanne Pohl vom Deutschen Roten Kreuz.
Es gehe aber gar nicht um Bedürftigkeit, meint Friedel Hütz-Adams vom Südwind-Institut. Die Gebrauchtkleider "gehen erstmal in die afrikanischen Länder, die zahlungsfähig sind, das hat ja mit Bedürftigkeit nichts zu tun". So seien die Altkleiderimporte des Kongo sehr gering, obwohl es dort Millionen Binnenflüchtlinge gebe. "Die können nicht zahlen, also gehen da auch nur relativ wenige und eher qualitativ schlechte Altkleider hin. Und wenn ein Land wie Indien mit der größten Zahl an Armen ein Importverbot für Altkleider hat - und die Inder laufen ja auch nicht nackt durch die Gegend - dann zeigt das, dass der derzeitige Altkleiderhandel mit Befriedigung von Bedürfnissen von Armen wenig zu tun hat," so Hütz-Adams.
Arbeit - aber die falsche
Soweit zur Grundversorgung - und die Arbeitsplätze? Wäre es nicht besser, wenn die afrikanischen Länder selber Textilien produzieren würden anstatt Gebrauchtkleider zu importieren? "Die Zahl der Menschen, die vom Gebrauchtmarkt der Textilien leben, also Schneider, Verkäufer und so weiter, ist weit größer ist als die Zahl der Arbeitsmöglichkeiten in der Textilindustrie", sagt Susanne Pohl vom Deutschen Roten Kreuz.
In Afrika scheint man nicht sehr überzeugt davon zu sein, dass der Import von Altkleidern so viele wertvolle Arbeitsplätze schafft. Viele Länder würden lieber eine eigene Textilproduktion aufbauen. Seit Jahrzehnten produzieren sie zwar die Baumwolle, die wird dann aber als Rohstoff exportiert und anderswo weiterverarbeitet. Schuld daran war auch die in Ballen zusammengepresste Gebrauchtkleidung, die den afrikanischen Markt geflutet hat und so die einst vorhandene lokale Produktion von Stoffen und Textilien zerstörte. Das wurde schon 2012 in einer kleinen Anfrage im Deutschen Bundestag bestätigt.
Hütz-Adams erzählt, er habe Betroffene in Afrika oft über die ungeliebte Konkurrenz klagen gehört: "Die afrikanischen Produzenten sehen das Ganze nämlich als - im Gegensatz zu chinesischen Waren - sehr unfaire Konkurrenz. Sie sagen, da werden Spendenwaren kostenlos abgegeben und dadurch, dass diese Spenden umsonst abgegeben werden, haben die einen Preisvorteil auf dem Markt, den man mit selbstproduzierter Ware nicht mehr aufholen kann." Die Altkleider seien schon für viele Produzenten auf dem afrikanischen Kontinent der Todesstoß in den 1990er Jahren gewesen, wenngleich auch andere Faktoren wie eine mangelhafte Infrastruktur oder eine unsichere Energieversorgung mit zum Niedergang der heimischen Produktion beigetragen hätten, so Hütz-Adams.
Ahlmann von FairWertung hält die Neuware aus Billigländern für das eigentliche Problem. "Grundsätzlich ist es sinnvoll, wenn Rohstoffe dort verarbeitet werden, wo sie auch entstehen", gibt er zu. Es gebe ja auch Bestrebungen in Afrika eine eigene Textil- und Bekleidungsindustrie wieder aufzubauen. Aber in jedem afrikanischen Land gebe es neben Second Hand auch immer einen Markt für Neuware, der von asiatischer Neuware dominiert wird, wie es in Europa eigentlich auch ist."
Importverbote für Kleiderspenden
Trotzdem scheinen viele Länder in Afrika die Secondhand-Ware als großes Problem für den heimischen Markt anzusehen. Bereits vor Jahren haben einige Länder den Import von Secondhand-Kleidung verboten, darunter Nigeria, Äthiopien und Südafrika. 2016 wagte sich auch die Ostafrikanische Gemeinschaft (EAC) vor und kündigte an, den Import von Altkleidern, Schuhen und Lederwaren bis 2019 zu stoppen. Bis dahin wollen sie die Importsteuern jedes Jahr erhöhen.
Auf die Frage, warum die afrikanischen Länder das tun, wenn Altkleider doch abgeblich keine Konkurrenz darstellen, antwortet Ahlmann: "Wir von FairWertung sagen, das ist eine politische Frage, die afrikanische Länder für sich beantworten müssen." Auch von Susanne Pohl vom Roten Kreuz heißt es lapidar: "Es ist ja oft so, dass das dann oft von den eigenen Regierungen als eine Frage der Würde gesehen wird. Das muss jede Regierung für sich entscheiden."
Der stellvertretende Leiter der Kenianischen Industrie- und Handelskammer, James Mureu glaubt dagegen: "Ein derartiges Verbot würde die heimische Textilindustrie fördern." Auch wenn es zunächst schwierig wäre, die Nachfrage aus der lokalen Produktion zu decken. Derzeit würden nur rund 15 Prozent der in ostafrikanischen Ländern produzierten Baumwolle vor Ort verarbeitet, der Rest werde exportiert, sagt der East African Business Council. Auch der Verband befürwortet daher, den Altkleiderhandel schrittweise abzuschaffen.
In den USA, wo rund eine Milliarde US-Dollar pro Jahr mit Altkleidern umgesetzt werden, läuteten die Alarmglocken. Der größten Altkleider-Exporteur der Welt drohte mit Handelskrieg und die afrikanischen Staaten knickten ein - bis auf Ruanda.
Ruanda schert aus
Um die heimische Wirtschaft zu stärken, hat Ruanda 2016 die Zölle für die Einfuhr gebrauchter Kleider verzwölffacht, für den Import von Second-Hand-Schuhen werden seitdem zehn Mal so hohe Zölle fällig wie zuvor. Die Folge: Seit Juni diesen Jahres darf Ruandas Textilindustrie nicht mehr im Rahmen der Handelsvereinbarung AGOA zollfrei in die USA exportieren.
Kurzfristig werde die Lücke, die durch fehlende Secondhand-Kleidung entstünde, durch Waren aus Asien gedeckt werden", meint Mukwaya Rodgers von der UN Economic Commission for Africa (UNECA). "Langfristig glauben wir jedoch, dass wir einen Teil dieses Marktes selbst übernehmen können", sagt er, "es ist wichtig für uns, unsere Textilindustrie auszubauen."
In Ruanda entwickelt sich derweil die Textilindustrie noch immer zaghaft. Einige einheimische Produzenten begrüßen den Second-Hand-Bann. Wenn es erst einmal genügend lokale Produzenten gebe, könnten diese auch wettbewerbsfähig sein, sagt Ritesh Patel vom ruandischen Hersteller Uterxwa. Doch noch sei es schwierig, die Kleider günstig genug für Käufer in Ruanda und in den Nachbarländern zu produzieren.
Und die Umwelt???
Bleibt am Ende noch das ökologische Argument. Immerhin wird knapp die Hälfte der Secondhand-Kleidung weiter verwertet, anstatt direkt im Müll zu landen. Aber viele Kollektionen lassen sich nur verkaufen, weil sie so billig sind. Ihr Treibstoff ist Polyester, heißt es von der Umweltorganisation Greenpeace. 60 Prozent der Kleidung bestünde inzwischen aus der erdölbasierten Kunstfaser, deren Produktion dreimal mehr klimaschädliches Treibhausgas emittiere als Baumwolle. Mikrofasern aus Polyester verschmutzten Gewässer und seien vor allem wegen ihrer Auswirkungen auf Meereslebewesen brisant, beklagt Greenpeace. Außerdem würde Polyester oft mit Naturmaterialien gemischt, wodurch die Stoffe kaum recyclingfähig seien.
Hütz-Adams findet das Umweltargument eh vermessen: "Wir kaufen die neuen Sachen, aber wenn es dann um den Ökoaspekt geht, dann heißt das nicht, dass wir die Sachen so lange tragen sollen, wie sie eigentlich eine Lebenszeit haben, sondern das sollen dann andere machen."
Die Bäuerinnen und Bauern, die mit schlecht bezahlter Arbeit die Baumwolle in Afrika angepflanzt haben, dürfen dann noch froh sein, dass sie eine so günstige Secondhand-Grundausstattung durch unsere abgelegten Kleider bekommen.