Den Verführern zuvorkommen
8. Dezember 2013Die Zahlen zeigen eine eindeutige Richtung: Rund 5500 Salafisten gibt es in Deutschland. Und es werden mehr. Allein im Bundesland Nordrhein-Westfalen hat sich ihre Zahl innerhalb eines Jahres auf 1500 verdoppelt, so die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes. Für die Behörde ist der Salafismus zwar nicht per se militant. Doch er bereite den Nährboden für eine Radikalisierung seiner Anhänger.
Salafisten vertreten ein traditionelles Bild des Islam. Einige von ihnen möchten die Gesellschaft nach diesem Vorbild verändern, eine Minderheit ist nach Ansicht der Verfassungsschützer bereit, dieses Ziel mit Gewalt durchzusetzen. Vor allem Jugendliche fühlen sich vom Salafismus angezogen, etwa durch die Reden von Predigern oder nach dem Besuch von Kundgebungen oder Kongressen. Die Rekrutierung läuft auch über das Internet: Auf Facebook, Twitter oder Youtube werben die Salafisten um Anhänger.
Dadurch steigt nicht nur ihre Zahl. Sie würden auch zunehmend radikal, sagt der Leiter des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes, Burkhard Freier. Gründe seien neben der massiven Propaganda von Salafisten auch die Krise in Syrien. Dort sollen sich inzwischen mehr als 220 Islamisten aus Deutschland befinden. Einige von ihnen werden womöglich als gewaltbereite Dschihadisten nach Deutschland zurückkehren. Das Projekt "Wegweiser" soll lange davor ansetzen. Es ist ein Präventionsprogramm der nordrhein-westfälischen Regierung, das zuerst in Bonn, Bochum und Düsseldorf starten soll. "Wir wollen versuchen, dass Salafisten oder junge Islamisten gar nicht erst in diese Szene kommen", sagt Freier.
Die Ideologie gibt selten den Ausschlag
Doch dazu müsste man erst einmal wissen, was ihr Interesse weckt. Freiers Behörde hat 130 Konvertiten, die sich in der salafistischen Szene bewegen, befragt und ihre Lebensläufe untersucht. "Wir haben festgestellt, dass sie auf vielfältige Weise in salafistische Organisationen kommen und aus ganz unterschiedlichen Gründen. Die salafistische Ideologie ist dabei selten ausschlaggebend." Vielmehr spielten fehlende Anerkennung, Ziellosigkeit und Isolation eine Rolle - übrigens eine Parallele zu Jugendlichen, die Rechtsextremisten werden.
"Eine Rolle spielt sicher auch, wen man zu welchem Zeitpunkt trifft", sagt der Islamwissenschaftler Michael Kiefer. Wenn die jungen Menschen, die nach Syrien gegangen sind, nicht mit Salafisten zusammengetroffen wären, hätten sie sich vielleicht einer anderen Gruppe angeschlossen. Es komme darauf an, dass das Angebot für sie reizvoll ist. "Bei den Salafisten lautet es: Wenn du zu uns kommst, bist du auf der richtigen Seite, folgst Gottes Wort, gehörst nicht zu den Ungläubigen, die in die Hölle kommen. Dazu kommt eine Art Kameradschaft: Man ist nicht alleine, diskutiert über die Welt und ist sich in seiner Sicht der Welt einig."
Noch wenig Forschung auf dem Gebiet
Sozial-, Jugend- und Schulämter und die muslimischen Gemeinden sollen bei dem Projekt mitarbeiten, möglichst auch Sportvereine und Kirchen. Denn der gewaltbereite "Neo-Salafismus" ist, wie Kiefer sagt, ein gesamtgesellschaftliches, kein rein muslimisches Problem.
Zentraler Ansprechpartner in dem Präventionsprogramm soll der "Wegweiser" sein - eine Person, die in der Gemeinde vernetzt und akzeptiert ist, Fingerspitzengefühl im Umgang mit Jugendlichen hat - und die Fähigkeit zu erkennen, ob Probleme eines Jugendlichen in der Familie, in der Schule oder anderswo liegen. Davon unabhängig wird es weiterhin eine Telefonhotline geben, die seit 2012 zum Beispiel Eltern und Lehrer zu dem Thema berät. Pro Woche gehen dort fünf bis zehn Anrufe ein, sagt Freier.
Er hofft, dass das neue Präventionsprojekt in den Pilotstädten im Laufe des kommenden Jahres starten kann. Es werde viel "Learning by doing" geben, räumt Freier ein. Denn wissenschaftliche Forschung zu Radikalisierung gebe es in Deutschland kaum. Großbritannien sei da zum Beispiel viel weiter, sagt Kiefer. Dort seien nach den Terroranschlägen 2005 für die Präventionsarbeit allein in den Jahren 2007 und 2008 weit über 140 Millionen britische Pfund ausgegeben worden. Die Programme dort laufen so, wie das in etwa auch für "Wegweiser" geplant ist: Wenn ein Jugendlicher radikale Tendenzen zeigt, werden Sozialarbeiter oder Jugendämter aktiv und versuchen, auf ihn einzuwirken. Dazu ist es aber nötig, dass Eltern, Lehrer, Mitschüler oder Arbeitgeber aufmerksam sind und sich bei den Behörden melden.
Künftig auch Programme für Aussteiger?
Aber was ist mit denen, die bereits radikalisiert sind? Aussteigerprogramme für Salafisten gibt es - anders als bei Rechtsextremisten - nicht. Das liege unter anderem daran, sagt Kiefer, dass es das Phänomen des gewaltbereiten Salafismus erst seit zwei oder drei Jahren gebe. Außerdem sei es gar nicht einfach, den Aussteiger und diejenigen, die ihm helfen, zusammenzubringen. "Helfen würde da zum Beispiel eine entsprechende Gefangenenbetreuung. Gerade junge Straftäter sind gefährdet, zum gewaltbereiten Salafismus zu konvertieren, deswegen bräuchten wir eine bessere muslimische Gefängnisseelsorge."
Präventionsprojekte sollten, sagte Kiefer, niemanden davon abhalten, seine Religion frei zu wählen. "Natürlich gibt es Spielarten des Salafismus, wie den puritanischen Salafismus, der keine Gewalt-Affinität hat. Er ist durch die Religionsfreiheit gedeckt, die ein hohes Verfassungsgut ist."