Den Haag spricht Ngudjolo Chui frei
18. Dezember 2012Seit fast zwanzig Jahren entflammen im Osten des Kongo immer neue Konflikte. Im Moment sind alle Augen auf die Provinz Nord-Kivu gerichtet, die in Teilen von einer Rebellenbewegung kontrolliert wird. Doch der Krieg im Osten des Kongo hat viele Schauplätze. Nun lenkt der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag die Aufmerksamkeit auf einen vergangenen Bürgerkrieg in der nordöstlichen Provinz Ituri. Der blutige Höhepunkt der Kämpfe zwischen bewaffneten Gruppen fand vor zehn Jahren statt. Die Weltgemeinschaft schlug Alarm; manche fürchteten einen Völkermord, wie er sich 1994 in Ruanda ereignete. "Wir reden von tausenden Zivilisten im Ostkongo, die getötet wurden", sagt Géraldine Mattioli-Zeltner von Human Rights Watch.
Mathieu Ngudjolo Chui war Anführer der Nationalistischen Integrationistischen Front (FNI). In dieser Funktion soll er im Februar 2003 ein Massaker in dem Marktdorf Bogoro verantwortet haben - so die Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Dabei kamen mindestens 200 Menschen ums Leben. Am Dienstag (18.12.2012) sprach das Gericht Ngudjolo frei. Die Staatsanwaltschaft habe seine Schuld nicht beweisen können.
Aufstieg zum Rebellenführer
In Ituri ereigneten sich zu der Zeit mehrere Massaker. Zwei Volksgruppen standen sich bei Landkonflikten gegenüber: Viehzüchter und Landbesitzer der Hema auf der einen Seite, Kleinbauern der Lendu auf der anderen Seite. Diese Konflikte hätten sich verschärft, als Ende der 1990er Jahre der Krieg gegen Kongos damaligen Präsidenten Laurent-Désiré Kabila ausbrach und weitere bewaffnete Gruppen in die Gegend eindrangen, erklärt Kongo-Experte Alex Veit von der Universität Bremen.
Ngudjolo gehört zur Volksgruppe der Lendu. Nach Angriffen auf die Lendu-Bevölkerung schloss er sich einer Selbstverteidigungsgruppe an und stieg schnell zum Führer der FNI auf. Ein Grund waren auch die Friedensverhandlungen, die in Ituri geführt wurden. "Namenlose Gruppen durften überhaupt nicht an Verhandlungen teilnehmen", erklärt Veit. Erst deshalb habe sich die FNI gegründet: Denn von der Teilnahme an Verhandlungen erhofften sie sich Führungsposten in Regierung und Armee - wie sie andere Milizen auch bekamen. Trotzdem blieben die Rebellen der FNI lokal organisiert und daher national relativ unbedeutend. Ngudjolo selbst wurde im Rahmen eines Friedensabkommens in die neu gegründete kongolesische Armee integriert und bekam dort den Rang eines Oberst - bis zu seiner Verhaftung im Februar 2008.
Die ersten Urteile des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag
Gerade die schwachen hierarchischen Strukturen machten es schwierig, Verantwortliche zu benennen, so Veit. Das ist auch ein Grund dafür, dass der Internationale Strafgerichtshof nur Ngudjolos Fall abschloss. Ein weiterer Anführer einer Lendu-nahen Miliz war mit ihm für dasselbe Massaker angeklagt. Doch der Fall von Germain Katanga wird nun separat weiterverhandelt, weil es offenbar Unklarheiten über seine Funktion innerhalb der Gruppe gab.
Schon im Juli 2012 wurde Thomas Lubanga wegen Menschenrechtsverletzungen in Ituri verurteilt. Er kämpfte auf Seiten der Hema-nahen Miliz "Einheit der kongolesischen Patrioten" (UPC). Es war der erste Fall überhaupt, den der Internationale Strafgerichtshof zum Abschluss brachte. Mit dem Freispruch im Fall Ngudjolo folgte jetzt das zweite Urteil des Gerichtshofs. Für den aktuellen Krieg im Kongo, so schätzt Alex Veit, hätten die Verhandlungen in Den Haag nur eine geringe Bedeutung. Für die Aufarbeitung des Ituri-Kriegs sei es aber wichtig, dass beide Konfliktparteien zur Rechenschaft gezogen würden: "Beide Seiten haben offenbar schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen."
Hohe Erwartungen in Ituri und Den Haag
Auch in Ituri verfolgte man den Prozess. Für Jean-Bosco Lalo, Koordinator der Zivilgesellschaft in Ituri, spielt die internationale Justiz zwar eine wichtige Rolle. Allein könne sie den Konflikt aber nicht beenden. "Es ist nicht die Verhaftung von Thomas Lubanga oder Mathieu Ngudjolo, die unseren Frieden garantiert", erklärt Lalo gegenüber der DW. Vielmehr hätte sich die Bevölkerung selbst dieser Sache angenommen und die Bedeutung von Frieden für ihre Region erkannt. Lalo bedauert, dass alle Angeklagten aus Ituri kämen - in einem Konflikt, der weit über die Grenzen der Provinz hinaus ging.
Der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch gehen die Ermittlungen nicht weit genug. "Wir haben immer betont, dass der Chefankläger auch diejenigen in Betracht ziehen sollte, die die Milizen bewaffnet, finanziert und unterstützt haben", sagt Géraldine Mattioli-Zeltner im Gespräch mit der DW. "Human Rights Watch hat stichhaltige Beweise, dass diese Milizen von Nachbarländern unterstützt wurden." Die Menschenrechtlerin spielt damit auf Verwicklungen Ugandas an. Ein brisantes Thema: Auch im Fall der aktuellen Rebellion im Kivu gibt es scharfe internationale Kritik gegen die Nachbarländer Ruanda und Uganda, sie würden die Rebellen unterstützen.