Den Griechen läuft die Zeit davon
25. Januar 2016Nikos war 35 Jahre alt, als Griechenland 2012 endgültig zum "kranken Mann" Europas wurde. Damals gehörte er zu den wenigen mittelständischen Unternehmern in Griechenland, deren Geschäft noch gut lief. Der Familienbetrieb, gegründet von Nikos' Vater, verzeichnete im dritten Jahr in Folge wachsende Umsätze.
Die innovativen Biomasse-Heizkraftwerke, die das Unternehmen in der Nähe der Hauptstadt Athen produzierte, waren sehr gefragt bei griechischen Unternehmen und Privatleuten, die sich unabhängig von den steigenden Heizölpreisen machen wollten. "Unser Know-how war einzigartig, spezialisiert auf Automatisierung und die Nutzung von Biomasse, wie sie vor allem im Mittelmeerraum vorkommt", erzählt Nikos der DW. "Wir waren die Nummer eins auf diesem Gebiet in Griechenland."
Zu diesem Zeitpunkt überlegten Nikos und seine Brüder, die Produktpalette zu erweitern und Pelletöfen auf dem Niveau deutscher und österreichischer Produkte zu bauen. Drei Jahre später sind diese Träume so gut wie begraben.
Weniger Nachfrage, höhere Steuern
Angesichts der wachsenden Instabilität reduzierten Haushalte und Unternehmen ihre Ausgaben. Die Regierung stoppte die ohnehin bescheidenen Subventionen für "grüne" Energie. 2013 brachen daraufhin die Verkaufszahlen des Familienbetriebs ein. Zusätzlich belasteten wachsende Steuerabgaben das Unternehmen.
Um das Unternehmen vor der Pleite zu retten, wollte Nikos auf den Export setzen. 2014 beantragte er Subventionen, um die Produkte für die Ausfuhr zu zertifizieren. Rund 100.000 Euro sollte das kosten. Doch inmitten der griechischen Finanzkrise wollte keine Bank den Kredit für den Eigenanteil bewilligen.
"Wir haben Metall genommen und es zu Maschinen verarbeitet. Bis zu 1,5 Millionen Euro Umsatz haben wir damit gemacht", sagt Nikos. "Wir haben Mehrwert geschaffen, den die Regierung besteuert. Aber alles, was dann zurück kam, machte es uns unmöglich weiterzumachen."
Schließlich verließ Nikos das Familienunternehmen, als er nach langer Suche einen anderen Job fand. Davon kann er zumindest seine kleine Tochter ernähren. Der Abstieg aber sei sehr hart gewesen.
Gesunde Unternehmen bluten finanziell aus
Nikos' Fall ist exemplarisch für tausende Pleiten, die Griechenlands Wirtschaft hinnehmen musste, während die Regierungen in unzähligen Verhandlungsrunden drei Hilfspakete erstritten. 2016 wird Griechenlands Wirtschaft im siebten Jahr in Folge schrumpfen. Und mit einer anhaltenden Arbeitslosenquote um 25 Prozent geht auch Unternehmen die Luft aus, die sich bisher über Wasser halten konnten. Ihre Rücklagen sind aufgebraucht, ihr Anlagevermögen verkauft, pensionierte Familienmitglieder, die bisher aushalfen, können nicht weitermachen oder sterben.
"Großmutter hat kein Geld mehr", sagt Phillip Feidoyiannis, der am Fuße der Akropolis Kunsthandwerk an Touristen verkauft. "Bisher hatte die Großmutter immer noch etwas in Reserve und konnte im Notfall aushelfen. Aber das ist nun vorbei." Um seinen kleinen Laden am Laufen zu halten, hat Feidoyiannis Land verkauft, das ihm gehörte.
Außerdem hat er wie Millionen Griechen Schulden beim Staat. Wie für alle Selbstständigen wird seine Steuerlast steigen. Im Rahmen des dritten Hilfspakets müssen Selbständige für 2016 rund 75 Prozent ihrer voraussichtlichen Steuern - basierend auf den Vorjahresumsätzen - im Voraus entrichten. Sie müssen also Geld abgeben, bevor sie es überhaupt eingenommen haben. 2017 soll dieser Satz auf 100 Prozent steigen.
"Wir müssen Hasen aus Hüten zaubern", sagt Yiannis Rizomarkos, der eine Fotografie-Schule in Athen betreibt. Selbst während der Krisenjahre, sagt der 42-Jährige, seien seine Geschäfte verhältnismäßig gut gelaufen. Aber die massive Verunsicherung 2015 hat die Schülerzahlen rapide sinken lassen.
Irgendwann habe er vor der Wahl gestanden, seine Abgaben oder seine Angestellten zu bezahlen. "Ich habe das Geld im Unternehmen gelassen, statt den Rentenbeitrag zu zahlen", sagt Rizomarkos gegenüber der DW, "andernfalls hätte ich den Laden direkt zu machen können und das wäre dann ja auf dasselbe hinausgelaufen." Für die Rentenkasse, meint er.
Sorge um eine verlorene Generation
Staatlichen Institutionen geht es kaum besser. Weil ihre Budgets auf ein Minimum zusammengestrichen wurden, bauen sie Stellen ab, wo sie können. Freie Stellen werden kaum noch neu besetzt.
Als im September - kurz nach Bewilligung des dritten Hilfspakets - das neue Schuljahr begann, konnten manche Schulen überhaupt nicht regulär unterrichten. An einer Grundschule in Nea Maki nahe Athen endete der Unterricht bereits vor Mittag. In entlegeneren Regionen, wie auf der Insel Lesbos, konnten manche Schulen wegen Personalmangels mehr als zwei Monate lang gar nicht öffnen.
Mitte November stopfte das Bildungsministerium die Lücken vorübergehend mit Aushilfslehrern. Solche Probleme dürften wiederkommen und sie sind nur die Spitze des Eisbergs. Für die junge Generation, in der sich viele nur vage an bessere Zeiten erinnern, könnte die Krise einen Nachteil für ihr ganzes Leben bedeuten: "Die Kinder blicken in eine Sackgasse, und das demotiviert sie", sagt Maria Perdikouri, Vorsitzende der Lehrergewerkschaft auf Lesbos. "Sie fragen sich, warum sie lernen sollen, wenn sie so viele Arbeitslose mit einem Abschluss sehen."
Ein solches Bildungsdefizit könnte sich noch auswirken, wenn sich Griechenlands Wirtschaft irgendwann einmal wieder erholt. Doch das dürfte vor dem nächsten Hilfspaket kaum der Fall sein. Denn kaum jemand erwartet, dass vorher in Griechenland die Banken ihre Kreditvergaben und Unternehmen ihre Investitionen signifikant steigern.
Für Nikos und seine Familie könnte das schon zu spät sein. Derzeit hält sein Vater den Betrieb im Alleingang am Leben. "Wenn du Maschinen nicht nutzt, nehmen sie Schaden, und irgendwann sind sie defekt oder veraltet", erklärt Nikos. "Wenn sich nicht bald etwas tut, müssen wir ganz von vorne anfangen."