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Ein Jahr Linksruck in Griechenland

Jannis Papadimitriou25. Januar 2016

Vor einem Jahr gewann die Linkspartei Syriza die Parlamentswahlen in Griechenland. Premier Tsipras kämpft bis heute an allen Fronten. Eine neue Konfrontation mit den Geldgebern scheint nicht mehr ausgeschlossen.

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Griechenland Alexis Tsipras (Foto: Getty Images/AFP/A. Tzortzinis)
Weiterhin in Kampflaune - Alexis TsiprasBild: Getty Images/AFP/A. Tzortzinis

Es war wie in alten Zeiten: Voller Begeisterung sprach Ministerpräsident Alexis Tsipras am Sonntagabend (24.1.) zu seinem Volk in der vollen Sporthalle von Faliron, nahe der Hafenstadt Piräus. Wie üblich rief der Linkspolitiker zum Kampf "für die Hoffnung" und gegen das "Establishment" auf.

Doch es gibt einen gravierenden Unterschied zu früher: Seit genau einem Jahr regiert nämlich nicht das "Establishment", sondern Tsipras selbst, während die ihm verhassten griechischen Konservativen in der Opposition verharren und immer noch mit der Verarbeitung ihrer Wahlniederlagen im Januar und September 2015 beschäftigt sind.

Und was hat Hoffnungsträger Tsipras im letzten Jahr als Ministerpräsident vorzuweisen? Zu seinen Erfolgen gehöre nach eigenen Angaben der Verbleib Griechenlands im Euro, obwohl "einige der Partner" das kriselnde Land rauswerfen wollten. Außerdem habe seine Regierung das Demokratiedefizit in Europa zur Sprache gebracht, erklärte der Premier vor begeisterten Anhängern in Faliron.

"Die Bilanz der linksgeführten Regierung ist bisher katastrophal", sagt dagegen der Athener Politikwissenschaftler Levteris Koussoulis im Gespräch mit der DW. Bei seinen Verhandlungen mit den internationalen Geldgebern habe der Premier wiederholt auf Konfrontation gesetzt und dabei kaum etwas erreicht. In seinem ersten Amtsjahr sei Griechenland politisch und wirtschaftlich zurückgefallen, meint der Analyst.

Yanis Varoufakis im Parlament (Foto: AP Photo/Thanassis Stavrakis)
Der frühere Finanzminister Yanis Varoufakis kämpfte gegen die Sparauflagen - und verlorBild: picture-alliance/AP Photo/T. Stavrakis

Polarisierung statt Einigung

Schlimmer noch findet Koussoulis aber, dass sich in die politische Debatte in Hellas ein immer deutlicheres Schwarz-Weiß-Schema einschleicht: "Hier stehen wir, die kämpfen, und dort sind die anderen, die sich den Geldgebern willig unterwerfen - so lautet das Schema der zum Teil aggressiv geführten politischen Auseinandersetzung", sagt der Politikwissenschaftler.

Ihren Höhepunkt erreichte der Konfrontationskurs im vergangenen Juni, als Tsipras ein Referendum zum Schuldenstreit ansetzte und dabei auch selbst Partei ergriff: Die Griechen sollten geschlossen gegen den von EU-Partnern und Geldgebern aufgezwungenen Sparkurs stimmen, mahnte der Linkspremier. "Zu diesem Zeitpunkt hatte es einen politischen Trick gebraucht, um die Verhandlungsposition von Tsipras im Ausland, aber auch innerhalb der eigenen Partei zu stärken. Dieser Trick war das kurzfristig einberufene Referendum", erläutert Koussoulis.

Wende zum Realismus

Am 5. Juli folgten die griechischen Wähler dem Wunsch ihres Regierungschefs und stimmten überwiegend gegen die in Aussicht gestellten Sparauflagen. Daraufhin prophezeiten Analysten das Ende des Euroraums, wie wir ihn kennen. Doch es kam anders.

Nur wenige Tage später unterzeichneten Tsipras und die internationalen Kreditgeber ein neues Rettungspaket für Griechenland. Dabei nahm der Linkspremier schmerzhafte Sparauflagen in Kauf, die teils sogar über das hinausgingen, was die Wähler eben noch abgelehnt hatten.

Realitätseinsicht oder eine taktische Finte des Linkspremiers, um Zeit zu gewinnen? Der konservative EU-Abgeordnete Jorgos Kyrtsos, eigentlich ein politischer Gegner von Tsipras, glaubt ersteres. "Herr Tsipras hat meiner Meinung nach eine ehrliche Wende zum Realismus hingelegt. Der beste Beweis dafür ist, dass er im vergangenen Sommer seinen damaligen Finanzminister Varoufakis gefeuert und fast den gesamten Linksflügel der eigenen Partei abgeschüttelt hat", sagt der Europapolitiker im Gespräch mit der DW. Tsipras sei ein cleverer junger Mann und habe irgendwann verstanden, dass er sich in eine Sackgasse hineinmanövriere, erläutert Kyrtsos.

Politikwissenschaftler Koussoulis ist da immer noch skeptisch: Zwar habe Tsipras eine realistische Wende vollzogen, doch dahinter stehe nicht zuletzt auch Taktik. "Tsipras will Zeit gewinnen und sich alle Möglichkeiten offenhalten - selbst die Option einer neuen Konfrontation mit den Geldgebern ist nicht vom Tisch, falls er die Kontrolle über die Lage verliert oder wichtige Reformen im Parlament zu scheitern drohen", glaubt der Analyst.

Kyriakos Mitsotakis und Alexis Tsipras (Foro: REUTERS/Francois Lenoir)
Tsipras (r) hat einen Herausforderer: Kyriakos Mitsotakis von der Oppositionspartei Nea DemokratiaBild: Reuters/A. Konstantinidis/F. Lenoir

Mehr noch: Es gäbe sogar konkrete Anzeichen für eine härtere Linie Athens in den nächsten Wochen oder Monaten. "Neulich behauptet der eine oder andere Regierungspolitiker, Griechenland würde durch die Geldgeber erpresst, etwa bei den Verhandlungen über die anstehende Rentenreform. Das klingt doch nach der alten, streitlustigen Syriza-Partei, wie wir sie im vergangenen Sommer erlebten", gibt Koussoulis zu bedenken.

Knackpunkt Opposition

In seinem ersten Amtsjahr profitierte Tsipras nicht zuletzt von der Ohnmacht der Opposition. Mit der Wahl des neuen Konservativen-Chefs Kyriakos Mitsotakis Anfang Januar scheint die Schonzeit für den Ministerpräsidenten vorbei zu sein. In jüngsten Umfragen liegen die Konservativen nach langer Zeit wieder vorne mit einem Vorsprung von bis zu vier Prozent vor der regierenden Linkspartei.

Der EU-Abgeordnete Kyrtsos gibt sich betont optimistisch und erklärt, der 47-jährige Mitsotakis sei ein echter Reformer, der die Linksregierung herausfordern könne. Der Regierungschef sieht das naturgemäß anders: Mitsotakis würde noch lange auf der Oppositionsbank verharren, erklärte Tsipras am Sonntagabend vor seinem Stammpublikum.