Demonstranten stürmen Braunkohle-Tagebau
5. November 2017"Schnell, aufschließen, keine Lücke lassen", rufen die Demonstranten sich gegenseitig zu, während sie über matschige Felder laufen. Nachdem der Protestzug des Aktionsbündnisses "Ende Gelände" gegen Braunkohle verspätet am Sonntagmorgen losmarschiert, geht auf einmal alles ganz schnell. Hunderte Aktivisten in weißen Schutzanzügen spalten sich vom eigentlichen Demonstrationszug ab, rennen in den rheinischen Tagebau Hambach vorbei an Dutzenden Polizisten und versuchen zu dem fast 100 Meter hohen Kohlebagger zu gelangen. Ihr Ziel: Die Arbeit in Europas größtem Tagebau lahmzulegen.
Umweltaktivisten hatten aufgerufen, am Tag vor Beginn des Weltklimagipfels in Bonn ein deutliches Zeichen für einen schnellen Ausstieg aus der Kohle zu setzen. Der Hambacher Tagebau frisst sich nicht nur durch eine gewachsene Kulturlandschaft und vernichtet uralte Biotope, die geförderte Braunkohle zählt auch zu den größten Luftverschmutzern in der EU. Keine andere Energiequelle ist klimaschädlicher und deshalb wesentlich mitverantwortlich für ein mögliches Verfehlen der deutschen Klimaziele. Trotz aller Bemühungen um eine Energiewende stammt weiter knapp ein Viertel des deutschen Stroms aus der Braunkohle.
Deswegen sei hier der richtige Ort für die Aktion, sagt die Aktivistin Kathrin Henneberger der DW: "Wenn die globale Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzt werden soll, müssen wir diese und andere Kohleminen schließen. Wir vertrauen nicht mehr darauf, dass die Regierung das macht, also machen wir es selbst".
Illegal? Egal!
Nach Angaben von "Ende Gelände" sind am Sonntag etwa 4500 Menschen zum Protest im rheinischen Tagebaugebiet erschienen. Die Polizei schätzt die Beteiligung auf rund 2500 Demonstranten. Die Braunkohlegegner laufen zuerst gemeinsam in einem großen Zug Richtung dem Hambacher Tagebau, doch nach ein paar Kilometer trennen sie sich in zwei Gruppen. Später teilen sie sich noch einmal auf. Sie wollen so der Polizei entkommen. Am Ende stürmen hunderte Aktivisten von vier verschiedenen Richtungen in die Kohlemine. Die Polizisten können sich ihnen erst kurz vor dem riesigen Bagger in die Quere stellen.
Als der Betreiber des Tagebaus, der Energiekonzern RWE, aus Sicherheitsgründen den Bagger abstellt, jubeln die Aktivisten. Sie haben ihr Ziel erreicht. Doch noch gehen sie nicht heim. Sie sind bereit, bis in die Nacht auf dem Gelände auszuharren.
Die Protestaktion ist illegal. Deswegen sind auch nicht alle Demonstranten bis zum Ende mitgekommen. Die Polizei macht in Lautsprecherdurchsagen regelmäßig darauf aufmerksam, dass die Aktivisten Hausfriedensbruch, also eine Straftat begehen. Dorothee Häußermann, Pressesprecherin von "Ende Gelände" nennt es zivilen Ungehorsam. "Es kann nicht sein, dass es 'legal' ist, für den Kohleabbau Dörfer und Wälder abzubaggern und durch die Verbrennung von Kohle den Klimawandel zu befeuern. Wenn die Gesetze die Zerstörung von Lebensgrundlagen schützen, dann müssen wir uns über sie hinwegsetzen – in unseren Augen ist unser Handeln legitim".
Die Protestaktion bleibt größtenteils friedlich. Doch kurz bevor die Polizei die Demonstration auflöst, setzt sie gegen einige Aktivisten Pfefferspray ein. Ingrid Nestle, Bundestagsabgeordnete der Grünen, ist den ganzen Tag als parlamentarische Beobachterin mit dabei, um sicherzustellen, dass der "Polizeieinsatz angemessen abläuft". Sie zählt die Demonstranten, die Polizisten, macht Fotos und Videos. "Die Demonstranten sind durchwegs friedlich. Sie sind an verschiedenen Stellen bis in die Grube vorgedrungen, haben den Bagger gestoppt und das ganze ohne unschöne Szenen", sagt Nestle der DW. Obwohl der Polizeieinsatz weitgehend angemessen sei, findet sie "die Härte gegenüber den friedlichen Demonstranten unnötig."
Unterstützung aus dem Pazifik
Die Demonstranten im Rheinland haben Unterstützung von weit her bekommen. Klimaaktivisten aus der Pazifikregion zeigen sich am Sonntag solidarisch mit den Menschen, die in Deutschland unter den Auswirkungen der Kohleförderung leiden und gegen das Ende der Braunkohleförderung kämpfen. Vor der Protestaktion hielten die Pacific Climate Warriors in dem fast verlassenen Dorf Manheim, das bald für den Tagebau weggebaggert werden soll, eine traditionelle Zeremonie ab.
"Wir sind heute hier, um gemeinsam das Ende fossiler Brennstoffe zu fordern", sagt die Klimaaktivistin Brianna Fruean aus Samoa. "In unseren Ländern ist Klimawandel längst Realität. Wir leben im Auge des Sturms. Es vergeht kein Tag, an dem man nicht den Rückgang der Fischbestände, den Anstieg des Meeresspiegels oder die Häufigkeit extremen Wetters sehen kann".
In der Zeremonie waren auch zwei Frauen aus dem Rheinland eingebunden. Sie erhielten als Geschenk rote Blütenblätter aus Tapa-Rindenbaststoff. Die Blüten stehen für die Schönheit und Widerstandsfähigkeit pazifischer Kultur. Antje Grothus, eine der zwei Frauen, wohnt im Nachbarort Manheims. Ihr Dorf soll nicht abgebaggert werden, wird aber eines Tages direkt an der Kante des Tagebaus stehen.
Die Zeremonie der Menschen von verschiedenen Pazifikinseln hat sie tief beeindruckt. "Das war sehr ergreifend, ich fand es aber auch sehr beschämend, dass die Pacific Climate Warriors uns um Erlaubnis gebeten haben, hier sein zu dürfen, während wir mit der Verbrennung von Kohle ihren Lebensraum vernichten".