Demographische Herausforderungen Asiens
30. August 2018Die einst verbreitete Angst vor einer weltweiten Bevölkerungsexplosion wird inzwischen überlagert von Sorgen wegen einer schrumpfenden Bevölkerung, nicht nur in Europa, sondern vor allem in China und entwickelten asiatischen Ländern wie Japan. Denn der Bevölkerungsrückgang geht wegen der steigenden Lebenserwartung einher mit einem wachsenden Anteil alter Menschen im Vergleich zu den Nachwachsenden, was für die Sozialsysteme zukünftig eine große Herausforderung darstellt.
Hauptgrund für diese Entwicklung ist das veränderte Geburtenverhalten: In den meisten Industrie- und inzwischen auch Schwellenländern (Ausnahme: Indien) bekommen die Frauen im Lebensdurchschnitt inzwischen weniger als 2,1 Kinder: Dies ist die Geburtenziffer, die für den Erhalt der Bevölkerung notwendig ist. Versuche der Regierungen, auf die Bevölkerungsentwicklung Einfluss zu nehmen, sind vielfältig, aber in ihrem Erfolg oder Misserfolg schwer einzuschätzen und vorherzusagen.
China nach der Ein-Kind-Politik
So hat China in der Nach-Mao-Ära die sogenannte Ein-Kind-Politik beschlossen, weil ungebremste Bevölkerungsvermehrung nicht mit der von Deng Xiaoping angestrebten Wohlstandsvermehrung in Einklang stand. Chinas Planer kamen jedoch irgendwann zu der Erkenntnis, dass das (noch) bevölkerungsreichste Land der Erde bei anhaltender Geburtenschwäche auf schwere soziale Verwerfungen zusteuert. Deswegen hat China sich 2015 offiziell von der Ein-Kind-Politik (die eigentlich wegen vielerlei Ausnahmen eine 1,5-Kind-Politik war) verabschiedet und erlaubte nun zwei Kinder pro Familie. Und anscheinend will Peking künftig die Beschränkung der Kinderzahl ganz fallenlassen, wie aus dem Entwurf des neuen Familienrechts hervorgeht, das 2020 verabschiedet werden soll.
Aber um die Lust an mehr Nachwuchs zu fördern müsste Peking es den Frauen einfacher machen, Beruf und Familie zu vereinbaren. Viele Unternehmen in China sehen die neue kinderfreundliche Politik mit Missmut und versuchen, möglichst keine Mitarbeiterinnen mit Kinderwunsch einzustellen, um Kosten zu sparen. Umgekehrt scheint es so zu sein, dass viele chinesische Familien sich angesichts hoher Kosten für das Großziehen des Nachwuchses – vor allem, wenn es um "hochwertige" Ausbildung und Betreuung geht – und angesichts von Verpflichtungen gegenüber den eigenen Eltern mit einem Kind zufriedengeben.
Gute Ideen gesucht
Dafür spricht, dass der Anstieg der Geburten im Jahr 2016 nach dem Ende der Ein-Kind-Politik nicht so hoch wie erwartet ausfiel (1,3 anstatt drei Millionen Kinder wurden geboren). Wie es aussieht, haben viele Eltern nach dem Ende der Ein-Kind-Politik ihren Wunsch nach einem zweiten Kind in die Tat umgesetzt, aber offenbar doch nicht so viele wie von den Familienplanern erhofft.
Der jüngste Vorschlag zur Hebung der Geburtenzahlen stammt von zwei Sozialwissenschaftler der Universität Nanjing: Arbeitnehmer unter 40 Jahren ohne Kinder müssten demnach einen bestimmten Anteil des Arbeitslohns in einen Fonds für Neugeborene einzahlen. Nach der Geburt von zwei Kindern wären sie berechtigt, Kindergeld aus diesem Fonds zu beantragen, werden weniger als zwei Kinder geboren, entsteht der Anspruch auf Rückzahlung erst nach dem Erreichen des gesetzlichen Rentenalters .
"Völliger Unsinn" kommentiert das Staatsfernsehen CCTV den Vorschlag. Der richtige Lösungsansatz sei die Verbesserung der öffentlichen Angebote, um junge Familien zu ermutigen, mehr Kinder zur Welt zu bringen, aber nicht umgekehrt, sie zusätzlich zu belasten. Xiong Bingqi, Pädagoge aus Peking, forderte in der Pekinger Lokalzeitung BJ News einen Bildungs- statt eines Geburtenfonds. "Wie wäre es, wenn der Staat Teile der Kosten für Ausbildung, Gesundheitsvorsorge und Lebensunterhalt von der Geburt bis zur Volljährigkeit übernähme? Die Anschaffung eines Kindes ist zwar kostenlos, aber danach wird es teuer. Das Modell könnte zuerst in unterentwickelten Regionen getestet werden."
Iran: Auf und ab der Familienpolitik
Auch im Iran wurden verschiedene Familienplanungsmodelle getestet. Ähnlich rapide wie in China ist auch dort die Geburtenziffer gesunken, allerdings ohne eine mit der Ein-Kind-Politik vergleichbaren Zwangsmaßnahme. Unter der Schah-Zeit bestand ein modernes, von den USA unterstütztes Familienplanungsprogramm, welches sich jedoch noch nicht auf das Reproduktionsverhalten im Landesdurchschnitt auswirkte. Die Geburtenziffer betrug zum Zeitpunkt der islamischen Revolution 1979 rund 6 und erreichte in den 80er Jahren den Höchststand von 6,5 Kindern pro Frau.
Dies war die patriotische Reaktion auf den Aufruf des Religionsführers Ayatollah Chomenei im Irak-Krieg, eine 20-Millionen-Armee heranzuziehen. Nach dem Ende des Krieges führte eine erschöpfte Wirtschaft verbunden mit den Problemen durch eine wachsende junge Bevölkerung unter den Reformpräsidenten Rafsanjani und Chatami zu einem erneuten Kurswechsel. Dank eines massiven staatlichen Familienplanungsprogramms wurde die Zwei-Kind-Familie zur Norm.
Die geriet 2005 mit der Wahl des konservativen Hardliners Ahmadinedschad zum Präsidenten unter Beschuss: Kinderreichtum wurde erneut zum Segen erklärt, Familienplanung als Strategie des Westens, um den Iran zu schwächen. Auch der geistliche Führer Ayatollah Chamenei bezeichnete die Familienpolitik früherer Regierungen als Fehler, der korrigiert werden müsse.
Stabile Geburtenziffer
Bis 2014 waren verschiedene Maßnahmen umgesetzt, von denen man sich mehr Nachwuchs erhoffte, etwa: Stopp kostenloser Verhütungsmittel, Verbot von Sterilisierungen, finanzielle Anreize für zusätzliche Kinder, Zurückfahren des Aufklärungsprogramms für Teenager. Auch die Zulassung von Frauen zu Studiengängen für bestimmte Fachberufe wurde eingeschränkt. All diese Maßnahmen konnten jedoch die Geburtenziffer nicht wesentlich ändern: sie bleibt im Iran bei ca. 2 Kindern pro Frau.
Insgesamt befindet der Iran sich in einer günstigen demographischen Phase mit einem moderaten Bevölkerungswachstum bei gleichzeitig großem produktiven Bevölkerungsanteil. Um aus dieser sogenannten "demographischen Dividende" Kapital zu schlagen, müssten die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen besser sein, die jedoch unter den US-Sanktionen leiden.
Verspielt Indien seine "demographische Dividende"?
Ähnlich wie Iran verfügt auch Indien über ein riesiges Reservoir an jungen Leuten, für die wie im Iran das Problem fehlender stabiler Beschäftigung besteht. "Indien ist in Gefahr, seine demographische Dividende zu verspielen", schreibt die Zeitschrift "The Economist". Denn Indien schafft es nicht, in ausreichender Zahl auskömmliche Arbeitsplätze zu schaffen. Als Gründe werden unter anderem sinkendes Wirtschaftswachstum bei gleichzeitig wachsender Automatisierung, ein defizitäres Bildungssystem, Beschäftigungsrückgang in der Landwirtschaft genannt.
Dabei ist Indien das einzige Land unter den vier betrachteten Ländern mit einer weit ins Jahrhundert hinein wachsenden Bevölkerung, wenn auch mit abnehmender Tendenz. Anders als in China und Iran ist die Geburtenziffer in Indien nicht durch abrupte Schwankungen gekennzeichnet, sondern befindet sich seit 1965 in einer sanften Abwärtskurve, wird aber voraussichtlich erst nach 2040 unter die Schwelle von 2,1 Kindern pro Frau fallen. Angesichts der hindu-nationalistischen Politik unter Modi, die die Angst vor einer allzu großen Zunahme des muslimischen Bevölkerungsanteils schürt, steht die Begrenzung des Bevölkerungswachstums derzeit nicht oben auf der Agenda.
Japan setzt auf künstliche Intelligenz
Ein vergleichsweise "altes" Land ist bereits jetzt Japan, mit einem Viertel Bevölkerungsanteil der über 65-Jährigen, Tendenz steigend bei gleichzeitigem Bevölkerungsrückgang von derzeit 128 Millionen auf prognostizierte 112 Millionen im Jahr 2045. Bereits 2005 errichtete Japan einen Kabinettsposten mit der Zuständigkeit für die Erhöhung der Geburtenrate. Vor einigen Jahren legten Experten Vorschläge zum Abbau von "Heiratshemmnissen" vor, darunter finanzielle Unterstützung bei der Partnersuche. All dies konnte jedoch die Geburtenfreudigkeit japanischer Paare nicht steigern.
Im Gegensatz zu Ländern wie Indien und Iran gibt es in Japan mehr freie Stellen als Arbeitssuchende. Viele Unternehmen ködern Arbeitskräfte inzwischen nicht mit mehr Geld, sondern mit Freizeitangeboten und flexiblen Arbeitszeiten, manche sogar mit Eheberatung und Auszeiten zur Zeugung von Nachwuchs. Die Bevölkerungsentwicklung wird dies alles nicht signifikant ändern, so dass manche Unternehmen sich bereits auf komplett menschenfreie Fertigungsstraßen "365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag" einstellen. Auch für den Bereich Pflege setzt Japan stark auf den künstliche Intelligenz und Robotik.