China lockert Ein-Kind-Politik
28. Dezember 2013Chinas Starregisseur Zhang Yimou hat sich entschuldigt: Ja, er habe drei Kinder und damit gegen die chinesische Ein-Kind-Politik verstoßen, gab der 62-Jährige in einem offenen Brief zu. Und er wolle sich den Ermittlungen und seiner rechtmäßigen Strafe stellen.
Seit seine mehrfache Vaterschaft im Frühjahr bekannt wurde, war der weltberühmte Regisseur ungeschoren davongekommen. Doch dann hefteten sich die Behörden an seine Fersen. Und die Vorwürfe des zuständigen Familienplanungsbüros könnten ihn teuer zu stehen kommen. Chinesische Medien spekulierten über eine Geldstrafe, die einem zweistelligen Millionen-Euro-Betrag entspricht.
Ausnahmen von der strengen Regel
Seit 1980 ist in der Volksrepublik eine strenge Familienpolitik in Kraft, die jedem Ehepaar nur ein Kind gestattet. Allerdings sind Ausnahmen seit Jahren erlaubt, etwa auf dem Land: Dort dürfen Bauern ein zweites Kind bekommen, wenn das erste ein Mädchen ist. Angehörige der chinesischen Minderheiten sind ebenso von der Regel ausgenommen. Und wenn in den Städten beide Elternteile Einzelkind sind, haben auch sie die Möglichkeit, ein zweites Baby zur Welt zu bringen.
Die Enthüllungen im Frühjahr über Zhang Yimous Kinder haben bei vielen Chinesen den Eindruck verstärkt, dass sich auch Prominente und Reiche - anders als einfache Leute - nicht an die Geburtenkontrolle halten müssen. Zunehmend herrschte der Eindruck, dass diese die vom Staat geforderten horrenden Strafgebühren in Kauf nehmen und sich so zusätzlichen Nachwuchs ermöglichen. Immer größer wurde in China die Empörung über die Prominenten, die sich einfach über die Geburtenkontrolle hinwegsetzen können.
Neue Lockerungen
Seit Chinas Parteiführung im November eine Lockerung der strengen Regeln zur Geburtenkontrolle beschlossen und nun offiziell verabschiedet hat, dürfen allerdings auch weitere Chinesen zwei Babys bekommen: Künftig sollen in den Städten auch dann zwei Kinder erlaubt sein, wenn nur ein Elternteil Einzelkind ist.
Lou Xia aus Peking hat sich bisher an die Reglementierung der chinesischen Regierung gehalten. Sie hat eine fünfjährige Tochter. "Ich habe immer von einer lärmenden, lebhaften Familie geträumt," sagt die 36-Jährige. Für sie könnte sich der Herzenswunsch nach einem zweiten Kind jetzt erfüllen.
Kein Babyboom in Sicht
Lou Xia ist glücklich über die angekündigte Reform. Doch damit ist sie in China in der Minderheit, denn viele interessiert die neue Reglementierung gar nicht: Wegen der bereits existierenden Ausnahmen sind Experten zufolge nur noch ein Drittel der Familien davon betroffen. "Einen neuen Babyboom wird es schon allein deshalb nicht geben", sagt Bevölkerungsexperte Liang Zhongtan von der Akademie der Sozialwissenschaften in Shanghai.
Hinzu kommt, dass viele Paare gar kein zweites Kind mehr wollen: "Schon jetzt müssen wir so viel Zeit und Geld in die Ausbildung unseres Kindes investieren - ich weiß gar nicht, wie wir das mit zwei Kindern machen sollten," erzählt Manlin Xiong, die beim chinesischen Staatsfernsehen CCTV in Peking arbeitet und eine fünfjährige Tochter hat.
Einzelkinder - Chinas "kleine Kaiser"
Dreißig Jahre Ein-Kind-Politik haben in China Spuren hinterlassen. Weil sie nur ein Baby haben durften, haben sich die meisten Familien während der vergangenen Jahre ganz auf das eine Kind konzentriert. Der Nachwuchs sollte mit besten Voraussetzungen ins Leben starten. Chinas "kleine Kaiser" wurden rundherum betreut und sorgfältig umsorgt: In der neu entstanden Mittelschicht ist es mittlerweile durchaus normal, dass vier-oder fünfjährige Kinder mehrere Kurse besuchen, etwa Klavierspielen, Ballett, Englischunterricht oder Schwimmen.
"Die Konkurrenz ist so groß, deswegen müssen wir unsere Kinder fit machen für die Zukunft", stöhnt Manlin Xiong. "Für ein zweites Kind hätte ich gar nicht mehr genug Kraft", sagt die 36-Jährige und streicht ihrer Tochter liebevoll übers Haar. Vielen Eltern geht es so wie ihr. Die angekündigte Reform der Ein-Kind-Politik wird deswegen in den nächsten drei Jahren wohl nur zu zwei Millionen zusätzlicher Geburten führen, schätzt der Vizedirektor der Familienplanungskommission Wang Peian.
Alternde Gesellschaft
Die neue Lockerung kann Chinas demographische Herausforderungen somit allenfalls abfedern, aber nicht beseitigen. Denn die Ein-Kind-Politik hat während der vergangenen drei Jahrzehnte rund 400 Millionen Geburten verhindert - mit enormen, sozialen Folgen: "Wer soll künftig die Renten finanzieren? Die alten Menschen versorgen?", fragt Professor Du Peng von der Pekinger Volksuniversität, der sich mit der Überalterung der Gesellschaft beschäftigt. Jede dritte Familie in China habe heutzutage nur ein Kind. "Es ist gut, dass die Familienplanungspolitik überarbeitet wird", so der Experte.
Doch nicht alle sind dieser Meinung - vor allem die Mitarbeiter der sogenannten Familienplanungsbüros, die während der vergangenen Jahre die Kontrollen am Arbeitsplatz oder in der Nachbarschaft durchgeführt haben. Einige könnten in Zukunft ihre Jobs verlieren oder sich immerhin einschränken müssen: Denn auch die Bestechungen werden zurückgehen, wenn dazu immer weniger Anlass besteht.
Und dann gibt es auch diejenigen, denen die gesamte Reform nicht weit genug geht. "Wir müssen das grundlegende Problem lösen," fordert etwa Liang Zhongtan, der die staatliche Geburtenkontrolle als Verletzung des Menschenrechts bezeichnet. So wie er meinen viele andere Chinesen: Nach mehr als dreißig Jahren gehöre die Ein-Kind-Politik endlich ganz abgeschafft.